Vielleicht musste solch ein Erinnerungsbild einfach sein. Dafür reichte auch das schwache Flutlicht auf dem Central Coast Regional Sporting & Recreation Complex noch aus, um auf dem Trainingsgelände hinter dem Tuggerah Lake die „Gang“ zu verewigen. So nannten sich die acht deutschen Fußballerinnen später in den sozialen Medien, die das Kleinfeld-Turnier vor jugendlichem Publikum am Sonntag gewonnen und sich den Ausflug in die Metropole Sydney am Montag redlich verdient hatten. Laura Freigang ballte beide, Merle Frohms eine Hand zur Faust, während Sydney Lohmann die Arme in die Höhe reckte. Strahlend in der vorderen Reihe: Svenja Huth. Grinsender Gewinnertyp. Sie konnte ja an dieser Stelle nicht fehlen, sagen viele, die die DFB-Frauen seit längerem begleiten. Die 32-Jährige ist fast nie verletzt, meist vornedran. Vorbildhaft.
Millionenpublikum staunt bei Dokumentation über Svenja Huth
80 Länderspiele, 14 Tore. Die zwei wichtigsten datieren vom 2. September 2018. Ein verregneter Tag in Reykjavik. Qualifikationsspiel gegen Island zur WM 2019. Deutschland musste gewinnen, um überhaupt das WM-Ticket nach Frankreich zu ergattern. Heraus kam ein 2:0 dank der Doppeltorschützin Huth, die die „Hu-Hu-Hu“-Anfeuerung im Nationalstadion Laugardalsvöllur zum Verstummen brachte. „Uns fällt ein richtiger Stein vom Herzen“, sagte die Matchwinnerin damals. Der Interimstrainer Horst Hrubesch wirkte so zufrieden wie ein Angler, dem auf hoher See ein prächtiger Dorsch an den Haken gegangen war. Der DFB-Sportdirektor hatte ausgebügelt, was Steffi Jones mit ihren wirren Experimenten verbockt hatte.
Huth war also früher schon immer mal wichtig, aber ihr Standing hat sich mit Amtsantritt von Martina Voss-Tecklenburg noch verbessert. Schnell stieg „Speedy Gonzales“ – diese Comicfigur hatte ihr Jones zur EM 2017 zugewiesen – zur Führungskraft auf. Spielte immer. Und immer besser. Bei der EM in England führte die dribbelstarke Flügelspielerin das deutsche Team zum Finale mit der Kapitänsbinde auf den heiligen Rasen von Wembley, nachdem sich Alexandra Popp beim Abschlusstraining verletzt hatte. Diese Verantwortung trägt sie auch wieder für die WM in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August). Und doch hat sich für die Europameisterin (2013) und Olympiasiegerin (2016) Entscheidendes verändert, worüber am Samstagabend bei der Doku „Born for this“ im ZDF ein Millionenpublikum staunte.
Gemeinsam mit ihrer Frau Laura erzählte sie vom Kennenlernen bei einem Länderspiel in Halle, der Verliebtheit, der Partnerschaft und schließlich der Hochzeit, zu der Hund Jamie die Ringe brachte. Nun kündigt sich Nachwuchs an, nachdem eine künstliche Befruchtung in Spanien durchgeführt worden ist. „Wir haben uns für die ROPA-Methode entschieden. Das bedeutet, dass mir Eizellen entnommen wurden und meine Eizelle dann befruchtet wurde und befruchtet dann letztlich bei Laura eingesetzt wurde und wir dementsprechend dann beide verbunden sind“, sagte Huth in der Doku.
Im September soll ein Junge zur Welt kommen. Nach der Karriere kann sich die Nationalspielerin vorstellen, das zweite Kind auszutragen. „Das ist der Deal“, verriet Huth, während ihre Partnerin deutliche Kritik an den gesetzlichen Regeln in Deutschland übte: „Es macht uns ein bisschen traurig, weil Svenja ihr eigenes Kind erst noch adoptieren muss.“ Es gehöre übrigens zur schönsten Vorstellung des Paares, „dass ich mit unserem Sohn mal im Stadion sein kann und dass sie mal mit ihrem Sohn einläuft“. Ein Ansporn für die Karriere.
Doch es hat auch bei Huth gedauert, derart intime Einblicke in ihr Privatleben zuzulassen. Während der Vorbereitung auf die EM 2022 hatte sie im NDR-„Sportclub“ verraten, mit ihrer Frau noch vor Turnierstart vor den Traualtar zu treten. Das geschah wohlüberlegt. „Das ist mein starker Rückhalt. Ich wüsste nicht, warum ich so etwas Schönes verheimlichen sollte. Ich möchte damit auch Vorbild für Menschen sein, zu sich zu stehen.“ Trotzdem setzte es viele Hasskommentare, die Huth auch öffentlich machte. Als starke Persönlichkeit hält sie das inzwischen aus. Die mit 1,63 Meter kleinste deutsche WM-Akteurin dient als Symbolfigur für Offenheit.
Nia Künzer widmet in ihrem mit ARD-Reporter Bernd Schmelzer verfassten Buch „Warum Frauen den besseren Fußball spielen“ dieser Offenheit deutscher Nationalspielerinnen fast ein ganzes Kapitel. „Die Rolle der Frauen beim Fußball der Frauen ist eine andere als die Rolle der Männer beim Fußball der Männer. Die Frauen stehen zu dem, was sie tun und wie sie leben. Die Männer nicht immer.“ Als Beispiel nennt die Golden-Goal-Schützin, Fernsehexpertin und zweifache Mutter Künzer das männliche Fußball-Tabuthema Sexualität, Partnerschaft, Coming-out – und als Gegenbeispiel explizit die Spielerin, die in Australien die Nummer neun trägt.
Ob Svenja Huth im Sturm des DFB-Teams aufläuft, ist nicht sicher
Ob die in Alzenau bei Aschaffenburg geborene Huth aber wirklich im Sturm aufläuft, ist so sicher nicht. Vielleicht wird die Allrounderin vom VfL Wolfsburg bei dieser WM als Rechtsverteidigerin gebraucht. Das offenbar von der Bundestrainerin länger geplante Experiment gegen Sambia (2:3), sie wie früher in ihren Anfangszeiten beim 1. FFC Frankfurt in der Viererkette auflaufen zu lassen, machte deutlich, welche Lücke der zweite Kreuzbandriss von Giulia Gwinn gerissen hat. Die Vertreterin Sophia Kleinherne verkörpert noch kein internationales Format. Ob Huth jetzt auch beim WM-Auftakt gegen Marokko (Montag 10.30 Uhr MESZ/ZDF) rechts hinten spielt, ist eine spannende Frage.
„Wer mich kennt, weiß, dass ich seine sehr flexible Spielerin bin. Die Position ist mir aus Frankfurter Zeiten nicht unbekannt. Ob das bei der WM auch so sein wird, sehen wir vor Ort“, sagte sie bei der Abreise.
Verabschiedet hat sich ihre Frau dort mit den Worten „bis in sechs Wochen“. Huth hat „den großen und kleinen Koffer gepackt – es ist genug Unterwäsche dabei“, sagte die stellvertretende deutsche Kapitän grinsend in die Fernsehkameras. Sie will erst nach dem Finale wieder zurückkommen. Im Australia-Stadion von Sydney sollen noch Jubelbilder entstehen, an die sich alle ewig erinnern.


