Es gab nicht wenige Menschen unter 75.784 Augenzeugen im riesigen Oval, die weinten auf den Rängen bereits vor dem Schlusspfiff hemmungslos. Und auch auf dem Rasen flossen im Australia Stadium noch viele Tränen, als der Traum vom WM-Finale der „Matildas“ wie eine Seifenblase zerplatzte. Der tapfere Widerstand der australischen Fußballerinnen und ein Traumtor der mittlerweile schon vergötterten Starstürmerin Sam Kerr hatten nichts genützt: Mit einem 3:1-Erfolg gegen die Gastgeberinnen lösten die Engländerinnen das Endspielticket.
In Spanien oder England gibt es erst den vierten Weltmeister aus Europa
Der Europameister hat sich als vorläufiger Weltmeister der Effizienz das Endspiel gegen Spanien (Sonntag, 12 Uhr MESZ, ZDF) verdient. Nun muss der fünfte Kontinent ohne seine neuen Lieblinge erleben, wie im Olympic Park ein neuer Titelträger gekrönt wird, der bei der neunten WM-Auflage erst zum vierten Male aus Europa kommt. Nach Norwegen (1995) hatte sich ja nur noch Deutschland (2003 und 2007) in die Liste eingetragen. England oder Spanien bilden bald die Benchmark – ein echter Favorit ist in diesem Kampf zweier fast konträrer Fußball-Kulturen nicht auszumachen.
Englands Nationaltrainerin Sarina Wiegman verspürte nach dem emotionalen Halbfinale wenig Lust, schon nach vorne zu schauen. „Wir werden ein bisschen feiern, uns erholen – und dann haben wir noch genug Tage.“ Dass ihre Frauen ein solches Finale erreichten – 1966 schafften es das einzige Mal bekanntlich die Männer – sei „fast ein Märchen“ meinte sie ergriffen. „Ich kann es gar nicht beschreiben, wie stolz ich auf mein Team bin. Es fühlt sich an, als hätten wir schon ein Finale gewonnen, aber wir haben noch ein Spiel.“
Diese Partie ist für die Niederländerin bereits das vierte Finale binnen sechs Jahren. Nach den EM-Triumphen mit den Niederlanden (2017) und England (2022) wäre die WM-Trophäe in ihren Händen der letzte Beleg, dass ihr gnadenlos aufs Ergebnis ausgerichteter Ansatz greift. „Wir haben zusammengehalten und am Plan festgehalten. Das hat wieder funktioniert“, konstatierte Wiegman zufrieden.
Gleichzeitig räumte die 53-Jährige ein, dass sich nach dem EM-Rausch im vergangenen Sommer vieles für ihre Spielerinnen verändert habe. „Alle haben was von ihnen gewollt, aber sie sind trotzdem immer noch dabei, besser zu werden. Ich habe eine sehr intelligente Mannschaft.“ Vielleicht wird der Erfolgshunger der Lionesses auch von ihr vermittelt. Fakt ist, dass England mit seinen Protagonisten seit dem Finale von Wembley einen Schritt nach vorne gemacht hat, während Deutschland mit seinen Fußballerinnen mindestens zwei zurückgegangen ist.
Diese WM erlebte nach der englischen Führung durch Ella Toone (36.) in Down Under seinen emotionalen Höhepunkt, als die so lange auf ihr Eingreifen wartende Kerr beim 1:1 ein Traumtor schoss (63.). Die Massen bejubelten den perfekten Spannstoß der 29-Jährigen – abgegeben aus fast 24 Metern mit 95 Stundenkilometern – beinahe so ekstatisch wie 2000 den Olympiasieg von 400-Meter-Ikone Cathy Freeman an selber Stelle. Doch dann sollte Rechtsverteidigerin Ellie Carpenter patzen und ihr schwerer Abwehrfehler der Engländerin Lauren Hemp die schnelle Antwort ermöglichen (71.). „Es ist ein Kindheitstraum: Jetzt wollen wir das Ding auch gewinnen“, sagte die quietschvergnügte Stürmerin, die sich die auf dem Silbertablett servierte Möglichkeit nicht entgehen ließ. Ein bisschen Glück spielte mit, dass Kerr mit Kopf und Fuß zwei Chancen zum möglichen Ausgleich vergab (82. und 85.). Schlussendlich besorgte Alessia Russo auf der Gegenseite konsequent die Entscheidung (86.).
Australien muss sich mit Spiel um Platz drei trösten
Australiens Nationalcoach Tony Gustavsson konnte gar nicht anders, als solche Unterschiede anzusprechen: „England hat wirklich seinen Plan durchgezogen. Aber man muss diese Schlüsselmomente gewinnen – und das haben wir nicht getan.“ Gleichwohl versuchte sich der Schwede mit dem Spiel um den dritten Platz in Brisbane gegen seine Landsleute (Sonnabend, 10 Uhr MESZ, ARD) zu trösten, obwohl dem 49-Jährigen natürlich die Finalteilnahme viel lieber gewesen wäre: „Ich bin stolz und traurig – wir hätten gerne die Leute noch stolzer gemacht.“



