Berlin-Zum letzten Mal in seiner Amtszeit beim DFB wird Bundestrainer Joachim Löw in den nächsten zehn Tagen ein Trainingscamp mit der Fußball-Nationalmannschaft beziehen, diesmal in Seefeld/Tirol. Ein Rückblick auf die Löw-Lager:
Sardinien 2006
Der DFB-Tross reist erstmals in der bewegten Verbandsgeschichte mit Kind und Kegel zum ersten von zwei Trainingscamps vor der Weltmeisterschaft im eigenen Land in eine gigantische Hotelanlage nach Sardinien an. Bundestrainer Jürgen Klinsmann und sein Co. Jogi Löw überlassen weite Teile des Übungsprogramms den gnadenlosen Fitnesstrainern aus Amerika. Irgendwann steht Roadrunner David Odonkor auf dem Trainingsplatz des noblen Forte-Village-Resorts in der Mitte eines Kreises, den seine Spielkameraden bilden. Der Neuling schreit: „Wir sind ein ...“ Der Rest der Truppe röhrt: „ ... Team.“ Klinsi geht das Herz auf.
Genf 2006
Ins zweite Trainingslager nach Genf dürfen Frauen und Kinder nicht mehr mitfliegen. Assistenztrainer Löw erregt Aufsehen, weil er mit den Abwehrspielern Robert Huth, Philipp Lahm, Christoph Metzelder, Per Mertesacker und Arne Friedrich Grundlagen-Taktik für wenig Fortgeschrittene übt. Er legt dabei selbst Fuß an. In kurzer Hose treibt er den Ball an, rennt mit auf die Viererkette zu, die sich nicht immer vorschriftsmäßig zurückzieht. Also wird viel wiederholt. So was haben die erstaunten Reporter auf der Tribüne noch nie gesehen.
Mallorca 2008
Ein Traum für den medialen Begleittross, der sich in Paguera in einem Strandhotel niederlässt und jeden Abend Beachsoccer spielt, bis die Muskeln reißen. Löw ist längst Klinsmann-Nachfolger als Bundestrainer, Frauen und Kinder dürfen trotzdem mit ins mondäne „Arabella Sheraton Son Vida“, 25 Autominuten vom berüchtigten Ballermann entfernt. Es gibt Ärger mit einer Berliner Boulevardzeitung, die Paparazzi-Bilder von Lahm und Schweinsteiger samt Begleitung beim Knutschen auf dem Balkon schießen lässt. Löw sortiert Marko Marin, Jermaine Jones und Patrick Helmes aus. Michael Ballack erscheint verspätet und frustriert nach dem mit Chelsea im Elfmeterschießen verlorenen Champions League-Finale gegen Manchester United.
Sizilien 2010
Löw reagiert erstaunlich entspannt auf die Verletzung von Michael Ballack, der im FA-Cup-Finale nach einem rüden Tritt von Kevin-Prince Boateng einen Syndesmosebandriss davonträgt und so die WM in Südafrika verpasst. Es scheint dem Bundestrainer geradezu in die Karten zu spielen, dass er eine neue Spielergeneration ohne den Capitano mit flacheren Hierarchien entwickeln kann: „Von Resignation kann bei uns keine Rede sein. Wir sind überzeugt, dass wir eine gute WM spielen.“ Das tun sie dann auch.
Eppan 2010
Vor dem Turnier geht es erst mal zum nächsten Freiwilligen-Lager nach Eppan. Entspannte Stimmung im Südtiroler Fünfsternehotel Weinegg ohne Ballack. Aber mit weiteren Verletzten. Als Letzter wird der Hoffenheimer Andreas Beck aussortiert und muss vorzeitig abreisen. Ursprünglich hätte Löw sogar vier Spieler streichen müssen. Doch dann verletzten sich nach Ballack auch noch Christian Träsch und Heiko Westermann. Wie erst Jahre später durch glaubhafte Berichte Einheimischer bekannt wird, verbringen Philipp Lahm und Manuel Neuer einen lustigen Abend in einem Weinkeller inmitten der Weinberge.
Sardinien 2012
Das ganz sicher überflüssigste Trainingslager in der Löw-Historie. Mehr als die halbe Mannschaft fehlt, weil Münchner und Dortmunder Spieler im Pokalfinale stehen und die Bayern zudem das Champions-League-Finale dahoam bestreiten. Also reisen anfangs nur zehn Spieler nach Sardinien. Selbst der Bundestrainer kommt mit Verspätung an, weil er vorher noch fix das Pokalendspiel vor Ort verfolgt hat. Dafür dürfen die Familien wieder dabei sein. Es weht ein scharfer Wind über den zugigen Trainingsplatz. Manager Oliver Bierhoff überlegt: „Wir haben uns natürlich auch Gedanken gemacht, ob dieses Trainingslager sinnvoll ist.“
Südfrankreich 2012
Weiter geht´s nach Südfrankreich ins Hotel Golfresort Provence Terre Blanche, auf fast 300 Hektar inklusive Golfplatz von Milliardär Dietmar Hopp erschaffen. Der Trainingsplatz ist allerdings recht weit entfernt und erinnert eher an eine Bezirkssportanlage. Holger Badstuber meckert über den holprigen Platz. Er hat Recht. Weil Debütant Marc-André ter Stegen sich beim 3:5 in Basel gegen die Schweiz schwere Patzer leistet, darf er nicht mit zur EM in Polen und der Ukraine, im Gegensatz zu Tim Wiese und Ron-Robert-Zieler. Auch Cacau, Sven Bender und Julian Draxler gehören nicht zum endgültigen EM-Kader. Die verbliebenen 23 Nationalspieler dürfen sich beim Formel-1-Rennen in Monaco Ablenkung nach dem verkorksten Spiel gegen die Schweiz gönnen.
Passeiertal 2014
Chaos-Camp vorm Weltmeistertitel in Südtirol: Schweinsteiger, Khedira, Lahm und Neuer reisen weit weg von hundertprozentiger Fitness ins schöne Passeiertal an. Mario Götze ist nach missratener Saison in München übellaunig. Bald kommt heraus, dass Löw der Führerschein entzogen wurde und dass Kevin Großkreutz nach dem Pokalfinale in Berlin in der Hotelllobby an eine Säule gepinkelt hat. Alles Peanuts gegen das, was dann passiert: Bei einer Sponsorenaktion mit Formel-1-Pilot Nico Rosberg und DTM-Fahrer Pascal Wehrlein kommt es zu einem folgenschweren Unfall auf einer schmalen Gebirgsstraße. Der von Wehrlein gesteuerte übermotorisierte Bolide mit den Nationalspielern Julian Draxler und Benedikt Höwedes an Bord kollidiert mit einem deutschen Touristen, der dabei schwer verletzt wird. Die Mannschaft verschanzt sich in der Großraumsauna des „Golf & Spa Resort Andreus“ vor der bösen Medienwelt da draußen und entwickelt eine leistungsfördernde Wagenburgmentalität.
Ascona 2016
Viel Regen im Trainingslager in Ascona am Lago Maggiore in der Schweiz. Die Pressekonferenzen finden auf einem alten Flugplatz statt. Stress macht nur der olle AfD-Mann Gauland mit seinem Angriff auf Verteidiger Jérôme Boateng: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ DFB-Boss Reinhard Grindel, seinerzeit frisch und unverbraucht im Amt, entgegnet, es sei „einfach geschmacklos“, die Popularität Boatengs und der Nationalmannschaft „für politische Parolen zu missbrauchen“. Millionen Menschen liebten die Nationalmannschaft, „weil sie so ist, wie sie ist“. Da konnte er noch nicht wissen, was ihm 2018 blühen würde.
Eppan 2018

