Sieben Spiele wolle er mit seiner Mannschaft bei dieser Weltmeisterschaft bestreiten, hatte Spaniens Luis Enrique vor dem Achtelfinale gegen Marokko noch einmal betont. Das ist nach der Niederlage gegen die (Vorsicht Spitzname!) Löwen vom Atlas allerdings nun nicht mehr möglich. Ja, im Elfmeterschießen kam für den Turnierfavoriten das unerwartete Aus. Im Umkehrschluss darf hingegen von einer großen Überraschung die Rede sein, vollbracht von einer Mannschaft, die auf eindrucksvolle Weise den verdienten Sieg errang.
Held des Abends war Keeper Yassine Bounou, kurz Bono genannt, der die Elfmeter von Carlos Soler und Sergio Busquets parieren konnte, nachdem auch der erste Schütze der Spanier, Pablo Sarabía den Ball gegen den Pfosten gesetzt hatte. Achraf Hakimi machte mit einem frechen Lupfer den Triumph der Marokkaner perfekt. Endstand: 3:0 für Marokko. Der Rest war ekstatischer Jubel.
Dass die Iberer in der Lage sind, anderen Mannschaften ihr Spiel aufzuzwingen, ist bekannt. Viele Nationaltrainer nehmen diese Dominanz der Furia Roja inzwischen sogar billigend in Kauf, verpflichten ihre Spieler von A wie Abwehrchef bis Z wie Zielstürmer zur kräfteraubenden Defensivarbeit, um dann den einen glückbringenden Konter zu setzen.
So etwas in der Art hatte offensichtlich auch Marokkos Nationalcoach Walid Regragui im Sinn. In einem 4-5-1 ließ der 45-Jährige sein Team agieren, wobei agieren zunächst nicht das richtige Wort war. Die Spieler in den Nationalfarben Rot und Grün hetzten eine Viertelstunde lang Ball und Gegner hinterher, waren schließlich immer wieder damit beschäftigt, vor dem eigenen Strafraum die Reihen zu schließen. Dabei kam ihnen zu pass, dass die Spanier keine Brasilianer sind, soll heißen, dass Dani Olmo, Marco Asensio und Ferran Torres zwar gute, weil technisch sehr begabte Stürmer sind, aber nicht die Klasse von Vinicius Junior, Neymar oder Richarlison haben.
Keeper Unai Simon kommt ins Zittern
Den Marokkanern gelang es jedenfalls, das Spiel des Favoriten zu entschärfen, und in der Folge selbst ein paar Ausrufezeichen zu setzen. Nur eine Torchance ließen sie in der ersten Spielhälfte zu, nämlich in der 27. Minute, als Asensio aus sehr spitzem Winkel das Außennetz traf. Zwei gute Chancen hatten sie selbst, begleitet von einem Aufschrei ihrer zahlreichen Anhänger im Education City Stadium.
Zunächst durch den bei Bayern München beschäftigten Noussair Mazraoui, der in der 33. Minute aus 18 Metern mit links abschloss und bei Keeper Unai Simon ein erstes Zittern hervorrief. Simon musste nachfassen. Schließlich ärgerte sich Nayef Aguerd nach einer Flanke des wie aufgedreht spielenden Sofiane Boufal darüber, dass sein Kopfball aus aussichtsreicher weder die Richtung noch den Druck für einen Torerfolg hatte (42.).
Enrique wollte auf die Schwächen seines Teams zunächst nicht reagieren, schickte nach Wiederanpfiff die Elf aufs Feld, die 45 Minuten lang zwar sehr viel gepasst, aber nichts zu Wege gebracht hatte. Erst nach gut einer Stunde brachte sich der Übungsleiter mit personellen Wechseln ein. Álvaro Morata, einer der effektivsten Joker der Welt, kam ins Spiel (für Asensio), darüber hinaus auch Carlos Soler (für Gavi) und Nico Williams (für Torres).
Trotz frischer Kräfte einerseits, trotz nachlassender Kräfte andererseits war da nicht mehr Gefahr für das Tor der Marokkaner. Mit unbändigem Einsatzwillen machte das Team um Kapitän Romain Saiss die sich nun häufenden Konzentrationsschwächen wett. Hin und wieder reichte die Energie auch noch für ein klein wenig Forechecking, wobei Unai Simon mitunter das Nervenflattern bekam, der Torhüter von Athletic Bilbao sah sich jedenfalls gleich zweimal zum wilden Befreiungsschlag gezwungen.


