Berlin-Vielleicht ist beim Berlin Marathon noch nie so deutlich geworden wie dieses Mal, was so ein Ereignis für die einen bedeutet und was für die anderen. Dass Marathonlaufen für die Profis vor allem ein Beruf ist, eine Form, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Für die Amateure, so ambitioniert sie auch sein mögen, bedeutet Marathonlaufen eher: Freude, Selbstbestätigung, Ablenkung, Passion. Dieser Eindruck jedenfalls war vielen Gesichtern der 25.000 Läufer aus 139 Ländern zu entnehmen, die sich nach der coronabedingten Absage 2020 an diesem Sonntag wieder durch Berlins Straßen bewegten. Die Profis zeigten eher die ernste, konzentrierte, kämpferische, ja hin und wieder verbissene Grimasse des Marathons. Auf den Gesichtern dahinter war öfter die Befreiung nach dem Verzicht zu erkennen, die Wirkung des Adrenalins, die Glückseligkeit, etwas Vermisstes endlich wieder zu haben.
Guye Adolas Füße brennen
Die Wiederbelebung der Laufszene hat in den Straßen Berlins mit trommelnden, trillerpfeifenden, jubelnden Zuschauern ihren Anfang genommen. Es war ein erstes, weltweites, sportliches Erwachen der Sportmetropole, bei dem viele Berliner beim Klatschen hinter den Absperrungen mehr Enthusiasmus zeigten als beim Kreuzchenmachen hinter den Wänden der Wahlkabinen. Der Berlin Marathon feierte sich selbst.
Was macht es da schon, dass der äthiopische Favorit Kenenisa Bekele nicht als Erster, sondern als Dritter ins Ziel gesprintet kam? Was macht es da schon, dass Sieger Guye Adola bei seinem bislang größten Erfolg in 2:05,45 Stunden klar unter der drei Jahre alten Bestmarke des Kenianers Eliud Kipchoge (2:01,39) blieb? Bekeles Landsmann hatte, wie all die anderen, die sich auf die 42,195 Kilometer lange Strecke gewagt hatten, mit der Wärme zu kämpfen. „Es war so heiß, meine Füße haben in meinen Schuhen gebrannt“, sagte Adola. „Aber ich habe daran geglaubt, dass ich Kenenisa schlagen kann.“ Für alle Nicht-Marathonläufer machten Temperaturen jenseits der 20 Grad diesen Septembersonntag zu einem herrlichen T-Shirt-Tag.
Bekele, der 39 Jahre alte dreimalige Olympiasieger, der 2016 und 2019 in Berlin gewann, hatte sich vor neun Monaten mit dem Coronavirus angesteckt. „Das fehlende Training war mein großes Problem“, sagte er. Voll leistungsfähige Lungen sind für Ausdauer-Profis essentiell. Vier Wochen habe er gebraucht, um sich von der Erkrankung zu erholen. „Ich wollte in Berlin gut laufen, es hat nicht wie erhofft geklappt. Meine Karriere ist deshalb nicht vorbei“, erläuterte er. Bereits in sechs Wochen will Bekele beim New York Marathon starten. Den zweiten Platz sicherte sich der Kenianer Bethwel Yegon.
Nachdem Michael Müller zum letzten Mal als Regierender Bürgermeister den Startschuss für die Spitzenläufer gegeben hatte, schlug die Spitzengruppe um Bekele ein äußerst hohes Tempo an. Der Kilometer-Schnitt pendelte sich im Bereich unterhalb von 2:55 Minuten ein. Nach zehn Kilometern (28:47 Minuten) lag Bekele noch auf Weltrekordkurs.
Berlinerin Rabea Schöneborn wird Neunte
Doch bei Kilometer 18 ließ sich Bekele zurückfallen. Seine Miene sah nach Krise aus. Elf Sekunden hinter den Führenden schien er aus dem Rennen zu sein. Bei Kilometer 25 betrug sein Rückstand nur noch fünf Sekunden, dann setzte sich der prominente Äthiopier wieder an die Spitze. Als Adola bei Kilometer 39 das Tempo verschärfte, hatte Bekele jedoch nichts mehr zuzusetzen. Auch Yegon musste er ziehen lassen. Das hohe Tempo zu Beginn hatte Tribut gefordert. Der Weltrekord war außer Reichweite.

