Dort, wo sich vor wenigen Wochen noch Alba Berlins Profiteam von den Fans verabschiedet hat, tummeln sich jetzt unter Anleitung von Trainern zahlreiche Kinder. Anders als die direkt dahinter gelegene Geschäftsstelle des deutschen Meisters und Pokalsiegers scheint der blaue, überdachte Freiplatz im Jahnsportpark keine Pause zu kennen. Während die Bälle durch die Körbe fliegen, hat sich der Pulsschlag in der Alba-Zentrale verlangsamt. Die meisten Trainer und Geschäftsstellenmitarbeiter nutzen die Sommerferien für ihren Urlaub. Marco Baldi hat kurz nach der Saison mal ein paar Tage außerhalb Berlins verbracht, ist jetzt aber eine von wenigen Personen in den Räumlichkeiten der Cantianstraße 24 in Prenzlauer Berg. Auf den Geschäftsführer von Alba Berlin warten auch in diesem Sommer viele, wenn auch vergleichsweise andere Aufgaben als sonst, wie er im Interview erzählt.
Was macht es mit Ihnen, wenn Sie in den Ferien vor der Geschäftsstelle so viele Kinder Basketball spielen sehen?
Es freut mich und macht glücklich. Ich wohne in Prenzlauer Berg und da läuft man mittlerweile vielen über den Weg, die ein Alba-Shirt tragen. Und es sind fast immer Kinder. Das ist unsere Basis, unsere Keimzelle, wenn man das so sagen kann. Vor gut 15 Jahren haben wir angefangen, massiv auch in die Breite zu investieren. Mit verschiedensten Programmen und es wird immer sichtbarer. Es war ein wunderschöner Moment, als wir hier auf dem Freiplatz mit unseren Fans und unserem Team den Saisonabschluss gefeiert haben. Circa 70 Prozent der Anwesenden waren Kinder. Viele davon spielen, alle sind begeistert und haben einen direkten Bezug – das ist einem im täglichen Arbeiten oft gar nicht so bewusst. Wenn man es dann so direkt vor Augen hat, ist es eine riesige Freude.

In den vergangenen zwei Jahren gab es diese Saisonabschlussfeier in dieser Form durch Corona nicht. Wie normal hat sich die Saison wieder angefühlt, konnte man wieder normal feiern?
Wir haben intensivst gefeiert. Nach zwei, drei Tagen reichts dann aber auch wieder. Zumindest mir. Dann ging der Blick wieder nach vorne, zumal wir auch ein paar Baustellen haben. Es war schon eine sehr erfüllende Saison, weil das Team unfassbar geschlossen agiert und alle Widrigkeiten weggesteckt hat. Ob das Corona-Fälle waren oder am Saisonanfang diese riesige Verletzungsserie und die daraus resultierenden sportlichen Rückschläge. Das wurde alles positiv verarbeitet und in Energie, Geschlossenheit und Spielfreude umgemünzt. Es war eine sehr erfüllende Saison – mit dem bestmöglichen Ergebnis. Das trägt einen, aber wir wissen auch, das sind Ausnahmesituationen.

Der Erfolg weckt ja auch Begehrlichkeiten bei anderen Vereinen. Mit welchem Gefühl geht man nach so einer Saison auseinander?
Ich gehe immer davon aus, dass alle wiederkommen – zumindest die, die einen Vertrag haben. Dieses Jahr hatten alle einen Vertrag, aber es kann, wie bei Oscar da Silva, passieren, dass Ausstiegsoptionen wahrgenommen werden.
Ärgert einen das nicht?
Damit leben wir, wir stehen nicht am Ende der Nahrungskette. In den vergangenen Jahren haben wir Abgänge immer sehr gut kompensieren können – wir haben einen Kern, der sich seit Jahren bildet, homogen und das Team sportlich und mental trägt. Die Neuen haben es dadurch leichter anzukommen, sich zu integrieren, ihre Beiträge zu leisten. Spielerisch, das hat man auch diese Saison gesehen, dauert es ein bisschen, weil freieres Spiel größere Handlungsspielräume ermöglicht, aber auch eigene Entscheidungsfindung erfordert. Und die muss mit meinem Nebenspieler koordiniert sein und das ist ziemlich anspruchsvoll. Unser Team hat sich über die Saison mit allen Rückschlägen kontinuierlich gesteigert. Als es darauf ankam, hat das Team den besten Stand erreicht – genau so, wie man es sich idealerweise vorstellt.
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— ALBA BERLIN (@albaberlin) July 8, 2022
Das Gerücht um den Abgang von Oscar da Silva gab es schon lange, Maodo Lo war zwischenzeitlich schon in Madrid. Wie gehen Sie mit solchen Gerüchten, die über Twitter oder Instagram gestreut werden, um? Nehmen Sie das überhaupt wahr?
Ich lebe schon seit sehr langer Zeit in diesem Gefilde und weiß, dass manche Gerüchte für manche Zwecke in die Welt gesetzt werden. Das hat durch die Eigendynamik von Social Media noch zugenommen. Ich meine das nicht despektierlich, aber diese Gerüchteküche interessiert mich null. Erst, wenn sich wie im Fall von Oscar der FC Barcelona, ein Klub konkret meldet, beschäftigen wir uns damit.
Im Raum stand aber zuletzt auch die Situation mit der Arena am Ostbahnhof, in der Alba Berlin nur noch in der kommenden Saison spielen darf. Das muss Sie ja interessieren. Wie ist der aktuelle Stand?
Wir sind noch im Gespräch. Natürlich ist es unser Interesse, dieses essenzielle Thema nicht nur kurzfristig anzugehen, denn eine verlässliche Heimspielstätte ist gerade für einen Klub wie Alba Berlin mit seiner großen Basis und einem Programm, das auf Entwicklung ausgelegt ist, etwas zentrales. Dieses Thema hat für uns höchste Priorität. Ich kann noch nicht vermelden, wie es in den kommenden Jahren weitergehen wird, aber wir können heute davon ausgehen, dass die Mercedes-Benz-Arena auch in der Saison 2022/23 für unsere Spiele die wesentliche Heimstätte sein wird.

Alba Berlin arbeitet intensiv an einer dauerhaften Lizenz für die Euroleague. Könnte die Situation um die Heimspielstätte negativen Einfluss auf die Entscheidung nehmen?
Ich kenne die Spielstätten der A-Lizenzler und da brauchen wir uns in Berlin grundsätzlich nicht zu verstecken – sowohl mit der Mercedes-Benz-Arena als auch mit anderen Arenen wie der Max-Schmeling-Halle. Die Spielstätte ist ein zentraler Faktor, gerade für die Ausrichtung eines Vereins. Die A-Lizenz für die Euroleague ist ein wichtiger Teil davon, aber insgesamt ist für die Entwicklung unseres Klubs eine attraktive und feste Heimspielstätte sowie ein Zentrum, wo wir unsere vielen Aktivitäten insbesondere auch im Jugend- und Sozialbereich bündeln können, von immenser Bedeutung und Wichtigkeit. Es ist unser Hauptthema.
Wie weit ist Alba Berlin mit der Arbeit an der A-Lizenz für die Euroleague?
Wir sind klarer Aspirant und vorgesehen. Jetzt muss man wissen, dass in der Euroleague im Moment unter den A-Lizenz-Inhabern gewisse Dissonanzen herrschen. Das teilt sich gerade bezüglich der künftigen Ausrichtung in zwei Lager auf. Insofern wird es erst einmal darum gehen, dass sie wieder zur Einigkeit und einem gemeinsamen Weg finden. Wir sind nach wie vor in dieser Übergangsphase zur A-Lizenz und wir gehen davon aus, dass wir sie auch erhalten, wie vorgesehen.
Die Damenmannschaft von Alba Berlin ist in die Erste Bundesliga aufgestiegen, spielte bislang in einer Seitenhalle der Max-Schmeling-Halle. Ist die überhaupt tauglich für die Erste Liga?
Wir sind noch auf der Suche. Die Lage in Berlin, was Sportarenen betrifft, ist alles andere als rosig. Wir untersuchen gerade alle Optionen und Möglichkeiten. Bis Oktober müssen und werden wir eine passende Spielstätte finden.
Was bedeutet der Aufstieg der Frauen für den Verein mit seiner sportlichen Leitung an Mehraufwand?
Wir haben vor drei Jahren die Entscheidung getroffen, das organische Wachstum der Frauen- und Mädchenabteilung so zu flankieren, dass wir ganz oben ankommen können. Das ist jetzt fast ein bisschen früh passiert, aber es gibt im Sport kein „zu früh“, sondern nur richtige Zeitpunkte, wenn man sie denn nutzt. Der Aufstieg unserer Frauen in die Erste Liga ist fantastisch und stellt uns vor neue Herausforderungen wirtschaftlicher und infrastruktureller Art. Wir sind jetzt in der Spitze angekommen und müssen schauen, dass auch dort unsere Entwicklung weitergeht. Die Luft in der Ersten Liga wird natürlich dünner, aber wir wollen das Programm Stück für Stück organisch weiterbauen. Mit jungen Spielerinnen, die aus dem eigenen Programm kommen, flankiert mit einigen erfahreneren Spielern, die auf dem Level auch schon Erfolge gefeiert haben.

Wie verpflichtet man diese Spielerinnen? Ist das zu vergleichen mit den männlichen Profis?
Das ist ziemlich anders.
Da müssen Sie sich dann also auch noch mal neu orientieren?
Im Männerbereich hat sich über Jahrzehnte das gesamte Marktgeschehen extrem professionalisiert. Es gibt praktisch keinen talentierten 16-Jährigen, der nicht mindestens einen Berater hat und mit seinem Profil in Datenbanken auftaucht. Das ist im Frauenbereich noch etwas anders, und da kommt man irgendwie zurück, was man in früheren Zeiten schon mal erlebt hat. Aber ich bin sicher, dass es auch im Frauenbereich eine steile Entwicklung geben wird.
Alba Berlin hat fünf der letzten sechs nationalen Titel gewonnen und dabei viele Spieler sichtbar entwickelt. Gibt es da nicht automatisch Anfragen von Spielern, die unbedingt nach Berlin wollen?
Manche Spieler entscheiden sich mittlerweile trotz wirtschaftlich stärkerer Angebote für uns, weil sie hier die Gewähr haben, sich optimal zu entwickeln. Es ist schon sehr ungewöhnlich, wenn man sich anschaut, wer in den vergangenen Jahren bei uns gespielt hat und welche enormen Entwicklungsschritte diese Spieler innerhalb eines dazu noch erfolgreichen Teams gemacht haben.

Ist das Zufall oder kann man das planen?
Das ist kein Zufall, denn wir haben diese Ausrichtung und eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut. Ob Individualtrainer, medizinische, mentale oder athletische Betreuung – alles steht den Spielern zur Verfügung und sie nutzen es auch. Das gilt auch für die Frauen und die Jugendleistungsteams. Und dann pflegen wir einen Spielstil, der die Verantwortlichkeit der Einzelnen fordert und fördert. Da tut man sich am Anfang vielleicht etwas schwerer. Gleichzeitig öffnet es Räume für individuelle Spezifika. Wir wollen und versuchen diesen permanenten Spagat aus Entwicklung und dem Anspruch sportlicher Exzellenz. Natürlich braucht man dafür auch die Protagonisten, die die entsprechenden Qualitäten und Haltung dafür mitbringen.
Aktuell ist es mit einem Abgang und drei Zugängen im Männerteam personaltechnisch für ein Profisportteam eher untypisch ruhig. Bleibt das so?
Himar Ojeda (Sportdirektor Alba Berlin, d. Red.) hat den ruhigsten Sommer seit Gedenken (lacht). Bis auf Tim Schneider, mit dem wir verlängert haben, sind alle Spieler unter Vertrag. Ob da jetzt noch wilde Dinge passieren, wissen wir nicht, und das ist auch nie komplett auszuschließen. Das Hauptaugenmerk von Himar liegt bei den Frauen, weil wir nach dem Aufstieg schauen wollen, dass wir in der Ersten Liga eine gute Rolle spielen können. Die Fluktuation ist aber tatsächlich sehr gering.
Das wäre ja, wie so viele Dinge bei Alba Berlin, wieder mal untypisch für eine Sportart, in der in jedem Sommer viele Spieler ausgetauscht werden.
