Trutzburg – dieses Wort passt so gar nicht zum Ballhaus des Ostens. Viel zu derb klingt es für das für viele schönste und auf jeden Fall heimeligste Stadion der Bundesliga. Andererseits versprüht es einen, wenn auch spröden, Charme, das mittelalterliche Trutz oder Trotz. Auf jeden Fall kommt es der Sache näher, denn auch die Alte Försterei hat sich im Laufe der vier Bundesligajahre des 1. FC Union Berlin zu dem entwickelt, was eine Trutzburg ausmacht: Sie ist eine Festung geworden.
1. FC Union Berlin verliert im eigenen Stadion nur in der Europa League
Ohne Niederlage sind die Eisernen im vergangenen Spieljahr geblieben, zumindest in der Bundesliga, in Europa gab es ja das ein wenig vermurkste 0:1 gegen Royale Union Saint-Gilloise. Fans mit ein wenig Galgenhumor sehen das nicht gar so eng und machen sich einen Jux draus, schließlich hat trotzdem ein Team gewonnen, das Union im Vereinsnamen trägt. Im Ernst: Diese Heimbilanz um Punkte mit elf Siegen und sechs Unentschieden ist großartig, sie ist überwältigend, sie ist geradezu unglaublich. Zugleich ist sie etwas für die Historie nicht nur der in Köpenick, sondern der in Deutschland.
Spieljahre ohne Heimniederlage sind durchaus bemerkenswert und kommen nicht gar so häufig vor. Nicht Dauer-Meister Bayern München hat es im zurückliegenden Jahr geschafft und auch nicht Fast-Titelträger Dortmund, nicht Pokalsieger Leipzig und nicht Pokalfinalist Frankfurt. Die Eisernen haben es gepackt und nur sie. Das allein ist den stehenden Applaus, mit dem das Team um Kapitän Christopher Trimmel Spiel um Spiel förmlich überschüttet worden ist, wert.
Um das als großartig einzuordnen, genügt ein Blick in die Historie. In den zurückliegenden 30 Jahren, das ist immerhin die Hälfte aller Spielzeiten seit Gründung der Bundesliga, hat es nur 14 Spieljahre gegeben, in denen wenigstens ein Team zu Hause ungeschlagen geblieben ist, in 16 Jahren dagegen ist es keiner Mannschaft gelungen. Wie selbstverständlich sind auch in dieser Kategorie die Bayern dabei, sechsmal gar, auch Dortmund (drei) und Wolfsburg (zwei) haben es mehrmals geschafft. Von manch anderem Team, das mit einer Null-Niederlagen-Heimbilanz geschmückt aus der Saison kommt, vermuten es wahrscheinlich die wenigsten: Frankfurt, Hoffenheim, Hannover (tatsächlich, 2011/12 mit sieben Remis), Leverkusen, der HSV (1995/96 mit sieben Siegen und zehn Unentschieden) und 1994/95 Kaiserslautern.
Jetzt und als vorerst letzte Mannschaft also der 1. FC Union Berlin! Das, obwohl der Start in das damalige Abenteuer Bundesliga – immer auf das Schlimme! – mit dem 0:4 gegen Leipzig seinerzeit total in die Hose ging. Außerdem folgten in der eisernen Premierensaison fünf weitere Heimniederlagen. Das war ganz schön knackig, so gegen Bremen und Frankfurt, Hoffenheim, Leverkusen und auch gegen die Bayern. Andererseits gab es sieben Heimsiege ohne Gegentor! Da schon deutete sich an, was die Stärke der Eisernen werden könnte: die stabile Abwehr. Trotz der Auftaktklatsche kassierten die Schützlinge von Trainer Urs Fischer in der gesamten Saison zu Hause nur 20 Gegentore. Das ist für einen totalen Neuling durchaus eine Hausnummer. Die Mitaufsteiger Köln mit 27 und erst recht Paderborn mit 46 konnten da nicht mithalten, selbst Bremen (36) und Hoffenheim (37) blieben deutlich zurück.
Was sich manchmal als Eintagsfliege herausstellt, hat bei den Eisernen Bestand. Die Anzahl ihrer Gegentore in der Alten Försterei ging stetig zurück von 20 über 18 zu 17 und nun zu sagenhaften elf. Kein anderes Team kassierte im zurückliegenden Jahr zu Hause auch nur annähernd so wenige Gegentore wie die Köpenicker. Das schon grenzt an Hexerei, wird aber durch die Vier-Jahres-Bilanz geradezu veredelt. Niemand, nicht einmal die Bayern, nicht Leipzig und schon gar nicht Dortmund, hat seit dem Aufstieg der Männer aus dem Südosten der Stadt in Heimspielen weniger Gegentore gefangen. In der Summe sind es 66, die Münchner haben 68 hinnehmen müssen, RB 69 und der BVB 82. Mönchengladbach und Leverkusen, immerhin so etwas wie Halbschwergewichte und bislang immer stärker eingestuft als der 1. FC Union Berlin, hinken mit 85 beziehungsweise 89 Gegentoren deutlich hinterher.
Dass die Männer um Schlussmann Frederik Rönnow, Abwehrchef Robin Knoche sowie Nach-hinten-Aufpasser-und-nach-vorn-Antreiber Rani Khedira in der Alten Försterei Heimspiele können, treibt natürlich auch die gegnerischen Trainer um. Bei Oliver Glasner, im Frühjahr mit Eintracht Frankfurt in Köpenick, klang das so: „Wir wissen, dass Union sehr heimstark ist. In der Hinrunde aber haben wie gezeigt, dass wir Skills in unserer Mannschaft haben, mit denen Union Probleme hat. Die wollen wir auch in Köpenick zeigen.“ Das Ende: 2:0 für die Eisernen.
Bruno Labbadia, kurz zuvor in Stuttgart an Bord gekommen, schätzte die Lage so ein: „Es ist toll anzusehen, wie Union als Mannschaft funktioniert. Sie sind in alle Richtungen unglaublich kompakt. Man muss immer gegen ein extremes Bollwerk arbeiten.“ Schade für ihn, nach dem 0:3 musste er seinen Hut nehmen. Thomas Letsch, mit Bochum tief im Abstiegskampf, warnte seine Mannschaft so: „Union hat eine super Heimbilanz. Wir dürfen ihnen nicht in die Karten spielen.“ Wenigstens sein Plan ging mit einem 1:1 halbwegs auf.
23 Bundesliga-Heimspiele in Folge ist der 1. FC Union Berlin ungeschlagen
Inzwischen sind es 23 Heimspiele ohne Niederlage. Ein richtiges Pfund ist das. Seit dem 13. Februar vorigen Jahres, seit Dortmund durch zwei Tore von Marco Reus und eines von Raphael Guerreiro mit 3:0 die Punkte mitnahm, hat niemand mehr die Alte Försterei gestürmt. In der damaligen Startelf standen Andreas Luthe, Grischa Prömel, Bastian Oczipka, Levin Öztunali, Taiwo Awoniyi … Es ist eine Mannschaft aus einer gefühlt anderen Zeit. Gebröckelt hat die Festung danach ab und an doch, aber nur so, als ob sich, wie nach Öffnung der Grenze, Mauerspechte an ihr versucht hätten und nur ein paar Splitter herausschlagen konnten.




