Kommentiert wurde erst fleißig am Tag danach. Auf seinen Social-Media-Kanälen und der Internetseite hatte der 1. FC Union noch einmal das gezeigt, was er am Vorabend den Anwesenden auf der Mitgliederversammlung präsentiert hatte: Die Entwürfe des geplanten Geländes rund um das Stadion An der Alten Försterei. Was in den zahlreichen Kommentaren größtenteils als positiv empfunden wurde, hatte wenige Stunden zuvor Begeisterung unter den rund 1472 anwesenden Mitgliedern im Tempodrom ausgelöst.
Eisern waren zumindest rund 600 von ihnen bis kurz vor 0 Uhr geblieben, wirkten am Ende eines ereignisreichen Abends und am Beginn eines neuen Tages in erster Linie reif für das Bett. Auf große Diskussionen rund um das Gesehene und Gehörte wurde auf dem Weg zum U-Bahnhof Möckernbrücke verzichtet, fünf Stunden mit vielen beeindruckenden Zahlen, Ehrungen, Informationen und der Wahl des Aufsichtsrates hatten müde gemacht.
Union-Sticker auf den Schildern zum Tempodrom angebracht
Das sah vor Beginn der ersten Präsenzveranstaltung dieser Art seit zwei Jahren noch ganz anders aus. Wer da dem Weg so einiger Union-Anhänger folgen wollte, musste nur auf die Verkehrsschilder auf den Wegen von S- und U-Bahnhöfen schauen. Die wurden am Abend um ein paar Union-Aufkleber reicher und schilderten Nachkömmlingen den Weg perfekt aus.
Während auf dem benachbarten Sportplatz am Anhalter Bahnhof unter Flutlicht gekickt wurde, erstrahlte das Dach des Tempodroms in einem kräftigen Rot-Ton, nutzten alle Union-Mitglieder, die sich angemeldet hatten und auch tatsächlich gekommen waren, die einzelnen Eingänge, um sich hineinzuschlängeln. Nachos und Popcorn ließen dort eher das Gefühl eines Kinobesuchs (mit Überlänge, wie sich später herausstellen sollte) aufkommen, auf den sonst uniontypischen Geruch von Bratwurst musste man mit „Anstoß“ der Veranstaltung diesmal verzichten.
Etwas zu früh, nämlich sechseinhalb Minuten vor dem eigentlichen Beginn, hatten die Protagonisten des Abends auf der Bühne bereits ihre Plätze, die den Sitzschalen in der Alten Försterei ähnelten, eingenommen und wurden auf dem Weg dorthin von den bereits zahlreich vertretenen Union-Mitgliedern mit warmem Applaus begleitet. Nicht nur das Profiteam, sondern erstmals auch das Frauenteam der Eisernen dürfte diesen Moment und den weiteren Abend von der Bühne genießen. Das Singen der Hymne, die ersten warmen Worte, die ersten Ehrungen. Selbst an ein Duo, das für die kleine Gruppe gehörloser Mitglieder selbst die Hymne, aber vor allem die weiteren Reden im Verlauf des Abends in Gebärdensprache übersetzte, hatten die Eisernen gedacht.
Nach zweijähriger Pause in einem solchen Rahmen war allen Beteiligten, egal ob auf oder vor der Bühne die Freude darüber, einen solchen Abend gemeinsam verbringen und feiern zu können, von Beginn an anzumerken. Nahezu jede Rede, kurz oder lang, jede Ehrung, ob Geburtstag oder Ehrennadel, wurde immer wieder durch Eisern- und/oder Union-Rufe unterbrochen und mit Klatschen sowie Jubel honoriert.
Vergessen war die 1:4-Niederlage des Spiels in Freiburg vom Tag zuvor und wurde von den Mitgliedern einfach weggeklatscht, als Urs Fischer an das Rednerpult trat. Kaum hatte der Trainer für das Jahr 2022 mit all seinen Höhen das Wort „Wahnsinn“ ausgesprochen, wurde er prompt dafür von den Rängen gefeiert. Kurz zuvor hatte auch Ailien Poese schon über ihre bisherigen Spiele als Trainerin der Frauenmannschaft gesprochen und sich darüber gefreut, endlich „wieder zurück in der Heimat“ zu sein. Nun aber ließ Fischer vor allem die jüngsten Europa-Erlebnisse Revue passieren. Und gab das Versprechen ab, wenn es die Zeit zulasse, auch mal ein Spiel der Frauen zu schauen, woraus auf der Bühne der Gedanke eines Teamevents, wie es die Frauen kürzlich beim Europa-League-Spiel gegen Braga getan hatten, entstand.
Während bei Hertha BSC im kommenden Jahr erst noch eine Frauenmannschaft aufgebaut werden soll, saß sie bei den Unionern auf der Bühne und soll auch künftig die volle Unterstützung des Präsidenten erhalten. „Ihr seid tolle Repräsentantinnen unseres Vereins. Wir werden alles tun, um euch auf dem Weg in den Profibereich zu unterstützen“, sagte Dirk Zingler.
Das Generationenprojekt: Die Alte Försterei der Zukunft 🤩 pic.twitter.com/AZ5EgUTxa7
— 1. FC Union Berlin (@fcunion) November 15, 2022
Der ging neben den weichen Zahlen des Abends, den 175.341 Litern ausgeschenktem Bier, den 29.789 Fahrkilometern in allen Wettbewerben oder den 64.201 verkauften Bratwürsten, auch proaktiv auf zwei kritische Themen der vergangenen Wochen ein: den Ausschreitungen beim Europa-League-Spiel in Malmö und dem Besuch von Ungarns Präsidenten Victor Orbán. „Dafür haben uns viele kritisiert“, sagte Zingler über Orbáns Aufenthalt im Rahmen eines Treffens mit Union-Profi András Schäfer auf dem Gelände An der Alten Försterei. „Es war ein privates Treffen, wir haben uns entschieden, András in dieser Situation nicht alleinzulassen. Ich würde das immer wieder tun und wir müssen das aushalten.“
Nicht nur nach diesen Aussagen, sondern auch nach Zinglers Lösungsansatz, die aus seiner Sicht beschämenden und unerträglichen Geschehnisse von Malmö innerhalb der Fanszene regeln zu lassen, fiel der Applaus etwas verhaltener aus. Bloß gut, dass der Union-Präsident auch die aktuelle Mitgliederzahl von 48.364 Unionern, die beeindruckenden Zahlen der Jahresbilanz des Vereins, aber vor allem ein wichtiges Papier in der Hinterhand hatte.
Mit einem kleinen Video als Hinführung auf den gefühlten Höhepunkt des Abends konnte Dirk Zingler ein ganz besonderes Schreiben in die Kamera halten. „Zum ersten Mal in der Geschichte sind wir Eigentümer des Geländes An der Alten Försterei“, sagte er und präsentierte um 21.29 Uhr den Kaufvertrag – Standing Ovations, kaum enden wollender Beifall und ein Präsident, dem man den Stolz von der Stirn ablesen konnte.
Der Umzug ins Olympiastadion findet nicht nur Fürsprecher
Freudiges Staunen und ein lang gezogenes „Oooohhh“ waren danach bei den Bildern zum geplanten neuen Stadion und den weiteren Erweiterungen, wie etwa einem Parkhaus, unter den Mitgliedern ebenso zu vernehmen wie das eine oder andere „Buuuh“, als Zingler verkündete, dass die eiserne Familie für die Sanierung des eigenen Wohnzimmers mindestens in der Saison 2024/25 im Olympiastadion spielen werde. „Ein Generationenprojekt“, als welches der Präsident diesen Umbau bezeichnete. Dass es dazu natürlich allerhand Nachfragen gab, wusste Zingler genau, sprach deshalb schon vor der kurzen Präsentation davon, dass man das gesamte Vorhaben im März des kommenden Jahres noch ausführlicher vorstellen werde.

