Böller(verkaufs)verbot an Silvester. Und alle regen sich auf. Unser jährlich Feinstaub gib uns heute! Denn seit Jahren ist bekannt, dass die Knallerei in der Silvesternacht – so schön und traditionell sie auch sein mag – sehr viel schlechte Luft mit sich bringt. Am Neujahrsmorgen ist die gesundheitsgefährdende Feinstaubbelastung so hoch wie an keinem anderen Tag im Jahr. Darüber hinaus verletzen sich Menschen an Knallkörpern (Verbrennungen, Augenverletzungen, Hörschäden), weil sie sie unsachgemäß abfeuern oder dabei betrunken sind. Es wird Müll ohne Ende produziert, darunter viel Plastik. Hinzu kommt, dass große Menschenansammlungen in der derzeitigen pandemischen Lage verhindert werden sollen.
Es gibt also viele Gründe, weshalb die Politik sich zu dem Verkaufsverbot entschieden hat. Was jedoch kaum irgendwo eine Rolle spielt: Die Knallerei hat vor allem auch auf die in der Stadt lebenden Wildtiere gravierende, teils sogar tödliche Auswirkungen. Es interessiert sich nur nicht jeder dafür. Dabei leben wir mit so vielen Tieren zusammen: Tauben, na klar, Eichhörnchen, Nebelkrähen, Spatzen. Es gibt in Berlin aber auch Füchse und Wildschweine, Biber, Marder, Mäuse, Igel – und unzählige Arten mehr. Und keine von denen mag Feuerwerkslärm, was vor allem bei Vögeln durch Studien belegt ist.
„Vögel beispielsweise sind Tiere, die sich primär mit ihrem Sehsinn orientieren“, weiß Tierärztin Dr. Kathrin Herrmann, Berlins Landestierschutzbeauftragte. Lärm und Lichtblitze sorgen für immensen Stress. „Das Feuerwerk führt dazu, dass sich die Vögel auch in ihren Rückzugsorten, wie beispielsweise Baumkronen, nicht mehr aufhalten können. Sie können sich in der Silvesternacht nicht in Sicherheit bringen.“ Stattdessen fliehen sie, flattern sozusagen um ihr Leben, finden aber keine ruhigen Orte zum Ausruhen. „Die Vögel fliegen oftmals bis zur Erschöpfung, fallen dann nicht selten vom Himmel und versterben“, so die Expertin.
Bei Stress reagieren Tiere mit einer steigenden Herzfrequenz. „Es kann sogar zum Schock kommen – einem lebensbedrohlichen Zustand. Plötzlicher Tod, zum Beispiel mitten im Fliegen, kann die Folge sein“, warnt Dr. Kathrin Herrmann. „Darüber hinaus sind natürlich auch unmittelbare Gefahren durch die Pyrotechnik zu nennen.“ Wildtiere können Verbrennungen erleiden, aber auch von herabfallenden Feuerwerksteilen getroffen werden. Und jeder, der vielleicht schon mal so einen kleinen Holzstab einer Rakete abbekommen hat, weiß, wie weh das tut.
„Die Tiere der Stadt sind der Böllerei schutzlos ausgeliefert“, sagt Ansgar Poloczek, Artenschutzreferent beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). „Das trifft hauptsächlich die größeren Tiere, also Säugetiere und Vögel.“ Für Letztere gibt es eine relativ gute Studienlange – und das Fazit ist stets das gleiche: Durch Feuerwerk kommt es zu teils gravierenden Störungen für Vögel. Sogar Todesfälle sind belegt. „Die Knallerei hat eine Schreck- und Scheuchwirkung, weshalb die Vögel aufflattern, und zwar höher und länger als üblich. Dadurch verbrauchen sie bis zu 20 Prozent ihrer Reserven, die dann natürlich im weiteren Verlauf des Winters fehlen. Ähnlich geht es den Säugetieren, die eigentlich Winterruhe halten und dabei gestört werden“, erklärt der Biologe.
Es ist also möglich, dass die aufgescheuchten Tiere im Verlauf des Frühjahrs sterben, sofern sie die Silvesternacht überleben. „Der Winter ist für alle Tiere die physiologisch schwierigste Zeit, weil das Futterangebot knapp ist. Sie müssen mit ihrer Energie haushalten“, so Nabu-Experte Ansgar Poloczek. Eine durch die Böllerei verursachte Flucht verbraucht zu viel Energie. „Bei Vögeln ist es auch so, dass sie zum Teil ihr Revier verlassen und sich erst einen neuen Unterschlupf suchen müssen.“ Der Tierschützer sagt ganz klar: „Das Böllerverbot ist ein Geschenk für alle Tiere.“
Genau so sieht es auch Derk Ehlert, Wildtierexperte bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. „Jedwede Knallerei ist für Tiere schrecklich, dramatisch und gefährlich. Und das liegt vor allem auch daran, dass sie ein um so viel besseres Gehör haben als wir. Feuerwerkskörper sind für Tiere ein massives Knallerlebnis, das sie in Panik versetzt“, sagt der Wildtierreferent des Landes Berlin. „Das ist wirklich massiver Stress für die Tiere. Jeder Hunde- oder Katzenbesitzer kann ein Lied davon singen. Für Wildtiere ist es um ein Vielfaches schlimmer.“
Egal, ob im Tiergarten oder am Potsdamer Platz, in Gesundbrunnen oder im Treptower Park – gefährdet sind die Wildtiere überall, weil sich der Schall der Böller weit ausbreitet. „Zudem gibt es auch genug Menschen, die gezielt auf eine Lichtung gehen oder auf einen Hügel, um dort zu böllern“, weiß Derk Ehlert. „Zwar sind die Stadttiere Lärm gewohnt, durch den Autolärm beispielsweise, aber derart plötzlich und stark auftretender Krach wie an Silvester versetzt sie in den Fluchtmodus.“ Und das ist evolutionär tief in allen Lebewesen verankert: Flucht oder Kampf. Bei Gefahr entscheidet man reflexhaft, Mensch wie Tier.
Dieser „Silvesterschock verfolgt die Tiere tagelang“, so Derk Ehlert. Jäger und Jägerinnen wissen, dass aufgeschreckte Tiere sich teilweise zwei bis drei Tage lang nicht sehen lassen; sie verstecken sich, trauen sich nicht, auf Nahrungssuche zu gehen. „Neben den Vögeln verbinden vor allem Wildtiere wie Hasen, Wildschweine und Rehe mit einem Knallgeräusch Gefahr und rennen los.“ Durch anhaltende Knallerei flüchten sie bis zur Erschöpfung. „Das kann durchaus den Tod bedeuten“, so der Wildtierreferent. „Vor fünf Jahren habe ich am Neujahrsmorgen am Alex mal über zehn tote Krähen unweit ihres Schlafplatzes gesehen. Das wird sicher kein Zufall gewesen sein, die sind vermutlich durch den Schock ums Leben gekommen.“
Bei der Flucht, vor allem wenn sie länger dauert, kann es passieren, dass die Wildtiere auf die Straße laufen und angefahren werden. „Nachweisen lässt sich das nicht“, so Derk Ehlert. „Den Fuchs, der am Neujahrsmorgen tot am Straßenrand liegt, kann man nicht fragen, ob er überfahren wurde, weil er Pech hatte oder weil er vor dem Lärm flüchten wollte.“ Besonders schlimm ist der nächtliche Lärm für Tiere, die tagaktiv sind, also nachts schlafen. „Die sind in der Nacht orientierungslos“, weiß Derk Ehlert. „Sie werden aus dem Schlaf gerissen und schalten sofort in den Fluchtmodus.“
Tierheim-Sprecherin Beate Kaminski hat das sogar schon selbst bei sich am Fenster beobachtet: Tauben flattern hektisch umher wegen der Böllerei, fühlen sich gejagt und kommen nicht zur Ruhe. So würden die Tiere aus ihren Nestern vertrieben, beschreibt sie: „Nach Silvester werden immer wieder verletzte oder tote Tiere gefunden – ein vermeidbares Leid. Außerdem verunreinigen der Feinstaub der Silvesterknaller und -raketen und der ganze Müll nicht zuletzt auch den Lebensraum dieser Tiere, also Blätter, Erde, Sträucher.“ Die Tierheim-Tiere selbst seien gut geschützt untergebracht, sodass es keiner besonderen Schutzmaßnahmen bedarf.
Wie schütze ich mein Haustier?
Hundehalterinnen und -haltern rät Beate Kaminski, die letzte Gassirunde möglichst am Nachmittag zu erledigen, um nicht im Dunkeln durch den Krach und die Lichtblitze laufen zu müssen. Und: „Auch wenn der Hund normalerweise nur Halsband und Leine trägt oder sogar ohne Leine laufen darf, sollte er rund um Silvester ausnahmslos angeleint und mit einem gut sitzenden Geschirr geführt werden, aus dem er sich nicht im Schreck herauswinden kann“, rät die Tierheim-Sprecherin. „Die Telefonnummer des Besitzers sollte sich zudem gut sichtbar am Halsband befinden.“
Hunde und Katzen sollten unbedingt bei einem der beiden Haustierregister, Findefix oder Tasso, registriert sein, was die Chancen erhöht, entlaufene Haustiere schnell wiederzubekommen. Um das im Vorfeld zu verhindern, sollten Sie in der Silvesternacht Katzenklappen verschließen, ebenso alle Fenster und Türen. Während des Feuerwerks sollten Sie mit „Vorhängen oder Jalousien die Sicht nach draußen blockieren. Auch ist es hilfreich, ruhige Musik in einer passenden Lautstärke abzuspielen, um die dröhnende Geräuschkulisse des Feuerwerks abzumildern“, empfiehlt Beate Kaminski. „Vogelvolieren oder Kleintier-Gehege sollten Sie gegebenenfalls vom Fenster wegrücken und zusätzlich mit einem Tuch abdecken.“
Ganz wichtig: Lassen Sie Ihr Tier nicht allein. „Die Anwesenheit einer Bezugsperson wirkt stressmindernd vor allem auf Hunde und Katzen. Manch ein Stubentiger freut sich über eine Spieleinheit während des Feuerwerks – das lenkt ab und macht Spaß. Wenn alles nichts nützt und sich ein Tier nur verkriechen möchte: Einfach machen lassen. Eventuell sogar helfen, indem ein besonders geschützter, kuschliger Platz eingerichtet wird, den das Tier als sichere Höhle benutzen kann“, so die Tierheim-Sprecherin.
Und wie verbringen die Tiere in Zoo und Tierpark die Silvesternacht?
Die meisten Tiere verbringen die lauteste Nacht des Jahres in den Innenanlagen. Dort sind sie weitgehend geschützt. Aber: „Wenn rund um den Zoo lautstark gefeiert wird, bleiben die Tiere in ihren Stallungen davon jedoch nicht ganz unbeeindruckt. Gerade die Knallkörper, die schon vor der erlaubten Uhrzeit gezündet werden, registrieren die Tiere durchaus. Antilopen und Giraffen zucken bei besonders lauten Böllern auch schon mal zusammen“, teilt der Zoo mit. Im Tierpark hingegen leben die empfindlichen Tiere eher im Inneren des Parks, am Rand überhaupt nur wenige Tierarten. Zwar sind die Böller überall zu hören, aber die Laustärke ist im Inneren nicht ganz so stark. Denn der Tierpark ist 160 Hektar groß, der Zoo hingegen nur 33 Hektar.
Hirsche, Greifvögel und Eulen bleiben nachts allerdings draußen, auch über Silvester. Im Tierpark außerdem noch Wisente, Kamele sowie Waldbisons, und im Zoo die Robben und die Krauskopfpelikane.







