Berlin-Es gibt nicht genug Worte, um die Beschwerden zu beschreiben, die mit einer Harnwegsinfektion einhergehen können: ein brennendes, stechendes Gefühl beim Pinkeln. Druck im unteren Bauchbereich, Urin, der getrübt ist und unangenehm riecht, Übelkeit und Unwohlsein – und ein ätzendes Bedürfnis, ständig aufs Klo gehen zu müssen, auch wenn es beim Wasserlassen letztlich nur tröpfelt. Als würde der Unterleib, über mehrere Tage hinweg, einen schmerzvollen Kampf gegen den eigenen Körper führen.
Der Harnwegsinfekt ist die häufigste Infektionskrankheit bei Frauen. Unterschieden wird dabei zwischen Zystitis, der Blasenentzündung, Urethritis, der Harnröhrenentzündung, und Urozystitis, einer gemeinsamen Entzündung von Blase und Harnröhre. „Die Krankheitserreger sind in aller Regel solche, die ohnehin im Intimbereich vorhanden sind, meist aus dem Darm kommen und sich dort zum Beispiel auch durch falsche Hygiene übermäßig vermehren können“, erklärt Christian Albring, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF). Außerdem gibt es noch die interstitielle Zystitis, eine hochschmerzhafte, chronische Blasenentzündung, bei der keine Keime nachgewiesen werden können. „Wahrscheinlich werden die Symptome dadurch ausgelöst, dass die Blasenwand sich nicht ausreichend gegen den Urin schützen kann“, sagt er.
Laut der aktuellen Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) sind die häufigsten Erreger unkomplizierter Harnwegsinfektionen das Bakterium Escherichia coli und Enterokokken, gefolgt von den Bakterien Staphylococcus saprophyticus, Klebsiella pneumoniae und Proteus mirabilis. Die Erreger, die also im Darm natürlich vorkommen und dort keinen Krankheitswert besitzen, gelangen vom Darmausgang zur Harnröhre, infizieren die Zellen, die die Harnröhrenwand auskleiden, bilden sogenannte intrazelluläre Bakteriengemeinschaften, und steigen nach oben, in die Blase auf.
Saures Milieu in Vagina hemmt krankmachende Keime
Häufig sei auch das bakterielle Gleichgewicht in der Vagina gestört, in der normalerweise sogenannte Laktobazillen, also Milchsäurebakterien, die abgeschilferte Hautzellen auflösen und daraus Milchsäure gewinnen, sagt Albring. Dieses saure Milieu, die auch den Eingang der Harnröhre schützt, hemmt krankmachende Keime. „Fehlt dieser Schutz, dann bereitet das nicht nur Infektionen der Vagina den Boden, sondern auch Infekten der Harnwege“, so Albring weiter. Ein wichtiger Schutz der Harnröhre sei auch die innere Schleimhautschicht, die normalerweise das Lumen fest verschließen und abdichten soll. Diese reagiere empfindlich auf Kälte und Nässe und verliere dabei ihre schützende Funktion.
Ein weiterer Grund: Mangel an Östrogen. Nach den Wechseljahren fehle dem Epithel in der Vagina, aber auch in der Harnröhre, das Östrogen, das die Haut aufbaue. Die Schleimhaut wird dadurch durchlässiger und somit anfälliger. Auch Diabetes, Stress, Rauchen, körperliche Belastung sowie schwere Erkrankungen und Therapien, die das Immunsystem angreifen oder die Östrogen-Produktion des Körpers blocken, würden das Risiko für Harnwegsinfekte erhöhen, so der Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, der in Hannover eine Praxis hat. Menschen, die auf Katheter angewiesen sind, wie querschnittsgelähmte Personen, sind ganz besonders häufig von Harnwegsinfektionen betroffen.
Mit der Pille würden häufige Harnwegsinfekte nicht zusammenhängen, sondern eher daran, dass Frauen möglicherweise häufigen Geschlechtsverkehr haben. Die Schleimhaut wird mechanisch beansprucht – das macht es den Erregern leichter, in den Harntrakt aufzusteigen. Was ebenfalls bekannt ist: Neigt eine Frau zu Entzündungen im Intimbereich, sollte sie das Diaphragma nicht anwenden. Manchmal wird auch von einer Hormonspirale, die ebenfalls zur Reizung der Schleimhaut führt, abgeraten. Wer an einer akuten Zystitis leidet, sollte in jedem Fall auf Sex verzichten, da die Bakterien übertragen werden können.
Urin-Teststreifen für Diagnose von Zystitis nicht genau genug
Mindestens jede zweite Frau und jeder zehnte Mann erleiden im Laufe ihres Lebens eine Harnwegsinfektion, heißt es auf der Seite der medizinischen Fakultät der Harvard University. Laut AWMF-Leitlinie liegt die Inzidenz des Harnwegsinfekts über alle Altersgruppen hinweg – also Erkrankungen pro Jahr – bei Frauen bei 0,7, bei Männern bei 0,5 Prozent, so Albring. Wieso Frauen häufiger betroffen sind als Männer, liegt an der Anatomie: Zum einen haben Frauen eine viel kürzere Harnröhre, wodurch der Weg der Bakterien ein ebenso kurzer ist. Außerdem liegen Harnröhre und After bei Frauen näher zusammen als bei Männern. Bei Männern ab 50 Jahren können Veränderungen an der Prostata die Häufigkeit eines Harnwegsinfektes ansteigen lassen. „Beim Mann ist eine Blasenentzündung fast immer mit einer Entzündung der Prostata verbunden“, warnte zum Beispiel Wolfgang Bühmann, Sprecher des Berufsverbandes der Deutschen Urologen, auf Berlin.de.
Etwa ein Drittel der Frauen, die eine Blasenentzündung bereits durchgestanden haben, erleiden in kurzer Zeit wieder eine. Je häufiger eine Infekt auftritt, desto gereizter ist die Blasenschleimhaut – und damit auch anfälliger für die nächste Infektion. Wenn Betroffene mehr als zweimal im Jahr eine Blasenentzündung durchmachen, sprechen Medizinerinnen von einem chronischen Harnwegsinfekt. „Die Gründe für solche belastenden, ständig wiederkehrenden Infektionen muss man nach und nach in jedem Einzelfall herausfinden“, sagt Albring. „Die Urin-Teststreifen, die zur Schnelldiagnostik verwendet werden, sind nicht genau genug für eine exakte Diagnose.“
Meist werde der Urin bei derartigen Fällen abgenommen, ins Labor geschickt und dort auf Erreger untersucht. Es werde ein sogenanntes Antibiogramm durchgeführt, also eine mikrobiologische Untersuchung, bei der die Wirksamkeit verschiedenster Antibiotika gegen Bakterien ausgetestet wird. „So können unsinnige Behandlungen mit individuell unwirksamen Antibiotika vermieden werden“, sagt der Frauenarzt. Wichtig sei es, dass der behandelnde Mediziner den wiederkehrenden Infekten auf den Grund geht und sich Zeit für die Beratung nimmt.
Harnwegsinfekt: Spontanheilungsquote liegt zwischen 30 und 50 Prozent
Doch die Einnahme von Antibiotika ist nicht immer zwingend erforderlich. Die Spontanheilungsraten der akuten, unkomplizierten Zystitis sind nach Angaben der AWMF hoch: Sie liege nach einer Woche bei etwa 30 bis 50 Prozent. In einer im British Medical Journal veröffentlichten Studie wurde der Effekt einer symptomatischen Behandlung mit dem Schmerzmittel Ibuprofen mit einer sofortigen Behandlung mit dem Antibiotikum Fosfomycin verglichen. Mehr als 240 Frauen zwischen 18 und 65 Jahren wurden jeweils einer Therapiegruppe zugewiesen. Das Ergebnis: 70 Prozent der Patientinnen, die kein Antibiotika eingenommen haben, sei nach einer Woche beschwerdefrei gewesen, bei der Fosfomycin-Gruppe seien es dagegen 80 Prozent gewesen. Auf Grundlage dieser Studie schreibt auch das AWMF, dass Patientinnen mit einer akuten Zystitis eine nicht-antibiotische Behandlung angeboten werden könne. In Zeiten, in der Antibiotikaresistenzen auch in Deutschland weiter zunehmen und nach wie vor zu den größten Herausforderungen für die globale Gesundheit zählen, eine wichtige Botschaft.
„Natürlich kann eine leichte Blasenentzündung auch von allein ausheilen. Die wichtigste und ganz akute Gefahr ist die, dass die Keime aus der Blase durch die Harnleiter im Liegen in die Niere aufsteigen und eine Infektion des Nierenbeckens auslösen“, betont Albring. Symptome für eine Verschlimmerung: Blut im Urin, danach zunächst Schmerzen in den Seiten und dann Schmerzen im Rücken kurz unterhalb der Rippen rechts und links der Wirbelsäule. Sind die Nieren betroffen, komme häufig hohes Fieber dazu – und der Infekt kann die Nieren schädigen. „Spätestens jetzt muss die Infektion unbedingt mit wirkungsvollen Antibiotika gestoppt werden“, sagt er. Eine Unfruchtbarkeit, wie fälschlicherweise häufig behauptet, könnte durch einen Harnwegsinfekt nicht ausgelöst werden, sondern nur durch Keime in der Scheide, die in die Eileiter aufsteigen und dort zu Verklebungen führen können.
Und wieso wird die Immunprophylaxe Strovac bei Menschen mit chronischer Blasenentzündung nicht generell empfohlen? Es handelt sich dabei um eine Impfung, die eine Auffrischung nach einem Jahr erfordert. „Nur mit einer Empfehlung der Stiko, der Ständigen Impfkommission, kann eine Impfung zur Kassenleistung werden“, sagt Albring. „Dazu müssen bei der Stiko entsprechende Studien vorgelegt werden.“ Manche Kassen würden die Immunisierung gegen häufige Erreger von Harnwegsinfekten – Escherichia coli, Proteus mirabilis, Klebsiella pneumoniae, Enterococcus faecalis, Morganella morganii – nichtsdestotrotz bezahlen, jedoch auf Antrag als Einzelleistung. Es gebe allerdings auch zahlreiche andere mögliche Erreger von Harnwegsinfekten, gegen die die Strovac-Impfung nicht immunisiere. „Wenn trotz Antibiotika-Gabe die Infekte ständig wiederkehren, ist es wichtig, die Erreger genau zu definieren und daraus dann eine Handlungsstrategie abzuleiten“, sagt er.
Hygiene: Keine Seife zwischen Schamlippen
Und auch wenn sie altmodisch und längst überholt klingen: Menschen können selbst sehr viel tun, um Blasenentzündungen vorzubeugen. Nasse Badesachen sofort ausziehen zum Beispiel (siehe die bereits erwähnte Nässe und Kälte), oder nach dem Stuhlgang von vorne nach hinten wischen, damit Bakterien nicht verschleppt werden. „Wenn eine Frau den Eindruck hat, dass ihre Harnwegsinfekte vor allem nach dem Sex auftreten, dann solle sie unbedingt vorher noch etwas trinken, gleich nach dem Geschlechtsverkehr auf die Toilette gehen“, sagt Albring. Ohnehin sollte man sofort Wasserlassen, und die Blase auch komplett entleeren. Generell gilt: Wer viel Flüssigkeit aufnimmt, und häufig aufs Klo geht, beugt vor, dass sich Bakterien in der Harnröhre festsetzen können. Entscheidend ist nicht die Qualität, sondern die Quantität des Trinkens, also über drei Liter egal welcher Flüssigkeit, so Albring weiter.
Expertinnen und Experten raten Unterwäsche aus Baumwolle statt aus synthetischem Material wie Nylon zu tragen, wie es auch auf der Seite des britischen Nationalen Gesundheitsdienstes (NHS) zum Thema heißt. Außerdem: richtige Hygiene. „Wichtig ist es vor allem, dass zwar der Analbereich mit Seife oder Duschgel gereinigt wird. Aber zwischen die Schamlippen sollte keine Seife kommen, um das Milieu, den natürlichen Selbstschutz der Schleimhaut und den sauren pH-Wert nicht ständig zu stören“, sagt Albring.
Es gebe auch Möglichkeiten, die Scheidenflora zu stärken. Mittel, um den pH-Wert der Vagina zu stabilisieren, oder auch um lebende Milchsäurebakterien wieder in die Vagina hineinzubringen, seien aber nur in Ausnahmefällen eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen, etwa nach gynäkologischen Operationen, betont der BVF-Präsident. Ein wirksames Prinzip sei die Einnahme der D-Mannose – ein Zuckermolekül, das über die Niere in den Harn gelangt, in der Blase dann spezielle Darmbakterien vom Typ Escherichia coli ummantelt und diese daran hindern soll, die Wand von Harnröhre und Blase zu befallen. „Mannose ist rezeptfrei und wird deshalb von den Krankenkassen nicht erstattet. Wenn eine Frau unter ständig wiederkehrenden Harnwegsinfekten leidet und wenn klar ist, dass Escherichia coli die Auslöser sind, kann eine Selbstbehandlung mit Mannose versucht werden“, so Albring. Was ist mit Östrogenzäpfchen für Frauen in der Menopause? Bei wiederkehrenden Infekten – und noch vor einer antibiotischen Langzeit-Prävention – definitiv ratsam, findet er.
Eine wissenschaftliche Evidenz, dass pflanzliche Mittel bei Harnwegsinfekten helfen können, existiert nicht. Einen Beweis für den Nutzen von Cranberry-Produkte gibt es zum Beispiel keine, wie Forschende in The Lancet zusammenfassen. Bei der Anwendung von pflanzlichen Mitteln, egal ob als Tee oder Dragee, gehe es eher um eine Stärkung in den symptomfreien Zeiten, sagt Christian Albring. Ist erst einmal ein akuter Harnwegsinfekt eingetreten, helfen pflanzliche Arzneimittel nicht schnell genug. Haben alle Allgemeinmaßnahmen nach drei Tagen keine Besserung gebracht, müsse unbedingt eine Frauenärztin oder ein -arzt aufgesucht werden. Der Versuch, einen akuten Harnwegsinfekt mit einem homöopathischen Mittel zu bekämpfen, sei hochriskant und führe eher zur Verschleppung und Verschlimmerung.






