Seit einiger Zeit sind High-Protein-Produkte schwer im Trend, überall Reklame, Influencer schwören drauf, die Supermarktregale sind voll. Selbst Süßigkeiten wie Schokoriegel und Pudding werben mit dem hohen Eiweißanteil, sodass man fast auf den Gedanken kommen könnte, das Naschwerk sei eigentlich ziemlich gesund. Kann das sein?
Wir haben mit Allgemeinmedizinerin Dr. Silja Schäfer, bekannt von den NDR-„Ernährungsdocs“, gesprochen. Und sie sagt ganz klar: „Im Prinzip braucht niemand, der sich ausgewogen ernährt, derartige Spezialprodukte, abgesehen vielleicht von Leistungssportlern. Und natürlich bleibt eine Süßigkeit auch mit hohem Proteingehalt genau das: etwas Süßes, nichts Gesundes.“
Was bedeutet High Protein eigentlich?
Protein ist Eiweiß und gehört neben den Fetten und Kohlenhydraten zu den drei großen Makronährstoffen, die für uns lebenswichtig sind. „Die kleinsten Bausteine der Proteine sind die Aminosäuren. Sie sind am Aufbau aller Zellen beteiligt, also der Baustoff unseres Körpers. Bestimmte Aminosäuren können wir nicht selbst herstellen, brauchen sie aber unter andere, für die Muskeln, für die Hormonbildung und auch fürs Immunsystem“, erklärt Schäfer.
Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) dürfen Lebensmittel „die Angabe ‚Proteinquelle‘ tragen, wenn mindestens 12 Prozent des Energiegehalts aus Protein stammen. Bei Angaben wie ‚High Protein‘ müssen mindestens 20 Prozent des Energiegehalts aus Protein sein. Das ist zum Beispiel bei Pudding der Fall, der 80 Kilokalorien (kcal) und 10 Gramm Protein enthält“, so die Ernährungsfachleute.
Und weiter schreibt die DGE: „Hersteller nutzen den Trend und loben Lebensmittel mit natürlicherweise hohem Proteingehalt wie zum Beispiel Quark als Proteinquelle aus. Weitere proteinreiche Lebensmittel sind z.B. Skyr, Nudeln aus Linsen und Produkte aus Insekten und Algen. Daneben kreieren Hersteller High-Protein-Produkte wie Fertiggerichte durch Kombination proteinreicher Zutaten.
Und es gibt mit Protein angereicherte Produkte: An sich kohlenhydratreiche Lebensmittel wie Brot werden mit Eiweißkonzentraten z.B. aus Weizen, Soja oder Lupinen versetzt. Auch bereits proteinreiche Lebensmittel wie Milch werden zum Beispiel mit Milcheiweiß angereichert, um Label wie High Protein zu tragen.“
Ist Protein gesund?
Grundsätzlich sind Eiweiße, also Protein, sehr gesund und – wie oben geschrieben – lebenswichtig. Aber: „High-Protein-Produkte liefern meist mehr Protein, als nötig ist. Bei gesunden Erwachsenen schadet dies zwar nicht. Überflüssiges Protein baut der Körper ab, dabei entsteht Harnstoff, der mit dem Urin ausgeschieden werden muss“, so die DGE.
Deshalb sei „ausreichendes Trinken bei hoher Proteinzufuhr wichtig. Bei Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion kann viel Protein allerdings problematisch sein und zu einer Verschlechterung führen“, schreibt die DGE und warnt davor, dass spezielle High-Protein-Produkte deutlich teurer seien als herkömmliche Lebensmittel mit normalem Eiweißgehalt, mit denen man seinen Bedarf gut decken könne.
Medizinerin Schäfer sagt, dass man als gesunder Mensch im Schnitt ein Gramm Eiweiß pro Tag und Kilogramm Körpergewicht benötige, Nierenkranke etwa 0,8 Gramm und Sportler 1,5 bis 2 Gramm, je nach Trainingsintensität.
„Wichtig ist, dass man den Tagesbedarf an Eiweiß nicht auf einmal zu sich nimmt, weil der Darm diese Menge gar nicht verarbeiten kann, sondern über den Tag verteilt“, erklärt die Ärztin. „Sie sollten also darauf achten, bei jeder Mahlzeit ausreichend Eiweiß zu essen.“
Hierfür sollte man sich anhand seines Gewichtes ausrechnen, wie viel Eiweiß nötig sind und das dann auf die drei bis vier Mahlzeiten herunterrechnen. „Wenn man das einmal gemacht hat, bekommt man schnell ein Gefühl dafür“, so Schäfer. „Auf den meisten Produkten steht in der Liste zu den Nährwertangaben, wie viel Eiweiß pro 100 Gramm enthalten sind.“
Ein Ei beispielsweise hat rund 10 Gramm Eiweiß, Fleisch und Fisch pro 100 Gramm etwa 20 bis 28 Gramm, Joghurt nur drei bis fünf Gramm. Auch Kartoffeln enthalten Eiweiß, wenn auch nur zwei Gramm auf 100 Gramm. Besonders proteinreich sind Magerquark (12 Gramm) und Hüttenkäse (11 Gramm). Auch Hülsenfrüchte (Erbsen, Bohnen, Erdnüsse) sind reich an Eiweiß, ebenso Nüsse und Mandeln.
„Das Gute an eiweißreichen Lebensmitteln ist, dass sie nicht dick, aber lange satt machen“, weiß Dr. Silja Schäfer. „Sie sind preisgünstig und ideal für all jene, die abnehmen, aber nicht hungern wollen. Und Sportler wissen, dass Eiweiß beim Muskelaufbau hilft und sogar Muskelkater vorbeugen kann.“
Ihre Patientinnen und Patienten, die abnehmen wollen oder krank sind, bittet Schäfer häufig, Ernährungsprotokolle zu führen: Was wurde wann in welcher Menge gegessen? „Und da ist meistens klar ersichtlich, dass die Menschen zu wenig Eiweiß essen. Das wirkt sich auf den gesamten Stoffwechsel aus.“
Sind High-Protein-Lebensmittel gut?
Bereits 2021 schrieb die DGE: „Aus ernährungsphysiologischer Sicht sind High-Protein-Produkte überflüssig. Wer die Vielfalt herkömmlicher Lebensmittel nutzt, bekommt genug Protein und spart sich das Geld für die meist teureren Produkte.“ Lediglich einzelne Produkte wie Nudeln aus Erbsen oder Linsen „können sinnvoll sein“.
Klar ist aber laut DGE auch: „Hochverarbeitete Produkte wie Chips und Schokoriegel sind kein ‚gesunder Genuss‘, nur weil viel Protein zugesetzt wurde.“ Darüber hinaus hätten die meisten von uns „gar kein Problem mit der Proteinversorgung, und ein gesundheitlicher Nutzen durch die Extraportion Protein ist auch nicht zu erwarten“.
Die Gesellschaft warnt deutlich: „Viele High-Protein-Produkte sind hochverarbeitete Lebensmittel. Das sind aus kostengünstigen Zutaten – überwiegend aus industriellen Energie- und Nährstoffquellen und Zusatzstoffen – zusammengesetzte Produkte. Sie sind meist ansprechend verpackt (…), verzehrfertig und schmackhaft. Wenn häufig zu diesen Produkten gegriffen wird und sie Lebensmittel wie Gemüse, Obst und Nüsse verdrängen, kann das langfristig kritisch für die Zufuhr von sekundären Pflanzenstoffen, Nähr- und Ballaststoffen sein (…).“






