Interview

Tierschutzpartei tritt sehr wohl in Berlin an: „Wir sind eine bessere Klimapartei als die Grünen“

Der Tagesspiegel berichtete, die Tierschutzpartei trete nicht zur Berlinwahl an. Ihr Bundesvorsitzender nennt das einen Skandal – und will Berlin vegan machen.

Berlin-Vegan  protestiert vor dem Kanzleramt.
Berlin-Vegan protestiert vor dem Kanzleramt.imago/Stefan Zeitz

Die Partei Mensch Umwelt Tierschutz (kurz: Tierschutzpartei) war eine Art Gewinnerin der Herzen bei der Berlinwahl. Mit mehr als drei Prozent der Stimmen lag sie gar nicht so weit von der Fünf-Prozent-Hürde entfernt. Der Bundesvorsitzende Marcel Krohn glaubt, das liegt auch daran, dass die Grünen bei ihren Klimazielen nicht konsequent genug sind. Ein Gespräch über Tierwohl in Deutschland, den Winterwahlkampf und ein Gerücht, das der kleinen Partei den Wahlkampf erschwert.

Herr Krohn, es gab kürzlich Berichte, dass die Tierschutzpartei bei der Wahlwiederholung in Berlin nicht mehr antreten würde. Wie sieht es aus, treten Sie im Februar wieder an oder nicht?

Natürlich treten wir an! Dass man uns nicht mehr wählen könne, ist ein Gerücht, das durch eine falsche Meldung im Tagesspiegel zustande kam. Das ist ein echter Skandal! Der Tagesspiegel hatte uns mit der Aktion Partei für Tierschutz verwechselt, einer Kleinstpartei, die in Reinickendorf 0,4 Prozent holte und nun nicht mehr antreten wird. Dieses Gerücht war dann auch im Radio zu hören und wir haben Post und E-Mails bekommen, in denen unsere Wähler ihr Bedauern ausdrückten, dass wir nicht mehr antreten. Uns ist leider auch klar: Die Leute, die uns schreiben, sind die allerwenigsten. Die meisten Menschen nehmen das einfach zur Kenntnis. Für eine so kleine Partei wie uns ist das wirklich dramatisch. Aber: Wir haben unser zweitbestes Ergebnis auf Landesebene in Berlin eingefahren und machen genau da weiter, wo wir aufgehört haben.

Weg von der Massentierhaltung

Ja, in Berlin holten Sie bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 3,1 Prozent und auch Niedersachsen haben Sie kräftig zugelegt. Wie erklären Sie sich die Erfolge?

Ich glaube, dass wir einerseits mit dem Thema Tierrechte ein echtes Alleinstellungsmerkmal haben, das bei allen anderen Parteien höchstens unter ferner liefen existiert, aber einer ganzen Menge von Menschen ein echtes Anliegen ist. Diese Menschen sind vor allem von den Grünen sehr enttäuscht. Die Partei hat Tierschutz immer im Munde geführt, aber was letztendlich – und sehr spät – erreicht wurde, ist kaum der Rede wert. Andererseits sehen immer mehr Leute, dass wir auch einfach die bessere Klimapartei sind als die Grünen. Wir sind schon lange nicht mehr die Ein-Thema-Partei und auch deshalb gewinnen wir Wählerinnen und Wähler hinzu.

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privat
Marcel Krohn
trat 2017 in die Partei Mensch Umwelt Tierschutz ein, weil er sich gleichermaßen für Tierwohl, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit engagieren wollte. Seit Frühjahr ist der Hochschuldozent und Theaterregisseur einer von drei Bundesvorsitzenden der Partei. Krohn ist gebürtiger Oldenburger und lebt heute, nachdem er 30 Jahre in Berlin verbrachte, wieder dort.

Was unterscheidet denn Ihre Position in der Klimapolitik von der der Grünen?

Wir gehen von einem deutlich kürzeren Zeitraum aus, der uns bleibt, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Langfristige Gasdeals wie den mit Katar, der bis mindestens 2041 läuft, würde es mit uns nicht geben. Und sich auf eine jahrzehntelange LNG-Förderung einzulassen, ist der völlig falsche Weg. Auch wenn wir in energiepolitisch schwierigen Zeiten leben. Wir zielen darüber hinaus im Gegensatz zu den Grünen auf eine konsequent vegane Landwirtschaft ab. Wir wollen sofort weg von der tierethisch und klimabilanziell verheerenden Massentierhaltung. Die Reförmchen, die die Grünen auf diesem Gebiet angestoßen haben – ein paar Zentimeter mehr Platz für die Tiere und ein kleines Fenster im Stall –, sind doch eher symbolisch.

Ist es eine Bedingung für den Eintritt bei der Tierschutzpartei, vegan zu leben?

Man muss keinen Eid leisten. Aber die allermeisten leben vegan. Ich kenne ein paar Mitglieder, die beispielsweise gerettete Hühner haben und die Eier nicht wegschmeißen wollen. Aber Leute, die Milchprodukte oder Eier aus der Massentierhaltung verzehren, kenne ich in der Partei keine. Fleisch essen wir sowieso alle nicht.

Hat sich Ihre Strategie für den Wahlkampf in der Hauptstadt geändert?

Nein, wir haben schließlich bereits einen langen Wahlkampf auf Bezirksebene hinter uns. Das schmeißen wir jetzt nicht um, sondern wollen erneut auf unsere Themen und die Untätigkeit der Regierung in der Klimapolitik und im Tierschutz hinweisen. Wir haben auch viele Anträge auf Bezirksebene durchbekommen, wie etwa Taubenschläge in Spandau und Marzahn-Hellersdorf und Hundeauslaufgebiete. Und wir möchten den Fokus auch weiterhin auf soziale Themen legen.

Was will die Tierschutzpartei in Berlin ändern?

Können Sie das konkretisieren?

Wir finden, dass die Hilfen, die im Moment in dieser finanziell schwierigen Zeit bei den Bürgern ankommen, viel zu klein sind. Wir setzen uns beispielsweise für das bedingungslose Grundeinkommen ein, auch weil das Bürgergeld ein geschminktes Harz IV ist.

Das sind vor allem Bundesthemen. Was wollen Sie in Berlin ändern?

Wir wollen Nachhaltigkeitsbildung und Tierwohl fest im Unterricht verankern. In Lichtenberg beispielsweise sind wir derzeit dabei, in den Schulkantinen veganes Essen zu etablieren. Wichtig ist dafür auch, dass wir viel effizienter und mehr in Kindergärten und Schulen investieren. Wir wollen die Taktung im ÖPNV deutlich ausbauen, mehr autofreie Kieze schaffen. Fotovoltaikanlagen auf allen öffentlichen Gebäuden zu errichten, ist ein weiteres unserer Ziele für die Hauptstadt. Was uns auch sehr wichtig ist, ist, die Pflegedienste zu verbessern und Pflegekräften deutlich mehr Geld zu zahlen.

Wie ist das eigentlich für eine kleine Partei wie Ihre jetzt einen zweiten Wahlkampf organisieren zu müssen?

Das ist eine riesige Herausforderung, weil wir in unserem Wahlkampf fast ausschließlich auf ehrenamtliche Mitglieder angewiesen sind. Wir können es uns nicht leisten, die Plakate von externen Unternehmen aufhängen zu lassen. Viele wissen nicht, dass die staatliche Teilfinanzierung nicht allein auf Wahlerfolgen basiert, sondern auf Spendeneinnahmen der Parteien. Da wir kaum reiche Mitglieder haben, sind diese bei uns verhältnismäßig gering. Auch finanziell stehen wir also vor einer großen Aufgabe.

Der letzte Wahlkampf hat in einer völlig anderen Situation stattgefunden. Jetzt tobt ein Krieg in Europa, die hohe Inflation macht vielen Menschen zu schaffen. Haben Sie Sorge, die Tierschutzpartei könnte von den existenziellen Krisen verschluckt zu werden?

Tatsächlich nicht. Klar, das wird ein harter Winter-Wahlkampf in einer schweren Zeit. Aber wir glauben, gute Antworten auf diese Krisen zu haben. Außerdem haben die Bürgerinnen und Bürger gesehen, dass sich mit der rot-grün-roten Landesregierung in Berlin nicht viel getan hat. Wir sind überzeugt davon, dass wir ein noch besseres Ergebnis erreichen werden.

Warum ist der Winter-Wahlkampf eine besondere Herausforderung?

Wie gesagt sind wir auf ehrenamtlichen Wahlkampf angewiesen. Viele der Helfer sind nicht motorisiert und müssen alles, was sie letztes Mal in den warmen Sommermonaten für uns gemacht haben, jetzt in der Kälte tun. Das erfordert schlicht mehr Motivation und Durchhaltevermögen.

Wurde die Meldung im Tagesspiegel eigentlich ausreichend richtiggestellt?

Es wurde im Text geändert, ja. Aber das Gerücht ist nun in der Welt und der Schaden nicht so einfach rückgängig zu machen. Trotzdem bleiben wir optimistisch!