Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hält die Ukraine nicht länger für einen souveränen Staat, da sie sich nur mithilfe westlicher Waffen verteidigen könne. Und auch mit der Unterstützung glaubt er nicht, dass es dem Land gelingen wird, den Krieg gegen Russland zu gewinnen. Das erklärte Orban in einem ausführlichen Interview mit der Bild-Zeitung am Dienstag.
„Die Ukraine ist kein souveränes Land mehr. Sie haben kein Geld. Sie haben keine Waffen. Sie können nur kämpfen, weil wir im Westen sie unterstützen. Wenn die Amerikaner also beschließen, dass sie Frieden haben wollen, wird es Frieden geben“, sagte Orban im Gespräch mit Paul Ronzheimer.
Orban erklärte, „das Problem ist, dass den Ukrainern die Soldaten früher ausgehen werden als den Russen, und das wird am Ende der entscheidende Faktor sein“. Statt weiterer Waffenlieferungen solle auf einen sofortigen Waffenstillstand gesetzt werden. „Ich möchte die Ukrainer nicht beeinflussen, aber ich plädiere immer für Frieden, Frieden, Frieden. Andernfalls werden sie eine riesige Menge an Wohlstand und viele Menschenleben verlieren und unvorstellbare Zerstörungen wird passieren.“
Orban: Die USA entscheiden über Krieg und Frieden in der Ukraine
Entscheidend für ein Ende des Konflikts ist nach Orbans Einschätzung die Haltung der Vereinigten Staaten. „Wenn die Amerikaner also beschließen, dass sie Frieden haben wollen, wird es Frieden geben.“
Gleichzeitig will Orban nicht als Gegner der Ukraine gelten, er bezeichnet sich selbst als Realisten: „Zunächst einmal argumentiere ich nicht gegen die Ukrainer. Ich möchte also nicht als jemand erscheinen, der nicht hofft, dass die Ukrainer eine Chance zum Überleben haben. Aber ich stehe auf dem Boden der Realität. Die Realität ist, dass die Art der Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und dem Westen ein Fehlschlag ist.“
Die Ereignisse des vergangenen Wochenendes, also den Marsch des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin auf Moskau, hält Orban für unbedeutend. „Ich sehe keine große Bedeutung in diesem Ereignis“, so Ungarns Staatschef. Im Westen würde man Russland einfach nicht verstehen. Man wende immer wieder Denkstrukturen an, die auf das Land nicht passen würden. „Russland funktioniert anders als wir. Die Strukturen in Russland sind sehr stabil. Sie basieren auf der Armee, dem Geheimdienst, der Polizei, es ist also eine andere Art von Land, es ist ein militärisch orientiertes Land.“
Orban: Die Nato hat sich als zu stark für Russland erwiesen
Dass der Russische Präsident im Falle eines Sieges in der Ukraine seine Ambitionen auch auf weitere Länder, darunter Nato-Staaten wie das Baltikum oder Ungarn ausweiteten könnte, besorgt Orban nicht, „denn die Geschichte dieses Krieges zeigt deutlich, dass die Nato viel stärker ist als Russland.“
Auf die Frage, wieso Orban sein Land entgegen der übrigen EU-Staaten und den USA nicht klar gegen Putin positioniere, entgegnete der Ministerpräsident:
„Ich kämpfe für Ungarn. Ich kümmere mich nicht um Putin. Ich kümmere mich nicht um Russland. Ich kümmere mich um Ungarn. Was ich also tue, sind Positionen und Aktionen, die gut für die Ungarn sind.“ Hier sieht Orban auch einen Unterschied zu westlichen Staaten: „Die Gefahr, die vom Krieg ausgeht, ist in unserer Nachbarschaft. Es ist nicht so wie bei euch, ihr wisst, ihr seid die Deutschen, ihr habt Polen und Ungarn zwischen Russland und dem ukrainischen Krieg.“ Wobei Polen zu den größten Unterstützern der Ukraine zählt.
Ist Putin für Orban ein Kriegsverbrecher?
Auch zur Frage, ob Putin angesichts der Verbrechen in Irpin und Butcha, die russischen Truppen zur Last gelegt werden, ein Kriegsverbrecher sei, hat Orban eine Meinung, die sich beispielsweise von der des Internationalen Strafgerichtshofs für Menschenrechte unterscheidet. Für ihn ist Putin kein Kriegsverbrecher. Wobei Orban eher praktische als juristische Gründe dafür anführt, Putin nicht als solchen zu bezeichnen. „Wenn Sie einen Waffenstillstand wollen und dann verhandeln, müssen wir diejenigen, die Teil des Konflikts sind, überzeugen, an den Tisch zu kommen. Sie an den Tisch zu bitten und zu sagen ‚Kommt an den Tisch und ich nehme euch fest‘ ist keine gute Idee.“





