Deutschland und Österreich

Ukraine: Russische Propaganda in deutschen Schulbüchern

Osteuropa-Experte Jan Behrends hat für die Berliner Zeitung ein Schulbuch für Berlin Brandenburg angeschaut und sagt: Das Buch hätte nie eingesetzt werden dürfen.

Rechts im Bild: die Darstellungen, die am Montag auf Twitter vielfach kritisiert wurden.
Rechts im Bild: die Darstellungen, die am Montag auf Twitter vielfach kritisiert wurden.Twitter via Alice Bota

Man kann sich vorstellen, dass Schulbücher zu verfassen eine mühsame Arbeit ist. Der kleinteiligen Recherche und Auswahl der Inhalte, folgt eine aufwendige Aufbereitung für Menschen im jeweiligen Alter, für die das Buch bestimmt ist. Viel Lob streichen die Autoren nicht ein, wenn, dann gibt es Kritik.

So war es am Montag auch auf Twitter, als mehrere Nutzerinnen und Nutzer Inhalte aus deutschen Schulbüchern der Fächer Geschichte und Politik zum Thema Ukraine teilten. Die bekannte Autorin und Journalistin Alice Bota etwa postete zwei Seiten aus dem Politik-Schulbuch für Berlin und Brandenburg „Politik & Co. Politische Bildung für die Sekundarstufe 1“. Auf einem Cartoon ist zu sehen, wie ein Russland symbolisierender Bär und ein Mann im Stars-and-Stripes-Outfit (USA) an der Ukraine zerren, die hier als hilfloses Kind dargestellt wird. Genau das stört viele der Nutzer in den Kommentaren unter Botas Tweet an der Karikatur, die den Titel „Zerren um die Ukraine“ trägt: Die Ukraine wird nicht als selbstständig agierender Akteur, sondern als passiv und ausgeliefert dargestellt. Ein weiteres Detail: Auf der Schulter des USA-Mannes sitzt ein Papagei, der den Namen EU trägt.

Das sagt Osteuropa-Experte Jan Claas Behrends von der Viadrina

Es sind zwar nicht alle der Meinung, dass der Cartoon problematisch ist. Viele sagen auch, dass eine solche Karikatur ein interessanter Ausgangspunkt für eine kritische Diskussion im Unterricht sein kann. Weniger Meinungsvielfalt aber gibt es zur zweiten Buchseite, die Bota aus dem Schulbuch geteilt hat. Eine ukrainische Geflüchtete habe die Darstellungen in dem Buch gefunden und an sie weitergeleitet. Unter einer Grafik, die die Ukraine entlang einer Linie in Ost und West trennt und dem jeweils vermeintlich russischen- bzw. ukrainischsprachigen Teil zusätzlich eine politische Einstellung zuweist. Dem Westen des Landes wird unterstellt, „pro-West“ eingestellt zu sein, der Osten sei „pro-Russland“. Damit erzählt das Schulbuch zumindest ein Stückweit das russische Narrativ im Ukraine-Krieg nach, die gesamte russischsprachige Bevölkerung sei Russland gegenüber positiv gesinnt. Das Buch aus dem CC Bucher Verlag ist laut Bildungsserver Berlin-Brandenburg für den Unterricht in beiden Bundesländern gelistet.

Der Professor für die Geschichte Osteuropas an der Europa-Universität Viadrina, Jan Claas Behrends, hat für die Berliner Zeitung auf das diskutierte Kapitel aus dem Buch Politik & Co. geblickt und urteilt: „Die ganze Einheit würde ich bestenfalls als verunglückt bezeichnen.“ Insbesondere die Herleitung als neuer Ost-West-Konflikt sei verfehlt. Behrends: „Die Karte mit der Aufteilung in West- und Ost-Ukraine ist grob falsch.“ Beim Referendum von 1991 habe auch der Osten der Ukraine mit überwältigender Mehrheit für das Ende der UdSSR gestimmt. Die Separatisten hätten weder auf der Krim noch im Donbas je in freien Wahlen eine Mehrheit gehabt.“ Behrends Fazit: „Dieses Buch hätte nicht im Unterricht eingesetzt werden dürfen.“ Gerade in Brandenburg gebe es, beispielsweise eben mit der Viadrina, zahlreiche Experten, denen man das Buch hätte vorlegen können: „Jedes Gutachten hätte dieses Buch nicht überstanden.“

Es wurden noch mehr Beispiele gepostet, die für Diskussionen sorgten: Der Osteuropahistoriker Matthäus Wehowski teilte eine Seite des Schulbuches „Geschichte – Ausgabe für Gymnasien in Baden-Württemberg“ aus dem Westermann-Verlag. Als Quelle, mit der gearbeitet werden soll, wird ein Buch des Autoren Daniele Ganser angegeben: „Imperium USA. Die skrupellose Weltmacht“ (2020). Ganser fiel im Laufe der Corona-Pandemie durch verschwörungstheoretische Aussagen auf und verglich unter anderem Ungeimpfte mit Juden in der NS-Zeit. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern stuft seine Aussagen als geschichtsrevisionistisch und holocaustverharmlosend ein. Auch zum Krieg in der Ukraine vertritt Ganser Positionen, die dem verschwörungsideologischen Lager zugerechnet werden. Wehowski kritisiert vor allem, dass es in dem Buch keinen Hinweis darauf gibt, dass Ganser „eine Brückenfunktion zum Rechtsextremismus“ einnimmt. Ein Rezensionsexemplar erhielten wir von dem Verlag nicht.

In Berlin herrscht Lehrmittelfreiheit

In Berlin herrscht Lehrmittelfreiheit, das Buch „Politische Bildung & Co.“ werde daher auf dem Bildungsserver auch „nicht ausdrücklich empfohlen“ teilte die Berliner Senatsverwaltung für Bildung dieser Zeitung auf Anfrage mit. In der kleinen Liste auf dem Bildungsserver Berlin-Brandenburg ist es dennoch aufgeführt – und bleibt es wohl auch. Die Lehrkräfte-Konferenz der Schulen legt fest, welche Bücher bestellt werden. Dass dabei auf diese Listen zurückgegriffen wird, ist zumindest nicht auszuschließen.

Auch aus Österreich wurden indes ebenfalls Beschwerden über die Darstellung der Ukraine in Schulbüchern am Montag auf Twitter geteilt. Das dortige Zentrum für digitale Medienkompetenz (ZDM) hatte bereits Anfang Juli vor Desinformationen in einem Schulbuch gewarnt, in dem sehr ähnlich formuliert wird, wie in dem Berlin-brandenburgischen Politikbuch: Der Osten der Ukraine sei vor allem von Russen bewohnt. Schon hier werde, so Desinformations-Analyst Dietmar Pichler eine fehlerhafte ethnische Aufteilung des Landes beschrieben: „Selbst im Donbass stellen ethnisch-russische Ukrainer weniger als die Hälfte der Bevölkerung.“

Weiter heißt es in dem Schulbuch: „2014 kam es im Osten der Ukraine zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der ukrainischen Armee und Teilen der russischen Bevölkerung.“ Pichler kritisiert diese Passage scharf: „Suggeriert wird, dass das ukrainische Militär gegen die Bevölkerung vorgegangen wäre, was 1:1 dem russischen Propagandanarrativ entspricht.“ Man müsse sich, wolle man nicht von böser Absicht ausgehen, die Frage stellen, welche Quellen hier eigentlich genutzt wurden.

Eine Wiener Lehrerin war auf die Passage in dem Schulbuch „Bausteine 4“ (ÖBV Verlag) gestoßen.