Landespolitik

SPD: „Nachdem man Martin Hikel zerstört hat, hat man nun die nächste Vorsitzende zerstört.“

Die Sozialdemokraten liegen zehn Monate vor der Wahl nur auf Platz 5. Dennoch wurde nach Hikel jetzt auch Nicola Böcker-Gianni bei der Kandidatenaufstellung gedemütigt und kaltgestellt.

„Könige ohne Land“: Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel (beide SPD), die Landes-Spitze der Berliner SPD.
„Könige ohne Land“: Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel (beide SPD), die Landes-Spitze der Berliner SPD.Sebastian Gollnow/dpa

Sie hat es versucht, doch sie hatte keine Chance. Berlins SPD-Vorsitzende ist am Sonnabend bei dem Versuch gescheitert, in ihrem Heimatbezirk Reinickendorf eine einigermaßen aussichtsreiche Position für die Abgeordnetenhauswahl im kommenden Herbst zu ergattern. Für die 50-Jährige war dies eine persönliche Niederlage – für ihre Partei die nächste Demütigung ihres Spitzenpersonals.

Zuvor waren die ehemaligen Regierenden Bürgermeister Michael Müller und Franziska Giffey um aussichtsreiche Positionen gebracht und damit ins politische Aus geschubst worden. Müller hatte so keine Chance auf den Bundestag, bei Giffey wäre ein Wiedereinzug ins nächste Abgeordnetenhaus mangels gutem Listenplatz in Neukölln eine Sensation.

SPD: Franziska Giffeys Wiedereinzug ins Parlament kaum möglich

Der SPD-Spitzenkandidat für diese Wahl, Steffen Krach, war an diesem sonnigen, kalten Tag ins Fontane-Haus im Märkischen Viertel gekommen. Der Mann, der für die Partei im September 2026 doch noch irgendwie das Rote Rathaus erobern soll. Wie fern dieses Ziel ist, zeigte sich knallhart, als am Donnerstag die Zahlen der jüngsten Umfrage veröffentlicht wurden. Danach liegt die Partei in Berlin mit 13 Prozent abgeschlagen auf Platz 5.

Der Weg nach vorne wird also elend weit. Und er wird womöglich noch weiter, wenn man seine wenigen prominenten Politiker abstraft, ausbremst oder vom Hof jagt.

Berlin: Die SPD liegt zehn Monate vor der Wahl an Platz 5

Eine der Fragen an diesem Sonnabend also war: Wie würde das frische und klare Umfrageergebnis auf die Reinickendorfer Delegierten wirken, die an diesem Tag eine Bezirksliste aufstellen sollten, von der allenfalls die ersten drei eine realistische Chance für die Wahl im nächsten Jahr haben dürften?

Das Motto der SPD aus Berlins hohem Norden stand jedenfalls auf einem großen Plakat hinter der Bühne: „Auch nüchtern kann man sich verstehen.“ Was sollte da schiefgehen?

SPD-Kandidat Steffen Krach: Böcker-Giannini hat mich geholt

In seiner Rede erinnerte Steffen Krach dann daran, wer ihn in diesem Sommer überhaupt zum Spitzenkandidaten gemacht hatte: die beiden Landesvorsitzenden Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini. Und er sagte: Eines der Ziele der Wahlen im kommenden Jahr müsse auch sein, „mehr Bezirksbürgermeister zu stellen“. Was er nicht sagte, ist, wie dies gelingen soll, da doch seinem Mentor Hikel erst vor zwei Wochen in Neukölln die Rückendeckung, verweigert wurde, um sich erneut fürs Rathaus an der Karl-Marx-Straße zu bewerben.

Und wie würde es jetzt der Co-Landesvorsitzenden Nicola Böcker-Giannini in Reinickendorf ergehen? Die Vorzeichen standen nicht gut. Der Bezirk im Norden ist Homeland des langjährigen Abgeordneten Jörg Stroedter. Der Wirtschafts- und Energiepolitiker ist schon so lange dabei, dass es seine Tochter Laurence inzwischen zur Schriftführerin des Kreisvorstands gebracht hat. Der Vater selbst tritt nicht mehr an, doch nun möchte die Tochter ins Abgeordnetenhaus einziehen, mit familiärer Unterstützung.

Zu dieser gehört seit langem auch Iris Spranger, sie ist die Ehefrau von Jörg Stroedter und Stiefmutter von Laurence Stroedter. Zu allem Überfluss war die Innensenatorin, politisch in Marzahn-Hellersdorf beheimatet, an diesem Tag auch noch Versammlungsvorsitzende in Reinickendorf. Dass dann auch noch der Leiter ihres Leistungsstabes in der Innenverwaltung, Kai Kottenstede, ebenfalls Funktionär der dortigen SPD ist, dessen hätte es wahrscheinlich gar nicht mehr gebraucht.

SPD: Absprachen am Küchentisch im Hause Stroedter/Spranger?

Zumal die Abneigung von Iris Spranger gegenüber Nicola Böcker-Giannini bereits vor zweieinhalb Jahren überdeutlich wurde, als Böcker-Giannini noch ihre Staatssekretärin für Sport war, ins Amt gehievt von der damaligen Regierenden Bürgermeisterin Giffey. Jedenfalls warf die Senatorin ihre Staatssekretärin eines Tages raus. Was genau das Problem der beiden Frauen war, blieb der Öffentlichkeit verborgen. Böse Zungen mutmaßten schon damals Absprachen am Küchentisch im Hause Stroedter/Spranger.

Wenn man dann auch noch weiß, dass Iris Spranger und der Fraktionschef Raed Saleh seit Jahren in der Schlangengrube SPD ein stabiles Zweckbündnis pflegen, wird das Bild noch ein bisschen dichter. Erst recht, nachdem Saleh im vergangenen Jahr bei der Wahl zum Parteivorsitzenden eine vernichtende Niederlage einsteckte und im ersten Wahlgang scheiterte. In der Stichwahl setzte sich dann die Paarung Hikel/Böcker-Giannini.

Was hat Raed Saleh mit dem Ergebnis in Reinickendorf zu tun?

Gleich nach der krachenden Niederlage macht sich der geschwächte Saleh daran, seine Macht in der Fraktion zu verfestigen, sie wurde sein Bollwerk. Hikel und Böcker-Giannini seien „Könige ohne Land“, sagte er. Sollte heißen: Sie können nichts durchsetzen – nicht gegen ihn, den mächtigsten Mann der Berliner SPD.

Vor diesem Hintergrund war auch Jörg Stroedters Reinickendorfer Fürrede für die Kandidatur seiner Tochter Laurence bemerkenswert. „Ihr habt mich in den letzten 20 Jahren immer geschlossen zum Spitzenkandidaten gemacht“, rief er den Delegierten zu und appellierte an Geschlossenheit. Man habe doch immer an einem Strang gezogen, „unter anderem bei der Unterstützung von Raed Saleh als Fraktionschef“. Das hatte zwar mit der Reinickendorfer Ereignis auf den ersten Blick nichts zu tun, aber wer weiß, wofür es gut ist. Und sei es für spätere Zeiten und seine Tochter.

Böcker-Giannini holt mehr Stimmen als erwartet, scheitert aber klar

Wie auch immer: Nicola Böcker-Giannini hatte für diesen Sonnabend schlechte Karten. Einzig ihre Abteilung Heiligensee/Konradshöhe/Tegel-Ort, der sie auch bei einem für die SPD nicht zu gewinnenden Erststimmenwahlkampf unterstützt, stand komplett hinter ihr – das waren zehn Delegierte. Hinzu kamen ein paar Versprengte. Sie brauchte 34 Stimmen. Vor dem Wahlgang hieß es, 20 Stimmen wären „ein sensationelles Ergebnis“.

In ihrer Rede sprach sie davon, dass sie zusammen mit Martin Hikel in der Partei einen personellen, kulturellen und inhaltlichen Wandel angestoßen habe. Ja, sie lobte sogar die „liebe Iris“ für deren Kampf als Innensenatorin gegen die Organisierte Kriminalität.

Ein kurzer Hoffnungsschimmer mag eine Rede eines ihrer Unterstützer gewesen sein. Der erinnerte daran, dass man sich in mehreren Reinickendorfer SPD-Abteilungen über den Umgang mit Michael Müller und Franziska Giffey, den Umgang mit dem Spitzenpersonal, beschwert habe. Nun, so meinte er wohl, gebe es die Chance, wenigstens Böcker-Gianninis Einsatz in den vergangenen Jahren zu würdigen. Am Ende reichte es für 17 Stimmen, Nicola Stroedter bekam 49.

Iris Spranger, Innensenatorin und SPD-Politikerin
Iris Spranger, Innensenatorin und SPD-PolitikerinChristophe Gateau/dpa

In den Gängen hinter dem Veranstaltungssaal machte sich anschließend ein Mann Luft. Er sei „völlig fassungslos“ über seine eigene Partei, sagte Markus Caspers, nach eigenen Angaben seit 30 Jahren Mitglied der SPD. „Nachdem man Martin Hikel zerstört hat, hat man nun die nächste Vorsitzende zerstört.“ Da sei es „kein Wunder, dass sich die Leute abwenden“.