Der 24. Februar, der Angriff auf die Ukraine, hat mich an den 31. August 1939 erinnert, den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Ich war damals zwölf und mit meinen Eltern, einem Onkel und Cousinen auf dem Weg von unserer Wohnung in der Torstraße auf unser Grundstück in Karow. Wir hörten Radio, man spürte, es liegt was in der Luft, es passiert was. Ich erinnere mich genau an das Gefühl: Angst, Ungewissheit. Das hat sich eingebrannt.
Es gab so eine Begeisterung, auch bei den jungen Soldaten, beim Einfall in Polen, sonst hätten die dort wohl kaum so gewütet. Ich glaube, eine ähnliche Art der Begeisterung gibt es jetzt unter den Ukrainern. Das macht mir Angst. Dass es einen Dritten Weltkrieg gibt, ist im Bereich des Möglichen. Es muss ja kein Reaktorunfall sein, der eine Katastrophe auslöst, es kann auch eine Fehleinschätzung der Nato sein, die einen Brand entzünden kann, der sich unausdenkbar ausweitet. Die Situation ist sowas von gefährlich!
Mein Vater wurde damals im Volkssturm eingezogen und starb bei den Kämpfen in der Nähe des Reichstags.
Präsident Selenskyj will nur noch mehr Waffen. Ich finde, er schießt übers Ziel hinaus. Die Krim zurückzuerobern wird ihm nicht gelingen. Und dann fordert er auch noch einen Präventivschlag gegen Russland! Gewissermaßen opfert er ja auch sein Volk, das ist schon zwiespältig. Ich weiß, was Krieg bedeutet, ich will das nie mehr erleben. Bei Fliegeralarm mitten in der Nacht aufstehen und in den Bunker.
Mein Vater wurde damals im Volkssturm eingezogen und starb bei den Kämpfen in der Nähe des Reichstags. Die sehr honorige Buchhandlung Gsellius an der Ecke Mohrenstraße/Friedrichstraße wurde am 22. November 1943 komplett ausgebombt. Meine Ausbildungsstätte! In Schutt und Asche. Dabei hatte man mir dort noch gesagt: Mach die Ausbildung, dann kannst du nicht eingezogen werden in den Arbeitsdienst.

Immerhin hatte ich später die Möglichkeit, als Lehrling nach Angermünde zu gehen. Und wir hatten das Glück, dass wir uns im April 1945 evakuieren lassen konnten. Wir gingen nur mit einem Wägelchen zu Fuß Richtung Mecklenburg, am Wegesrand all die Toten und Erschöpften. In Neubrandenburg zwängten wir uns in den letzten Zug nach Lübeck – er kam aus dem Osten, voller Verwundeter. Vor allem Frauen und Kinder waren auf dem Bahnhof. Es war knallvoll und eng – die Bilder von den ukrainischen Bahnhöfen haben mich daran erinnert, als zu Kriegsbeginn im Frühjahr so viele Leute geflohen sind. Und als ich gehört habe, dass Holocaust-Überlebende von damals aus der Ukraine fliehen mussten und in Deutschland eine neue Bleibe gefunden haben – so ein unglaubliches Schicksal!

Durch diese Zeit bin ich an Entbehrungen gewöhnt, sodass ein sogenannter Wirtschaftskrieg mir nicht viel anhaben kann. Ich bin schon vor dem Ukraine-Krieg mit fünf Euro am Tag ganz gut ausgekommen und froh, wenn ich mir morgens meine zwei Toastbrote schmieren kann, eins mit Frischkäse, eins mit Marmelade. Ich hoffe eher, dass sich die Lage durch die gestiegenen Preise normalisiert. Die Überfülle in den Supermärkten seit der Wende, das macht mich richtig krank. Wie sich die gestiegenen Energiepreise auf meine Nebenkosten auswirken, weiß ich noch nicht. Sparen kann ich bei einer Rente von gut 1000 Euro sowieso nicht. Und bei einer Gasrechnung von sechs Euro im Monat, was soll da groß kommen!
In den kommenden Wochen werden Berlinerinnen und Berliner bei uns berichten, ob sie das auch so empfinden. Was geht sie, ganz persönlich, dieser Krieg an? Wie hat sich der Alltag verändert? Was sind ihre Ängste und Sorgen? Welche Erinnerungen werden wach? Hören sie noch zu, wenn wieder über Waffenlieferungen diskutiert wird?
Wir möchten unsere Leser zu Wort kommen lassen, wollen Erfahrungen austauschen. Wenn Sie dabei sein wollen, melden Sie sich bitte bei uns! leser-blz@berlinerverlag.com

