Ukraine-Krieg

Russen beginnen Offensive im Donbass: Schwere Kämpfe auf breiter Front

In einer Ansprache teilte der ukrainische Präsident mit, dass entlang der gesamten 300 Kilometer langen Front russische Truppen auf den Donbass vorstoßen.

Ein ukrainischer Soldat steht auf einem Schützenpanzer. Die Schlacht um den Donbass hat begonnen.
Ein ukrainischer Soldat steht auf einem Schützenpanzer. Die Schlacht um den Donbass hat begonnen.dpa/Diego Herrera/XinHua

Die seit Wochen erwartete russische Großoffensive im Osten der Ukraine hat begonnen: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Montagabend, die Regierung in Kiew könne „nun bestätigen, dass die russischen Truppen den Kampf um den Donbass begonnen haben, auf den sie sich seit langem vorbereiten“. „Ein sehr großer Teil der ganzen russischen Armee wird nun für diese Offensive verwendet“, sagte Selenskyj im Messengerdienst Telegram.

Der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrates, Oleksij Danilow, bestätigte die russische Offensive im Osten. „Fast an der ganzen Frontlinie im Gebiet der Regionen Donezk, Luhansk und Charkiw haben die Invasoren versucht, unsere Verteidigung zu durchbrechen“, sagte er. „Zum Glück hält unsere Armee.“

Auch der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj, bestätigte den Vormarsch der Russen. „Es ist die Hölle. Die Offensive, von der wir seit Wochen sprechen, hat begonnen“. Es gebe Gefechte in Rubischne und Popasna und „unaufhörlich Kämpfe in anderen friedlichen Städten“, fügte der Gouverneur hinzu.

Ukrainische Armee zieht sich aus Kleinstadt zurück

Am frühen Abend hatte der Gouverneur mitgeteilt, die russische Armee habe die Kleinstadt Kreminna eingenommen. In Kreminna habe es einen großen Angriff in der Nacht zum Montag gegeben, teilte Hajdaj in Online-Netzwerken mit. Die russische Armee sei dort „mit einer riesigen Menge an Kriegsmaterial einmarschiert.“ Die ukrainischen Truppen hätten sich daher aus der Stadt zurückgezogen.

Die Kleinstadt Kreminna, die vor dem Krieg fast 20.000 Einwohner zählte, liegt rund 50 Kilometer nordöstlich der Großstadt Kramatorsk und ist von strategischer Bedeutung für die russischen Truppen. Kreminna liegt zudem in der Nähe der heftig umkämpften Stadt Rubischne, die sich derzeit unter russischer Kontrolle befindet. Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten am Montag von heftigen Explosionen in Rubischne, die zum Teil Brände auslösten. Über der Stadt stiegen riesige Rauchwolken auf. Ukrainische Soldaten beschossen russische Stellungen vom etwa drei Kilometer entfernten Ort Nowodruschesk aus mit Artillerie und Mörsergranaten.

Bei dem Versuch, in einem Auto aus Kreminna zu fliehen, wurden laut Angaben von Hajdaj zufolge vier Zivilisten von russischen Soldaten getötet. Ein weiterer Mensch sei verletzt worden. Auch rund 20 Kilometer weiter östlich von Kreminna in der Region Donezk starben vier Zivilisten, wie der Regionalgouverneur Pawlo Kyrylenko auf Telegram mitteilte. Fünf weitere Menschen wurden verletzt.

Schwere Explosionen in Kramatorsk zu hören

Schweres Artilleriefeuer wird am späten Montagabend auch aus der Stadt Kramatorsk gemeldet. Auf Videos von verschiedenen ukrainischen Nachrichtenkanälen sind laute Explosionen zu hören. Der Nachthimmel über der Stadt im Donbass wird von Einschlägen erleuchtet. In der Umgebung von Kramatorsk befinden sich wichtige militärische Einrichtungen. Die Stadt war auch zu Beginn des Krieges im Donbass im Jahre 2014 Schauplatz schwerer Kämpfe. Die ukrainische Armee hatte die Stadt nach einer ersten russischen Besatzung im Juli 2014, nach rund drei Monaten russischer Besatzung, zurückerobert.

Verteidiger von Mariupol halten noch im Stahlwerk Asovstal aus

In der belagerten Hafenstadt Mariupol im Südosten der Ukraine halten derweil, auch nach über fünf Wochen Belagerung und Dauerbeschuss, noch ukrainische Truppen die Stellung. In einer Videobotschaft forderte Denys Prokopenko, Kommandeur des Regiments „Asow“, die Einrichtung eines eigenen Korridors für die Evakuierung von Zivilisten. Zudem teilte er mit, dass das Gelände des Stahlwerks Asovstal von russischen Truppen mit Artillerie, bunkerbrechenden Bomben und Raketen angegriffen werde. Dazu wurden Bilder gezeigt - anscheinend aus einem Bombenschutzkeller auf dem Werksgelände mit Frauen und Kindern neben aufgehängter Wäsche zwischen Doppelstockbetten.

In dem Video sagt ein Junge: „Wenn geschossen wird, dann wackelt alles bei uns.“ Eine Frau spricht in die Kamera: „Uns wurde alles genommen. Lasst uns wenigstens noch etwas am Leben.“ Prokopenko forderte alle „zivilisierten Länder“ auf, für die sofortige Evakuierung und den Schutz von Zivilisten und verwundeten Soldaten zu sorgen. Auch die Leichen von Soldaten sollten aus dem Werk herausgebracht werden.

Beschädigte Fahrzeuge der ukrainischen Armee auf dem Gelände des Stahlwerks in Mariupol.
Beschädigte Fahrzeuge der ukrainischen Armee auf dem Gelände des Stahlwerks in Mariupol.AP/Alexei Alexandrov

Mariupol ist seit dem 1. März vollständig von russischen Truppen eingeschlossen und beinahe komplett erobert. In der weitgehend zerstörten Stadt sollen noch mehr als 100 000 Zivilisten ausharren. Mehrere Versuche der ukrainischen Regierung, eine organisierte Evakuierung aus der Stadt zu vereinbaren, scheiterten.

Derzeit ist unklar, wie viele ukrainische Soldaten sich noch in Mariupol befinden. Die Stadt ist jedoch für die Ukrainer und Russen von hoher strategischer Bedeutung. Bei einem Fall Mariupols würde Russland durchgängig die gesamte Küstenlinie des Asowschen Meeres zwischen dem Donbass und der Krim kontrollieren. Zudem schätzen Militäranalysten, dass derzeit noch bis zu 12 taktische Bataillonsgruppen mit bis zu 10.000 Soldaten der russischen Armee dort gebunden sind. Diese würden bei einer vollständigen Eroberung der Stadt frei werden und könnten weiter nördlich in der Offensive eingesetzt werden.