Nur unter Mühen konnte die Familie des kleinen Artem aus Charkiw fliehen. Die Stadt steht seit Beginn der großflächigen Invasion unter Beschuss durch russische Truppen. Zuflucht fand die Familie im westukrainischen Lwiw. Doch nun stellte sich diese Sicherheit für die Familie als trügerisch heraus. Am Montagmorgen schlugen insgesamt vier russische Cruise Missiles in Lwiw ein. Eine davon traf einen Reifenhändler in der Nähe des Hauptbahnhofs von Lwiw und zerstörte das Gebäude nahezu vollständig. Insgesamt sieben Personen sollen bislang bei dem Angriff in der Stadt gestorben sein. Mindestens elf weitere Personen wurden verletzt.
Rakete trifft einen Reifenhandel
Dabei herrschte jedoch noch Glück im Unglück. Denn nur wenige Meter vom Reifenhandel entfernt steht ein Hotel. Das Hotel Nton an der Schewtschenko-Straße ist derzeit Herberge für Binnenflüchtlinge aus dem Osten des Landes. Sie sind vor den schweren Gefechten dort geflohen und haben hier eine Bleibe gefunden.
Artem is 3 years old. He is one of 11 injured people after morning strikes in Lviv. With his mom, he fled here from Kharkiv. But Russian missiles reached them here too.
— Андрій Садовий (@AndriySadovyi) April 18, 2022
7 civilians died today in Lviv. The youngest was 30 years old. pic.twitter.com/SGghF9TLzY
Durch die Wucht der Explosion wurden jedoch auch hier Menschen verletzt. Darunter der dreijährige Artem, der durch Glassplitter eines Hotelfensters verletzt wurde, das bei dem Einschlag zersplittert ist. „Es gab eine große Explosion. Das Fenster zerbrach, und einer der Glasspitter schnitt ihm einen halben Finger ab“, so die Mutter des Dreijährigen in einem Video, das auf dem Twitterkanal des Lwiwer Bürgermeisters Andrij Sadovij gepostet wurde.
Zu den Flüchtlingen zählt auch eine Hotelbewohnerin, die ebenfalls Zeugin des Raketeneinschlags in der Werkstatt wurde. „Wir waren gerade mit dem Frühstück fertig und wollten zurück auf unser Zimmer. Da hörten wir eine Explosion“, erzählt die etwa 70-Jährige, die ihren Namen nicht nennen will.
Aus der Ostukraine vor Bomben geflohen
Erst vor wenigen Wochen war sie wegen der Kämpfe aus dem ostukrainischen Luhansk nach Lwiw gebracht worden. Nun weiß sie ebensowenig wie die anderen Gäste, meist jüngere Frauen mit ihren Kindern, ob sie in dem Hotel bleiben oder weiterziehen soll.
Hotelmanagerin Iryna sagt, niemand bei ihnen sei verletzt worden. Dennoch seien sie und ihre Gäste aufgeschreckt. „Wir hatten viele Gäste aus anderen ukrainischen Städten im Hotel“, erzählt sie. Als die Alarmsirene kurz vor acht Uhr morgens ertönte, hätten einige der Gäste sie ignoriert, erzählt sie. Sie hätten gedacht, sie müssten den Alarm nicht so ernst nehmen wie in den Regionen, aus denen sie geflohen waren.

Natalja, eine Bankangestellte, die ebenso wie Iryna ihren Nachnamen nicht nennen will, versucht derweil, 20 neue Zimmer für Familien zu finden, denen sie bei der Evakuierung aus dem umkämpften Osten des Landes geholfen hatte. „Unsere Leute hatten Glück, dass sie im Frühstücksraum waren“, sagt sie, während sie noch im Mantel durch den Hotelflur und von Raum zu Raum geht.
Kein sicherer Ort in der Ukraine
Sie und andere freiwillige Helfer hätten gedacht, Lwiw sei ein sicherer Ort, um die vor dem Krieg Geflüchteten aufzunehmen, fügt sie dann noch hinzu. „Doch heute wurde uns klar, dass es in der Ukraine keine sicheren Orte gibt“.
Russian cruise missile over Lviv Oblast today. https://t.co/we1kfKlsli pic.twitter.com/QumWaBz3mc
— Rob Lee (@RALee85) April 18, 2022
Zuvor waren die Cruise Missiles an mehreren Stellen in der Oblast Lwiw beobachtet worden. Insgesamt sollen vier Raketen die Stadt getroffen haben. Drei davon hätten in militärische Objekte eingeschlagen. Die vierte Rakete hingegen traf den Reifenwechselservice.
Lwiw ist einer der Hauptorte, an die Binnenflüchtlinge aus der Ostukraine fliehen, da es hier vergleichsweise sicher ist. Die Stadt mit normalerweise rund 750.000 Einwohnern soll derzeit wesentlich mehr Menschen beherbergen. Die Behörden gehen von rund einer Million Menschen aus, die sich derzeit mindestens in der Stadt befinden. Lwiw ist zudem ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, da es nur rund 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt liegt. Die Stadt, deren Altstadt zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, ist das Zentrum der Westukraine.

