Am Mittwoch soll es also richtig losgehen. Ab dann wird der Ort Lützerath endgültig von der Landkarte geräumt, um die darunter liegende Kohle abbaggern zu können. Das Dorf, das längst keines mehr ist, steht bereits direkt an der Abbruchkante des Tagebaus. In den nächsten Tagen könnte es einen gewaltigen Schritt weiter sein. Ja, das klingt jetzt sehr zynisch, aber ehrlich: Können wir die ganze Sache nicht schnell hinter uns bringen?
Im Grunde ist doch jetzt schon klar, was kommen wird. Hunderte Aktivisten sind in diesen Tagen nach Nordrhein-Westfalen gekommen, um bei niedrigen Temperaturen auf Hochsitzen auszuharren oder sich in Sitzblockaden zu verhaken. Ihr Ansporn: Die Räumung so lange zu verzögern, bis es ein Wunder gibt oder die Polizei sie wegträgt.
Bis Letzteres dann eintritt, wird es lustige Fernsehbilder geben, in denen einzelne Aktivisten von selbstgebauten Hochdecks baumeln. Es wird weniger lustige Fernsehbilder geben, in denen Einsatzkräfte in Kampfausrüstung vorrücken. Je nach Lesart wird es heißen, die Demonstranten seien gewalttätig gewesen oder die Polizei sei zu hart vorgegangen. Vielleicht stimmt beides, vielleicht auch nicht. Letztlich werden wohl die Akteure beider Seiten zu Spielfiguren werden. Die einen getrieben von der Hoffnung auf eine bessere Welt, die anderen im Dienst des Staates.
Irgendwann wird es dann ein Ende geben. Nur eine echte Lösung, die wird es nicht geben. Der Energiekonzern RWE hat das Recht auf seiner Seite. Er darf abbaggern lassen, und davon will er jetzt Gebrauch machen. Die Klimaaktivisten haben die Moral auf ihrer Seite. Im Jahr 2023 soll eine Ortschaft dem Kohleabbau weichen – kann man besser demonstrieren, dass man das mit der Klimakrise nicht verstanden hat? Es sind zwei Standpunkte, die nicht miteinander vereinbar sind. Sollte dieses Dilemma zu diesem Zeitpunkt aber zugunsten der Moral ausgehen, müsste die Bundesrepublik eine Öko-Diktatur sein. Das ist sie aber nicht, dem Grundgesetz sei Dank.
In Lützerath prallt daher Realpolitik auf Fundamentalopposition. Und auch wenn viele, denen alles nicht schnell genug geht, das mit Abscheu und Empörung lesen mögen: So schlecht ist die Bilanz der Realpolitik nicht. Die Grünen, die seit vergangenem Jahr in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der CDU regieren, haben einen um Jahre vorgezogenen Kohleausstieg in den Koalitionsvertrag verhandelt. Ja, Lützerath muss fallen, aber fünf andere Dörfer, die zudem zumindest zum Teil noch bewohnt sind, wurden gerettet.
Die Klimabewegung und auch Teile der Grünen argumentieren, dass der Koalitionskompromiss dennoch ein Verstoß gegen die Pariser Klimaziele ist. Man könne die Erwärmung nicht auf 1,5 Grad begrenzen, wenn die Lützerather Kohle ebenfalls genutzt werde. Das soll hier jetzt nicht fatalistisch klingen, aber das 1,5-Grad-Ziel wird, falls es überhaupt noch zu halten ist, nicht allein in Nordrhein-Westfalen verteidigt. Das geben auch die Demonstranten zu und argumentieren, dass es eben auch ums Prinzip geht, ums Grundsätzliche.
Wenn es so ist, dann kann sich die gesamte Klimabewegung in Lützerath einen Gefallen tun und im wahrsten Sinne des Wortes demonstrieren, dass sie einig ist – und damit ein bedeutender Gegenspieler der Energie-Lobbyisten wie RWE. Der Verzicht auf Gewalt und Ausschreitungen wiederum ist wichtig, um den großen Rest von uns Durchschnittsdeutschen für die Klimaziele zu aktivieren. Es sind nämlich nicht alle restlos davon überzeugt, dass sich dem Klimaziel alles, aber auch wirklich alles politisch unterzuordnen hat.
Kohleabbau: RWE ist in der Beweispflicht
Am Horizont geht es nämlich meistens doch weiter. Für die Klimaaktivisten heißt das, dass die Sache um Lützerath nicht verloren sein muss, wenn die Blockade aufgehoben und der Ort wirklich abgebaggert ist. Abgebaggerte Kohle ist schließlich noch nicht abgefackelt.



