Es gibt nur einen einzigen Weg aus der Pandemie: Alle müssen sich impfen. Wer das jetzt noch nicht kapiert hat, hat nichts kapiert. So kann man es wohl frei nach dem Virologen Christian Drosten sagen. Denn die Alternativen sind einfach nur schrecklich. Entweder werden alle krank und die Folgen sind so krass, dass man Angst um diese Gesellschaft haben muss. Oder wir doktern immer weiter so vor uns hin mit Tests und Lockdowns. Allerdings hat die Politik ja Impfpflicht wie auch Lockdown kategorisch ausgeschlossen.
Was also jetzt? An die Ruder, schnell den Kurs ändern und dann volle Kraft in eine andere Richtung?
Die Politik macht wirklich keine gute Figur im Moment. Man hat den Eindruck, dass die handelnden Personen einfach nicht zuhören, was die sie beratenden Experten sagen. Sonst hätten sie gewusst, dass die Zahlen bei der zu geringen Impfquote wieder steigen würden – und zwar auch sehr massiv -, und sich gut vorbereitet für Herbst und Winter. Das ist das eine Problem.
Das zweite sind die Versprechen, die ohne Not gegeben werden: Kein Lockdown, keine Impfpflicht! Sollten die bisherigen Maßnahmen, das Boostern und die Zugangsbeschränkungen für Ungeimpfte, nicht reichen, um die vierte Welle der Corona-Infektionen zu brechen, und das Werben bei den bisher Ungeimpften weiter verhallen, dann hat die Politik nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera. Sie kann Wort halten, dann gefährdet sie wahrscheinlich die Gesundheit der Bevölkerung, oder sie macht doch eins von beidem oder auch beides. Dann wird die Politikverdrossenheit befeuert.
Seit einigen Tagen erleben wir nun eine Debatte über eine allgemeine Impfpflicht. Das Dilemma wird immer offensichtlicher. Nicht für alle allerdings. SPD und FDP schlossen die obligatorische Corona-Impfung am Wochenende nochmal kategorisch aus. Die werde es nicht geben, sagte zum Beispiel der SPD-Politiker und Außenminister Heiko Maas. Er macht keinerlei Einschränkungen. Es werde nicht für notwendig gehalten und sei auch aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten schwierig.
Man möchte sich sofort die Haare raufen. Wie kann ein Politiker mit Ministeramt und Mitglied einer Partei, die demnächst den Kanzler stellen wird, jetzt noch kategorisch irgendetwas ausschließen?
Man möchte sich sofort die Haare raufen. Wie kann ein Politiker mit Ministeramt und Mitglied einer Partei, die demnächst den Kanzler stellen wird, jetzt noch kategorisch irgendetwas ausschließen? Selbst wenn er dagegen ist, und es gibt ja durchaus Argumente gegen einen Impfzwang für alle, ist es Realitätsverweigerung.
Aber Maas ist es nicht allein. Der mögliche Koalitionspartner FDP ist nicht besser. Am Wochenende warnte die Gesundheitspolitikerin der Freien Demokraten, Christine Aschenberg-Dugnus, die allgemeine Impfpflicht als Drohkulisse in den Raum zu stellen.
Wer mit diesen Absolutismen angefangen hat, kann man in der Rückschau gar nicht mehr sagen. Viele Politiker haben im Verlauf der Pandemie eine verpflichtende Impfung ausgeschlossen. Am kategorischsten war wohl Jens Spahn (CDU), der noch amtierende Gesundheitsminister. In dieser Pandemie werde es keine Impfpflicht geben, sagte er im vergangenen Januar. Im August und im September sagte er dann, kein Lockdown mehr für Geimpfte.
Die Union merkte jetzt immerhin als erste, dass sie beides nicht mehr ganz ausschließen kann. Vor allen Dingen in Bayern, wo sie gerade mit den krassesten Corona-Infektionen zu kämpfen hat. Schon in der vergangenen Woche hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sich mit der Vermutung nach vorne gewagt, dass man am Ende eine allgemeine Impfpflicht brauchen werde, um nicht in eine Corona-Endlosschleife zu geraten. Am Montag wurde daraus ein CSU-Beschluss.
Der Widerstand bröckelt nun plötzlich auch bei der SPD. Der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach will die Impfpflicht nicht mehr ausschließen. Ähnliches hört man bei den Grünen. Nur die FDP ist gerade sehr still. Offenbar steht ein großer allgemeiner Sinneswandel kurz bevor.
Eine Impfpflicht ist ein großer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Man muss ihn abwägen und auch sehr gut kommunizieren, um weitere Polarisierung und gesellschaftliche Spaltung zu vermeiden. Kommunikation ist allerdings nicht gerade die Stärke der handelnden Kräfte. Das lässt sich sehr schön an Jens Spahns Desaster-Kommunikation rund um die Impfstoffe von Biontech und Moderna ablesen.


