Kommentar

Konferenz zur Nachfolge des 9-Euro-Tickets: Bitte kommt zu Potte!

Auf der Sonderkonferenz der Verkehrsminister zur Nachfolge des 9-Euro-Tickts gab es zu viel Konjunktiv für die brenzlige finanzielle Situation der Bürger.

In Berlin soll es ab Oktober ein Nahverkehrsticket für monatlich 29 Euro geben, befristet bis zum Ende des Jahres.
In Berlin soll es ab Oktober ein Nahverkehrsticket für monatlich 29 Euro geben, befristet bis zum Ende des Jahres.dpa/Carsten Koall

Vor zwei Wochen hat in Berlin das linke Bündnis Genug ist genug vor der Parteizentrale der Grünen protestiert. Während die Demonstrierenden über die Sanktionen gegen Russland so sehr uneins waren, dass fast die Fäuste flogen, waren sie sich in einem anderen Punkt vollkommen einig: Dieser Winter könnte für Millionen von Menschen in Deutschland zu einer bisher nicht gekannten finanziellen Belastungsprobe werden. Zu einer, bei der ihnen viel zu wenig unter die Arme gegriffen wird.

Die Gasumlage trifft auf eine Inflation, die nicht nur Menschen aus einkommensschwachen Haushalten an der Supermarktkasse zittern lässt. Und das ist keine Metapher. Eine Normalisierung der wirtschaftlichen Situation erwarten Experten vom IFO-Institut für Wirtschaftsforschung erst übernächstes Jahr. Bis dahin steigen die Preise. Kurz: Viele Menschen wissen buchstäblich nicht, wie sie durch den Winter kommen.

Zusätzlich zu alldem fiel eine große Erleichterung für die Bürgerinnen und Bürger Ende August weg: Das 9-Euro-Ticket endete pünktlich zum Herbst, mit dem die Schwierigkeiten für die meisten Menschen erst richtig beginnen. Die „beste Idee“ der Ampel, wie Olaf Scholz das 9-Euro-Ticket einmal nannte, soll einen Nachfolger bekommen. Das wurde am Montag in einer Sondersitzung der Verkehrsminister der Länder (Sonder-VMK) mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) entschieden. Dass es einen Nachfolger geben soll, ist natürlich richtig. Was falsch ist, ist mal wieder das gemächliche Tempo, mit dem man in Deutschland die Dinge angeht. 

Startdatum für das Ticket schon jetzt zu spät

Schon jetzt ist der Starttermin, der für das Nachfolgeticket anvisiert wurde (Januar 2023), zu spät. Zugegeben, es wurde auch beschlossen, dass eine Arbeitsgruppe zur Umsetzung des Nachfolgetickets gebildet werden soll. Dennoch: Es gibt bereits eine AG für den Ausbau und Erhalt des ÖPNV mit den Regionalisierungsmitteln, den Geldern vom Bund zur Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs. Sie hätte mit zusätzlichem Personal bestückt zügig an einer Ausgestaltung des Tickets arbeiten können. Wissing sagte über den Vorlauf des Januartermins, dass dies derselbe Zeitraum sei, den man auch gebraucht habe, um das 9-Euro-Ticket an den Start zu bringen. Warum es beim zweiten Mal genauso lange dauert, obwohl man es schon mal auf die Beine gestellt hat, weiß niemand.

„Hoffentlich“, so die Bremer Verkehrsministerin Maike Schaefer (SPD) und Gastgeberin der Konferenz, finde man Anfang Oktober schon zu einer konkreten Preisgestaltung des Tickets. Man wolle jetzt „relativ schnell zur Potte kommen“, so die Ministerin salopp. Eine konkrete Summe wollte indes niemand nennen. „Nicht so hoch wie ein Monatsticket“, werde der Preis sein, so Schaefer am Ende der Konferenz.

49 Euro ist zu teuer

Kolportiert wurden auf der Sonder-VMK eher 49 oder 69 denn 29 Euro. 49 Euro nahm Schaefer sogar ungefragt als Beispiel. Jedenfalls wäre das mehr als das Fünffache des Vorgängers und knapp doppelt so viel, wie in Berlin Sozialhilfeempfänger für eine Monatskarte zahlen (27,50 Euro). Echte Entlastung sieht anders aus. 29 Euro sollte das Ziel für ein Nachfolgerticket sein, damit die Bürgerinnen und Bürger überhaupt eine gewisse Erleichterung spüren. Besser noch wäre es, man bietet das Ticket für neun Euro an wie bisher. 

Berlin fackelte indes nicht lange und war mit einer eigenen Regelung bereits vorgeprescht – ohne die Sonder-VMK abzuwarten. Ab Oktober soll hier vorerst bis Jahresende das 29-Euro-Ticket gelten. Ein formeller Beschluss fehlt laut Website der BVG allerdings noch. Aus Brandenburg gab es Kritik für den Alleingang, man müsse eine gemeinsame Lösung finden.

Aber auch wenn Berlins Alleingang etwas vorschnell und nicht abgesprochen anmutet, zeigt er eines: Wenn man nur will, kann man zumindest auf politischer Ebene zu einer schnellen Lösung für die Bürgerinnen und Bürger kommen, die sie in diesen schweren Zeiten auch wirklich im Portemonnaie spüren. Also: Kommt bitte zu Potte!