Männlichkeit

Männer sollen Gewalt gegen Frauen gutheißen: Doch die „Studie“ war nur eine Umfrage

Eine Umfrage zum Thema „Männlichkeit“ wirft Fragen auf: Wie wurden die Teilnehmer erreicht und wie haben die Medien darüber berichtet?

Bodybuilder treten bei einem Wettbewerb auf.
Bodybuilder treten bei einem Wettbewerb auf.Vitalii Kliuiev/imago

Eine Umfrage macht seit gestern in den deutschen Medien die Runde. ZDF, „Tagesschau“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Focus Online, Die Zeit und auch die Berliner Zeitung. Wo man auch hinguckt, findet sich die erschreckende Schlagzeile: „Ein Drittel der jungen Männer findet Gewalt an Frauen akzeptabel.“ Die „Tagesschau“ nennt die Ergebnisse sogar ein „traditionelles Rollenbild“ der jungen deutschen Männer. Zum Text wählte der ÖRR ein Bild einer Reihe von Männern im Fußballtrikot und mit Bier in der Hand.

Die Online-Umfrage wurde von Plan International durchgeführt, einer unabhängigen Organisation der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe. Das Ergebnis ist furchteinflößend: 34 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie gegenüber Frauen schon mal handgreiflich werden. 52 Prozent seien der Meinung, dass ihre Partnerin für die Hausarbeit zuständig wäre. 48 Prozent der Befragten störten sich zudem daran, wenn Männer ihr Schwulsein in der Öffentlichkeit zeigen. Etwa 1000 Männer und ebenso viele Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren wurden von der Organisation im Zeitraum vom 9. bis zum 21. März befragt. Die Themen der Fragen drehten sich von der Rollenverteilung in einer Beziehung bis zum Verhalten in der Partnerschaft.

Wie eine Umfrage zur Studie wurde

Was einigen Lesern sofort aufgefallen ist: Als die Umfrage veröffentlicht wurde, konnte man sie online gar nicht aufrufen, um die Statistiken zu vergleichen. Die Redakteure der „Tagesschau“ bezeichneten zudem die Umfrage als „Studie“. Der Begriff wurde dann rasch verändert, ohne dass dieser Vorfall in einer angemessenen Anmerkung der Redaktion erwähnt wurde. „Der Online-Artikel wurde präzisiert und auf der Korrekturenseite vermerkt“, antwortete der Norddeutsche Rundfunk auf Anfrage der Berliner Zeitung. Die Redaktion von ARD-Aktuell hätte die Umfrage schon am Mittag zur Verfügung gehabt. 

In der „Tagesschau“ wurde eine Umfrage zur Studie gemacht. 
In der „Tagesschau“ wurde eine Umfrage zur Studie gemacht. Berliner Zeitung

Die Zeit zumindest fügte am Ende eines Artikels einen Hinweis hinzu und erklärte, dass die erste Version sich auf „Nachrichtenagenturen und andere Medien“ bezog. Deswegen änderte die Hamburger Zeitung einige Formulierungen. In der Anmerkung steht jedoch: „Nun liegt uns die komplette Studie selbst vor.“ Das es sich dabei um eine Umfrage handelt, haben die Redakteure der Zeit offensichtlich immer noch nicht verstanden. Die erbarmungslose Natur des Breaking-News-Journalismus belohnt oft den, der als Erstes veröffentlicht. Schnelligkeit hat Priorität, Präzision kommt später.

In Medien und in der Veröffentlichung von Plan International ist die Rede von einer „repräsentativen Umfrage“. Das heißt, dass die Statistiken eine allgemeine Darstellung der befragten Zielgruppen hergeben sollte, also junge deutsche Männer von 18 bis 35 Jahren. Im 28-seitigen Dokument der Befragung gibt es jedoch kaum Informationen zur Methodik, die angewandt wurde.

Alter, Geschlecht, Schulbildung und Fallzahlen für die regionale Aussteuerung der Stichprobe wurden gesammelt. Es wurden jedoch angeblich keine Fragen zu Einkommen, ethnischer Zugehörigkeit und zum Teilnahmeverhalten gestellt. Den Marktforschern zufolge handele es sich bei der Zielgruppe um „Personen mit etwas höherer Bildung, einer gewissen Computer-Affinität und einer natürlichen Neugierde und Mitteilungsbereitschaft.“ Ob das reicht, um die Umfrage als „repräsentativ“ zu bezeichnen?

Männliche Vorbilder: Ronaldo, Elon Musk und Andrew Tate

Die genaue Formulierung der Fragen ist zudem nirgendwo zu finden, sodass man nicht überprüfen kann, ob sie tendenziös gestellt wurden. Einige Antworten der Teilnehmer könnten darüber hinaus auf Bias hindeuten. Wie z.B. die Vorbilder der Befragten. Die am häufigsten genannten seien der Fußballspieler Cristiano Ronaldo, der Unternehmer Elon Musk sowie der Ex-Kampfsportler und Influencer Andrew Tate.

Die Online-Befragung wurde im Online-Access-Panel des Marktforschungsinstituts Moweb-Research mit Sitz in Düsseldorf  durchgeführt. Vermutet wird, dass die benutzte Plattform Myiyo ist, die Moweb gehört. Eine genaue Antwort konnte die Berliner Zeitung von Plan International nicht erhalten, Grund sei die telefonische Überbelastung der Organisation seit der Veröffentlichung der Umfrage.

Wie wurde die Umfrage durchgeführt?

Auf Myiyo bekommt man Geld im Austausch gegen Umfragen. Dort kann sich jeder in wenigen Schritten einen Account anlegen; auch ohne die eigene Identität preiszugeben. Zudem erhält man Punkte, wenn man Freunde auf die Plattform einlädt und die mindestens eine Umfrage erfolgreich abschließen. Das große Problem, das entstehen kann, ist, dass man zu viele gleiche Meinungen in einer selben Umfrage analysiert. Es fällt dann aber schwer, ein Ergebnis als „repräsentativ“ einzustufen.

Genau in dem Moment, als die Vorwürfe gegen Till Lindemann große Wellen schlugen, erschien eine Umfrage, die das gewalttätige Wesen junger Männer in Deutschland zu belegen scheint. Das passte. Vielleicht hinterfragten Medien auch deshalb die wissenschaftlichen Grundlagen der Erhebung nicht. Mit Journalismus hat das aber wenig zu tun und mit Wissenschaft sowieso nichts.