Politische Kultur

Österreich und Sebastian Kurz: Kaufen und gekauft werden

Der Rücktritt von Sebastian Kurz legt ein übles System offen, welches von Kurz und seiner Truppe perfektioniert wurde. 

Sebastian Kurz musste zurücktreten. 
Sebastian Kurz musste zurücktreten. dpa

Am Samstagabend trat in Wien der Bundeskanzler vor die Presse und erklärte mit gedämpfter Stimme, dass er sich schweren Herzens von seinem Amt trennen werde. Sebastian Kurz (ÖVP) hat damit einen weiteren Rekord aufgestellt: Er ist erst 35 Jahre alt und hat schon zwei Rücktritte als Kanzler hinter sich. Den ersten leitete er aus taktischen Erwägungen ein: Nachdem ein Video mit Korruptionsfantasien aus dem Vorleben des Chefs des damaligen Koalitionspartners FPÖ, Vizekanzler Heinz-Christian Strache, aufgetaucht war, schickte Kurz die FPÖ in die Wüste, präsentierte sich als Politiker eines neuen Stils, gewann die Nationalratswahlen fulminant. Er koalierte mit den Grünen, die in allen Punkten faktisch das Gegenteil von der extrem rechten FPÖ vertreten. Nun muss Kurz wegen Korruptionsermittlungen gegen sich selbst das Handtuch werfen: In der vergangenen Woche war die Staatsanwaltschaft unter anderem im Bundeskanzleramt eingerückt und gab bekannt, gegen Kurz und seinen innersten Zirkel werde wegen der Verdachts der Untreue, der Bestechung und der Bestechlichkeit ermittelt. Die Razzia löste ein Erdbeben in Österreich aus. Doch Kurz riss diesmal nicht die ganze Regierung mit in den Abgrund. Die schwarz-grüne Koalition macht vorerst weiter – doch sind Friktionen und Zerwürfnisse abzusehen. Kurz, dessen Abgang die Grünen gefordert hatten, will Fraktionschef und Parteiobmann bleiben. Er will die Regierung aus dem Schatten heraus steuern und schlug dem wegen der vielen Skandale genervten Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen seinen getreuen Gefolgsmann Alexander Schallenberg als Nachfolger vor. Weil die Republik wegen der diffusen Mehrheitsverhältnisse sonst unregierbar würde, kann Kurz diese Variante durchsetzen.

Die Oppositionsparteien müssen die Rochade zähneknirschend zur Kenntnis nehmen. Allerdings wiesen sie darauf hin, dass Kurz' Rückzug aus der ersten Reihe nicht ausreichend sei. Das „türkise System“ bestehe weiter, dies schade dem Land, und Kurz müsse komplett von der politischen Bühne verschwinden.

Das „türkise System“ ist das Markenzeichens des jungen Politikers. Nach außen freundlich und unverbindlich, hatte Kurz in den vergangenen Jahren die einst ruhmreiche konservative Volkspartei mit Härte und Kaltschnäuzigkeit entmachtet und ihre Hülle als Sprungbrett für seinen Aufstieg verwendet. Wie aus den Ermittlungsakten hervorgeht, sollen Kurz-Vertraute den parteiinternen Abschuss des Kurz-Vorgängers Reinhold Mitterlehner über manipulierte Meinungsumfragen gesteuert haben. Kurz war damals noch Außenminister und behauptet, von derlei Machenschaften nichts gewusst zu haben. Strafrechtlich wird das Thema relevant, weil die Kosten für die Meinungsumfragen aus dem Finanzministerium finanziert worden sein sollen – weil die Kurz-Truppe zu diesem Zeitpunkt noch nicht über ausreichend Geldtöpfe verfügt hatte. Nachdem Kurz sich auf diesem Weg an die Spitze der Partei gehievt hatte, wurden die Meinungsumfragen schlagartig besser und gegen Inseratenschaltungen soll die Zeitung „Österreich“, ein Medium der in Wien berüchtigten Fellner-Brüder, entsprechend auf einen Jubel-Kurs zugunsten von Kurz umgeschwenkt sein. Wolfgang Fellner, der „Journalist“ unter den Brüdern, der sich seit einigen Wochen Vorwürfen wegen sexueller Belästigung ausgesetzt sieht und daher für einige Zeit nicht in seiner Online-Sendung auftrat, bestreitet jegliche Käuflichkeit. Zum Beweis lud Fellner, der Herausgeber von „Österreich“, einen früheren und mittlerweile wegen übler Nachrede verurteilten Mitarbeiter ein, ihn „kritisch“ zu interviewen. In dem bemerkenswerten Gespräch, in dem durchweg eine heitere Stimmung herrschte, sagte Fellner, dass er die Hausdurchsuchung, die in seinem Verlag stattgefunden habe, nicht verstehen könne: Natürlich hätte er freiwillig alle Unterlagen zur Verfügung gestellt, wenn die Staatsanwaltschaft darum gebeten hätte. Auch das für Fellner möglicherweise noch verhängnisvolle Wort „Kick-Back“ fiel in dem launigen Plausch.

Die Involvierung der Fellner-Brüder macht deutlich, dass das „türkise System“ nur in methodischer Form der von Sebastian Kurz versprochene „neue Politik-Stil“ ist: In Österreich erhalten die Medien zahllose Inserate von der öffentlichen Hand. Die Gemeinde Wien ist der größte Zahler. Die vollkommen intransparent vergebenen Inserate ergänzen die staatliche „Presseförderung“, mit der notleidende Zeitungen über Wasser gehalten werden. Es wird in Wien als Verdienst der Korruptionsstaatsanwaltschaft gesehen, die bestehenden Missstände nun einmal konkret sichtbar gemacht zu haben. Das System Kurz war nämlich nur in einem Klima der „Freunderlwirtschaft“, des Netzwerkens und gegenseitigen Gebens und Nehmens möglich. Kurz war in diesem Zusammenhang auch international aufgefallen, wenngleich bisher ohne Konsequenzen. Der frühere Wirecard-Chef Markus Braun zählte zu seinen Beratern und spendete Kurz im Wahlkampf 70.000 Euro, gestückelt in mehrere Tranchen, um eine Offenlegung beim Rechnungshof zu umgehen.