Berliner Landespolitik

Berliner Zoff: Schafft es Rot-Grün-Rot gemeinsam durch den Winter?

Gut 100 Tage vor der Wahlwiederholung knirscht es verdächtig in Berlins rot-grün-roter Koalition. Die Anlässe dazu sind fast schon nichtig.

Streitpunkt Friedrichstraße
Streitpunkt Friedrichstraßeimago/S. Gabsch

Was ein Gerichtsurteil auslösen kann. Berlins Verwaltungsgericht hat am Dienstag entschieden, dass die Sperrung der Friedrichstraße für Kraftfahrzeuge rechtswidrig sei. Das heiße, so das Gericht: vorerst freie Fahrt in der Friedrichstraße!

Noch interessanter als die Gerichtsentscheidung, die das überlange Ausdehnen eines Verkehrsversuchs in einer der wichtigsten Einkaufsstraßen in Berlins östlicher Mitte verworfen hat, waren die Reaktionen darauf. Da stellt sich die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hin und kritisiert ihre Stellvertreterin – und Fachsenatorin – Bettina Jarasch für deren Umgang mit der Friedrichstraße. Der Verkehrsversuch müsse aufhören, das bisherige Konzept sei rechtswidrig. Mit dieser Entscheidung sei jetzt umzugehen. Wow!

Da stellt sich Bettina Jarasch zur besten Sendezeit ins Fernsehen und sagt: Ich bin mir nicht sicher, ob Franziska Giffey genau verstanden hat, worum es in dem Gerichtsentscheid ging. Es bleibe dabei, so Jarasch: Die Friedrichstraße werde Fußgängerzone. Und das entscheide niemand anderes als sie, die Verkehrssenatorin. Doppel-Wow!!

Allein die Wortwahl der beiden politischen Spitzenfrauen verrät: Ja, es ist Wahlkampf. Noch bevor die endgültige Entscheidung zur Wiederholung der Pannenwahl vom September vergangenen Jahres auf dem Tisch liegt, knirscht es verdächtig in der rot-grün-roten Koalition.

In diesen Komplex gehört auch der Streit um die Maskenpflicht. Am selben Tag, als der Streit um die Friedrichstraße eskalierte, scheiterte die grüne Gesundheitssenatorin Ulrike Gote mit ihrem Vorstoß für eine Verschärfung der Pflicht. Am Ende standen SPD und Linke gegen die Grünen, die vergeblich versuchten, Gote zu schützen und zu stützen.

Dennoch sind es vor allem Sozialdemokraten und Ökopartei, die munter aufeinander einschlagen. Da trifft es sich, dass sich bei den Grünen Antje Kapek – lange Jahre Abteilung Attacke – nach ein paar Monaten Auszeit gerade zur verkehrspolitischen Sprecherin ihrer Fraktion aufgeschwungen hat. Kaum ist sie es, kullert ihr der Friedrichstraßen-Zoff vor die Füße. Und was macht Kapek? Sagt, dass Giffey deutlich machen wolle, „dass sie auf Seiten der Autofahrer steht“.

Da ist es wieder: das Narrativ, dass Franziska Giffey zwar von ökologischem Stadtumbau spreche, in Wahrheit aber Benzin im Blut habe. Und es wird sicher auch nur wenige Tage dauern, bis – diesmal von der Linken – einer der üblichen Verdächtigen der Enteignungsfront sagen wird, Giffey missachte mit dieser oder jener Äußerung den erfolgreichen Volksentscheid vom vergangenen Jahr. Dann wird es wieder heißen, in Wahrheit habe Giffey Beton im Kopf.

Das klingt sehr nach 2021. Und es zeigt, dass Rot-Grün-Rot keinen der tiefgreifenden Konflikte wirklich abgeräumt hat. Jeder werkelt vor sich hin, im besten Fall ignoriert man einander. Das mag auch daran liegen, dass diese Koalition nur ein Jahr Zeit zum Abräumen gehabt hat, ehe schon wieder gewählt wird.

CDU und AfD sind im Angriffsmodus, die FDP macht Franziska Giffey schöne Augen

So oder so sind Friedrichstraßenstreit, Maskengezerre und das nächste Enteignungsgepöbel natürlich Steilvorlagen für jede Opposition. CDU und AfD werden wie bisher jede Chance nutzen, dem Senat Zerrüttung zu attestieren. Und die FDP wird wie seit einiger Zeit schon versuchen, Giffey schöne Augen zu machen. Nach dem Motto: Mit uns wäre das nicht passiert.

Das alles müsste für Franziska Giffey vor den Wahlen kein allzu großes Problem sein, wenn sie sich auf zwei Dinge verlassen könnte: den Rückhalt aus der Partei und einen eigenen Amtsbonus. Doch beides ist allenfalls bedingt vorhanden. Unvergessen ist ihre Schlappe beim letzten SPD-Parteitag, als sie mit nur 60 Prozent als Co-Vorsitzende wiedergewählt wurde. Und auch bei Umfragen waren ihre persönlichen Werte zuletzt nicht so gut wie bei anderen Regierungschefs. Giffey kann sich also ihres Standings keineswegs sicher sein. Eine schwierige Voraussetzung für einen kurzen Winterwahlkampf.

Völlig unabhängig davon wären die Regierungschefin und all die anderen gut beraten, sich um die Energiepreiskrise zu kümmern. Natürlich hat Rot-Grün-Rot schon viel verabredet. Über den Gaspreisbremsendeckeldoppelwumms der Bundesregierung hinaus will Berlin bis zu 1,5 Milliarden Euro zur Stützung von Privathaushalten und Unternehmen ausgeben. Die Linke spricht sogar von 2 Milliarden Euro.

Dagegen wirkt der Streit um die Friedrichstraße fast schon nichtig. Das ist zwar ein Totschlagsargument, könnte aber auch eine Chance für die angeschlagene Koalition sein. Sie könnte zeigen: Wir bringen Berlin durch den Winter! Niemand muss im Dunkeln sitzen oder frieren! Gelingt das nicht in einer gemeinsamen Anstrengung, werden im Februar die Karten neu gemischt.