Kolumne

SLAPP: Geschäfte mit der Angst

Aus Furcht vor Anfeindungen und Klageandrohungen scheut jede zweite Person inzwischen, sich öffentlich politisch zu äußern.

Sogenannte SLAPP, Einschüchterungsklagen gegen Verbände und Privatpersonen, könnten bald verboten werden.
Sogenannte SLAPP, Einschüchterungsklagen gegen Verbände und Privatpersonen, könnten bald verboten werden.imago

Auf Persönlichkeits-, Medien- und IT-Recht spezialisiere Anwaltskanzleien sind in Zeiten hitziger öffentlicher Auseinandersetzung gut beschäftigt. Die Frage, was über eine in der Öffentlichkeit stehende Person noch gesagt werden darf, führt allerdings seltener zu einem Rechtstreit als man vermuten könnte. Pointierte Aussagen, selbst wenn sie das Ansehen der Person berühren, können nämlich vor Gericht durchaus als legitime Meinungsäußerungen gewertet werden.

So kassierte das Bundesverfassungsgericht Ende 2021 anderslautende Urteile gegen eine Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung, die den Sänger Xavier Naidoo als Antisemiten bezeichnet hatte. Die Verfassungsrichter stellten in der Urteilsbegründung den Vorrang der Meinungsfreiheit gegenüber persönlichen Belangen des Klägers heraus.

Einen jahrelangen Rechtsstreit mit einem nicht zu unterschätzenden Prozesskostenrisiko will sich nicht jeder aussetzen. Anwältinnen und Anwälte raten deshalb bei begründbaren Aussagen allzu häufig, eine Unterlassungserklärung abzugeben – um die Angelegenheit außergerichtlich beizulegen. Wäre die Zielrichtung hierbei, die Justiz zu entlasten, dagegen wäre wenig zu sagen. Tatsächlich bezwecken derartige Drohungen jedoch oftmals, kritische Meinungen verstummen zu lassen.

Das lukrative Unterlassungswesen treibt seit einigen Jahren solche Blüten, dass Medien die Berichterstattung über als klagewütig berüchtigte Prominente einschränken. Im politischen Diskurs trifft es Blogger, Betroffenenverbände und selbst Kirchengruppen, die beispielsweise transfeindliche Anfeindungen und offenkundige Vernetzungen von Aktivisten mit rechtsextremen Netzwerken beim Namen nannten.

Privatpersonen, die sich auf Twitter und in anderen sozialen Medien beherzt gegen Anfeindungen zur Wehr setzen, stehen unter massivem Druck. Josephine Ballon, Head of Legal bei der Beratungsstelle HateAid, nennt Umfragen, denen zufolge „die Hälfte der Internet-Nutzenden sich seltener vor allem zu politischen Debatten äußert – aus Angst davor, selbst angefeindet zu werden“. Dabei stärkt die Rechtsprechung eigentlich den Widerspruch gegen polarisierende Meinungen.

Gerade Personen, die sich regelmäßig öffentlich derart äußern, hätten „keinen Anspruch darauf, nicht kritisiert zu werden“, so Josephine Ballon. Sachlich begründeter Widerspruch könnte auch als „überspitzte Kritik“ formuliert sein – eine Auffassung, die das Bundesverfassungsgericht als Recht auf einen emotionalen „Gegenschlag“ bezeichnet.

Doch gerade weil angebliche Verleumdungen oder Beleidigungen angesichts dessen schwer durchzusetzen wären, sehen sich Betroffene einem diffusen Bedrohungsszenario ausgesetzt: Die Angst vor einem ungewissen Prozessausgang, später auf unbezahlbaren Anwalts- und Gerichtskosten sitzenzubleiben, verleitet Betroffene dazu, sich einer Meinungshoheit zu fügen – für den demokratischen Diskurs ist das eine gefährliche Entwicklung.

Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Dr. Sascha Abrar weist in dem Zusammenhang auf den Vorstoß der EU-Kommission hin, sogenannte SLAPP (strategic lawsuit against public participation), mitunter aussichtslose Klagen gegen Privatpersonen und finanziell schwach aufgestellte Organisationen wie Selbsthilfegruppen, zu verbieten. Ein solcher Schritt fußt sogar auf der Rechtsprechung, die der Bundesgerichtshof bereits 2018 formulierte: Solche Klagen könnten nämlich als „sittenwidrig“ und missbräuchlich angesehen werden.