Berlin-Seit ein paar Tagen geht der Sechsjährige in den Hort, er wird zweimal die Woche getestet. Er kann das allein, weil wir das zu Hause geübt haben. Seit Donnerstag muss er eine Maske im Schulgebäude tragen. Er setzt sich morgens vor dem Schuleingang die Maske auf, dann geht er hinein. Er macht das ohne Klagen, es ist die Normalität für Corona-Kinder. Fast ein Drittel seines Lebens hat er mit der Pandemie verbracht.
Aber wie schwierig das sein muss, wenn man neu anfängt und sich viele Gesichter merken muss, von Kindern, von Lehrern, Erziehern, und diese Gesichter in den ersten Hort- und Schultagen zu einem großen Teil hinter einer Maske verborgen sind. Und es zerbricht mir das Herz, wenn ich lese, dass an diesem Wochenende wieder in Berliner Clubs gefeiert werden soll. Ohne Maske und ohne Abstand. Ich kann drei Stunden ohne Maske im Restaurant drinnen ohne Maske mit dreißig Leuten sitzen, von denen womöglich auch nicht alle geimpft sind, aber die Sechsjährigen müssen Mundschutz tragen? Sollen die Sechsjährigen vielleicht in der Wilden Renate zusammen feiern?
Ja, ich weiß, das klingt ungerecht. Aber ich bin genervt, und da wird man ungerecht. Ich bin es auch eigentlich müde, über diese Pandemie und die ganzen Ungerechtigkeiten zu schreiben, weil ich den Eindruck habe, ich könnte mich auch in eine ausgebaggerte Kohlegrube in der Lausitz setzen und schreien, es hätte den gleichen Effekt. So viele Eltern beschweren sich, so viele Kinderärzte und Psychologen mahnen, aber es verhallt ungehört.

Am 7./8. August 2021 im Blatt:
Freiheit oder Furcht? Wie die Pandemie uns verunsichert, trennt und vereint
Lars Eidinger in Bad Gastein: Der Schauspieler will als Fotokünstler ernst genommen werden
Die Grünen wollen Berlin zum Bullerbü machen. Ist das gaga oder visionär?
Rechtsradikal oder geläutert: Der Kampfsportler Timo Feucht verteidigt sich
Emmy für Berlin? Ein Porträt der Kostümbildnerin von „Das Damengambit“
https://berliner-zeitung.de/wochenendausgabe
Das Panik-Orchester
Ich bin sehr für die regelmäßige Testung, besonders zu Schulbeginn, wenn auch Reiserückkehrer unter den Schülern sind. Ich würde daran nichts ändern, vielleicht kann man sogar mehr PCR-Tests anschaffen, in Pilotprojekten wird das schon gemacht. Aber die Masken bei den Grundschülern, die noch stärker als die Größeren auf Mimik angewiesen sind, um Gefühle zu deuten: Muss das sein? Warum sagt man nicht: Maske erst ab zehn? Oder sogar erst ab zwölf? Gerade die Kleinen sind doch beim Lernen der Buchstaben und Laute drauf angewiesen, den Mund zu sehen? Und es ist auch widersprüchlich: Die Stiko sagt einerseits, Kinder müssen nicht geimpft werden, weil Covid für sie nicht gefährlich ist. Andererseits wird bestimmt, dass die Kinder Maske tragen. Was denn nun?
Von der Politik werden Kinder immer wieder vergessen oder nur als Verschiebemasse behandelt, zum Beispiel, wenn präventiv Schulen geschlossen werden, um Erwachsene zu schützen. Oder wenn Politiker Druck machen, dass Kinder und Jugendliche ganz schnell geimpft werden sollen, weil Erwachsene sich dem Piks verweigern – obwohl Covid erwiesenermaßen für Kinder nicht gefährlich ist.
Doch ich weiß auch, dass es zu einfach ist, nur auf „die Politik“ oder „die CDU und die SPD“ zu schimpfen, wie man immer wieder liest.
Es tut weh, das anzuerkennen, aber die Eltern sind an ihrer Misere zum Teil selbst schuld. Denn es gibt einen vielleicht zahlenmäßig nicht großen, aber stimmgewaltigen Teil der Elternschaft, die seit Monaten Hysterie verbreiten, die Schulen für Todesfallen halten – und die jede noch so kleine Lockerung ablehnen. Im Tagesspiegel schrieb erst diese Woche eine Kommentatorin, die Präsenzpflicht von Kindern in Schulen sei quasi Körperverletzung. Andere machen Stimmung in den sozialen Medien.
Die Panik-Fraktion, wie ich sie nenne, sorgt sich vor allem um mögliche Langzeitschäden durch Long Covid bei Kindern – weigert sich aber gleichzeitig anzuerkennen, dass es diese Schäden kaum gibt. Jede Woche kommen neue Studien heraus, die das belegen.
Grad in der vergangenen Woche ist wieder eine große Untersuchung vom King’s College London veröffentlicht worden, die zeigt, dass nur sehr, sehr wenige Kinder über Wochen und Monate hinweg an Spätfolgen leiden.
NEW—Large study using ZOE #COVID19 Study app data indicates long-lasting symptoms are rare in children. However, persistent symptoms must be recognised and children treated with timely multidisciplinary care to support recovery.
— The Lancet (@TheLancet) August 3, 2021
Read in @LancetChildAdol: https://t.co/tZ9N5XHubs pic.twitter.com/869mx07n1Y
Der Kinderarzt und Infektologe Arne Simons, der sich seit dem Beginn der Pandemie mit den Auswirkungen von Covid auf Kinder befasst, sagte vor einigen Tagen in einem Interview: „Die Sars-CoV-2-Infektion ist nicht gefährlicher als viele andere Virusinfektionen, die Kinder im Laufe ihres Lebens durchmachen.“ Doch viele wollen nicht einmal solchen Experten zuhören. Nach zwei Wochen soll die Maskenpflicht überprüft werden. Man darf hoffen.

