Kommentar

Klimaprotest: Nicht vom Thema ablenken, bitte

Ein Richter sieht in den Aktionen der „Letzten Generation“ keine Nötigung. Das wirkt erfreulich besonnen. Problematisch ist etwas anderes.

Aktivisten besetzten das Brandenburger Tor.
Aktivisten besetzten das Brandenburger Tor.dpa/Paul Zinken

Am Mittwoch hockte die „Letzte Generation“ auf dem Brandenburger Tor. Zwei Schwestern, die sich bei den Aktionen der Klimaprotestierer engagieren, stiegen auf das Denkmal und entrollten ein Plakat. „Wir wünschen uns ein Überleben für alle am Tag des Zusammenhalts“, lautete der Spruch auf dem Transparent.

Von Zusammenhalt kann allerdings gerade keine Rede sein. In den vergangenen Wochen hat sich Stimmung gegen die jungen Leute aufgebaut. Soldarisiert wird sich zunehmend stärker mit genervten Autofahrern, die auf Stadtstraßen im Stau stehen, weil sich Demonstranten irgendwo auf dem Asphalt festgeklebt haben, und weniger mit den Aktivisten, die auf die Gefahr aufmerksam machen, die von Emissionen ausgeht. Besonders steil ging die Zustimmung zu den Aktionen nach dem Tod einer Radfahrerin in den Keller, weil ein Spezialfahrzeug der Feuerwehr, das eventuell hätte helfen können, in einem Stau feststeckte, der von Klimaaktivisten erzeugt worden war.

Klingt kompliziert. Ist aber eigentlich ganz einfach. Die Debatte dreht sich nicht mehr um das eigentliche Anliegen. Vollkommen in den Hintergrund gerät, dass wir mit bedrohlichen Szenarien konfrontiert sind, dem absehbaren Verlust unserer Küstenregionen zum Beispiel, regelmäßigen Flutkatastrophen wie im Ahrtal, dauerhafter Dürre in Brandenburg, die mit dem Verlust unserer Wälder und der Landwirtschaft einhergeht.

Altbekannte Reflexe

Stattdessen geht es um die Legitimität von Protestformen. Umgehend sind auch die altbekannten Reflexe wieder da. Die CDU fordert härtere Strafen für Straßenblockierer und Museumsrandalierer, also für die Klima-Kleber. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach neulich schon von einer Klima-RAF, vor der es sich zu schützen gelte. Geht’s noch? Krasser geht es wohl nicht. Absurd angesichts von Leuten, die mit Sitzblockaden und Suppenwürfen auf Kunstwerke hinter Glas Aufmerksamkeit fürs Klimathema erreichen wollen.

Sehr wohltuend ist es da, dass die Staatsgewalt doch eher besonnen reagiert. Ein Berliner Richter sieht keine Nötigung in dem Protest. Politische Demonstrationen seien zwar lästig, aber für den demokratischen Rechtsstaat unerlässlich, befand er. Und außerdem teilte er mit, dass das Anliegen der Klimakämpfer ein wissenschaftlich nicht zu bestreitendes Thema sei. Verfassungsschützer sehen, wie zum Beispiel der thüringische Behördenchef Stephan Kramer in Thüringen, auch keine Klima-RAF im Kommen. Es sei wichtig, die Klimaschutzbewegung nicht zu diskreditieren, sagte er in einem Interview.

Anschlussfähig für breite Bevölkerungsmehrheiten ist der nervige Protest aber offenbar nicht. Die Weltuntergangsszenarien der Demonstranten stoßen eher ab, als dass sie mobilisieren würden. Tragisch, weil wir auf der anderen Seite nämlich eine echte Leerstelle haben: Ganz offensichtlich sind wir derzeit nicht in der Lage, konsequent auf die Bedrohung durch die Klimakrise zu reagieren. Wie wirksame, gerechte Klimapolitik aussehen müsste und wer jetzt handeln muss, wird aber gar nicht mehr besprochen.

Den Klimaaktivistinnen und -aktivisten ist es gelungen, ein Thema, das unbestritten für den Fortbestand der Menschheit entscheidend ist, aber zwischen Ukraine-Krieg, Inflation, Energie- und Wirtschaftskrise in den Hintergrund gerät, in der Öffentlichkeit zu halten. Den Rest müssen andere machen. Die stürzen sich aber nur allzu gern in eine ablenkende Debatte über Protestformen. Das ist das eigentliche Problem.