„Der unaufhaltsame Aufstieg Polens“ prangte jüngst auf dem Titelblatt des Wirtschaftsmagazins Economist. Und viermal untereinander in roten Lettern ganz groß: Polen. Als ich vor 22 Jahren nach Warschau kam, sah die Welt noch anders aus. Polen war kurz davor, in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Und meine deutsch-polnischen Eltern hatten mich in der 10. Klasse für ein halbes Jahr in die polnische Hauptstadt geschickt, um dort in der Schule besser Polnisch zu lernen. Die ein oder andere Gemeinheit musste ich natürlich über mich ergehen lassen, auch wenn für die Polen alles aus dem Westen so viel hipper war als in Polen. So musste ausgerechnet ich das Gedicht von der Wanda, die den Deutschen nicht wollte, rezitieren. Die Sage besagt, dass sich Wanda eines Nachts in die Weichsel stürzte, weil sie den deutschen Prinzen Rüdiger nicht ehelichen wollte.
Meine Tante, bei der ich während meines Warschau-Aufenthaltes wohnte, wusste mich besser einzusetzen als meine Polnisch-Lehrerin. Ich gab Nachhilfeunterricht in einer Jugendfreizeiteinrichtung der Malteser. Zwischen Villen gelegen, grenzte sie direkt an ein Viertel mit Hochhäusern des Kommunismus. Der Vater meines Schützlings war Alkoholiker, die Mutter Prostituierte. An Nachhilfeunterricht war nicht zu denken, doch wir haben das Beste daraus gemacht.

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