Interview mit Erich Vad

Ukraine-Verhandlungen in Genf: „Die Europäer sind Zaungast und zahlen“

Erich Vad, ehemaliger Militärberater von Angela Merkel, ordnet den amerikanischen Friedensplan ein. Die Europäer sollten die Verhandlungen nicht torpedieren. Ein Interview.

Die EU setzt bislang auf Waffen statt Diplomatie: Bundeskanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj (v.l.n.r.)
Die EU setzt bislang auf Waffen statt Diplomatie: Bundeskanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj (v.l.n.r.)Kay Nietfeld/dpa

Die US-Regierung hat einen mit Russland abgestimmten Friedensplan vorgelegt. Bereits am Sonntag werden erste Verhandlungen mit Delegationen aus der Ukraine und europäischen Staaten geführt. Erich Vad war unter Bundeskanzlerin Angela Merkel militärpolitischer Berater. Die Berliner Zeitung sprach mit ihm über die Inhalte des Friedensplans, ein mögliches Ende des Ukrainekriegs und die Haltung der Europäer.

Herr Vad, die USA haben einen neuen Friedensplan für die Ukraine vorgelegt. Wird das Dokument zu einem Ende des Krieges führen?

Es ist auf jeden Fall ein gehöriger Fortschritt. Man muss sich die Fragen stellen, was die Alternative zu diesem Krieg ist, für den es keine militärische Lösung gibt, und was die Strategie der Europäer ist, die sich auf bloße Waffenlieferungen beschränkt haben. Letztlich hat die EU den Krieg in der Ukraine ungewollt befeuert, weil Diplomatie und Verhandlungen über Jahre fehlten, bis heute.

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Anne Schönharting/OSTKREUZ
Zur Person
Dr. Erich Vad ist Unternehmensberater, Sicherheits- und Militärexperte, Publizist und Buchautor. Der Brigadegeneral a.D. war von 2006 bis 2013 Gruppenleiter im Bundeskanzleramt, Sekretär des Bundessicherheitsrates und militärpolitischer Berater der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Es gab bereits Friedensinitiativen für die Ukraine aus anderen Ländern. Ist der Plan der US-Regierung weiterführender?

Der amerikanische Plan ist im Vergleich zu den Initiativen, die es aus Brasilien, China, Südafrika, dem Vatikan und anderen Staaten gab, sehr viel konkreter. Ich finde es deswegen auch fehl am Platz, jetzt von der europäischen Seite nur zu kritisieren und hysterisch von Kapitulation zu reden, ohne endlich eigene konstruktive Vorschläge zu machen. Europa hatte fast dreieinhalb Jahre Zeit dazu, und gekommen ist nichts. Dieser Friedensplan ist nicht perfekt, aber er ist auf jeden Fall substanziell mehr als alles, was in der Vergangenheit gemacht worden ist. Die Europäer haben außerdem nichts unternommen, was zu einem Interessenausgleich und Dialog mit Russland hätte führen können.

Durch welche Punkte in dem Friedensplan können ernsthafte Verhandlungen mit den Kriegsparteien in Gang gesetzt werden?

Es werden wesentliche Punkte genannt: Die Ukraine bleibt souverän, es wird ein Nichtangriffsabkommen abgeschlossen zwischen Russland, der Ukraine und der EU. Natürlich muss noch genau ausgehandelt werden, wie es konkret definiert wird, aber es ist ein erster Schritt. Die Ukraine bekommt Sicherheitsgarantien. Die Nato würde bei einem russischen Angriff eingreifen, denn die Ukraine bekommt den EU-Beitritt, und die EU-Mitgliedschaft sieht die Beistandsverpflichtung nach Artikel 42 des EU-Vertrages vor. Was ich sehr wichtig finde, ist die im Friedensplan offensichtlich vorgesehene Verlängerung des „New Start“-Abkommens, das im Februar 2026 ausläuft. Das ist ein Abkommen zur Begrenzung der strategischen Trägersysteme und Gefechtsköpfe der USA und Russlands. Eine Verlängerung wäre ein ganz wichtiger Baustein für die Revitalisierung von Rüstungskontrolle und Abrüstung. Und zudem ist in dem Plan ein Wiederaufbauprogramm für die Ukraine vorgesehen.

Vom Wiederaufbau der Ukraine verspricht sich die US-Regierung ein gehöriges Stück vom Kuchen. Sollte man einem Friedensplan zustimmen, durch den das Land seiner Ressourcen beraubt wird?

Natürlich profitieren die Amerikaner massiv. Das kann man kritisieren. Trump ist bekannt dafür, dass er nichts umsonst macht. Aber auf der anderen Seite wird die kommerzielle Nutzung des Dnepr und Odessas geregelt. Dadurch kann die Ukraine wieder ungestört ihre Getreide-Exporte für den Welthandel durchführen. Wesentlich ist, dass ein sofortiger Waffenstillstand vereinbart und durchgesetzt wird. Der wird in dem Dokument gefordert. Die Amerikaner haben zudem erklärt, der Plan sei ein „Living Document“. Es ist meiner Ansicht nach schon ein sehr weitgehender erster Aufschlag, der hoffen lässt. Auch die Europäer wollen noch Forderungen einbringen. Wichtig ist es, dass sie den Prozess nicht blockieren. Die Alternative hieße nämlich, wir führten einen Krieg weiter – mit hohem Eskalationspotenzial, der in einen europäischen Krieg umschlagen kann.

Putin will den Krieg erst beenden, wenn die russischen Sicherheitsinteressen berücksichtigt sind. Wenn die Ukraine der EU beitritt, gilt die Nato-Beistandsverpflichtung. Wird Russland das akzeptieren?

In dem Friedensplan werden die zentralen Sicherheitsinteressen Russlands berücksichtigt. Die Nato-Mitgliedschaft ist vom Tisch, ebenso die mögliche Stationierung westlicher Truppen in der Ukraine. Letztlich waren die angestrebte Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und die Beabsichtigung der Stationierung westlicher Truppen in der Ukraine die Ursache für den Ukrainekrieg.

Eine russische Offensive dürfte die Ukraine im Winter vor enorme Herausforderungen stellen. Wäre die Ukraine überhaupt noch in der Lage, Widerstand zu leisten?

Die militärische Lage ist sehr kritisch für die Ukraine. Den Russen sind an mehreren Frontabschnitten Durchbrüche und Geländegewinne gelungen. Die für die Wintermonate wichtige Energieinfrastruktur der Ukraine ist durch die russischen Luftangriffe stark getroffen worden. Die ukrainische Armee hat massive Personalprobleme. Ein großes Thema ist Fahnenflucht und die Mobilisierung von Wehrfähigen. Es ist schon seit Monaten klar, dass die ukrainische Armee militärisch nicht in der Lage ist, den Kriegsverlauf zu drehen. Ich habe schon Ende 2022 gesagt, dass eine militärische Lösung des Krieges ohne Verhandlungen unwahrscheinlich ist. Das hat sich mehr als bestätigt.
Der eindimensionale europäische Weg der Waffenlieferungen ohne einen einzigen Versuch des diplomatischen Interessenausgleichs ist vollkommen gescheitert. Deshalb sind die Europäer auch bei der Erarbeitung des Friedensplans und in den laufenden Verhandlungen mit Russland vollkommen außen vor. Am Ende bekommt Russland das, was es will – und übrigens bereits so gut wie hat. Die USA wollen aus diesem Krieg in Europa raus und verdienen mit dem Plan sehr viel Geld mit Blick auf das Wiederaufbauprogramm und bilaterale Investitionsprojekte mit den Russen. Die Europäer zahlen und sind Zaungast.

Muss Deutschland angesichts des Friedensplans die Russland-Politik neu ausrichten?

Wir brauchen militärische Abschreckung vor allen Eventualitäten. Dazu gehört auch, dass wir die Bundeswehr wieder einsatzfähig machen und die Nato im Osten neu aufstellen. Aber wir brauchen parallel zu diesen Maßnahmen endlich Diplomatie, Interessensausgleich, Dialog und Abrüstung. Und das ist bei allen Schwächen dieses jetzigen Friedensplans der Fall. Es ist der Versuch eines diplomatischen Durchbruchs, der von den Europäern nicht blockiert, sondern verbessert und weiterverfolgt werden sollte.