Das Wort Sippenhaft gehört zum hässlichsten Erbe der germanischen Rechtstradition. Strafrechtliche Verantwortung ohne persönliche Vorwerfbarkeit – ein Unding in unseren aufgeklärten Augen. Solche Betrachtung setzt allerdings die Wandlung zum neuzeitlichen Personenbegriff voraus: Das Individuum emanzipierte sich von Familie, Sippe oder Stammesverband, gewann eigene Rechts- und Schuldfähigkeit.
Wie stets gefährdet diese Emanzipation ist, hat uns das 20. Jahrhundert vor Augen geführt. Die nationalsozialistische Justiz mit ihrer Entfesselung primitiver Ressentiments bediente sich von Anfang an des archaischen Rechtsinstruments. Schon im Sommer 1933 wurden Familienmitglieder des ersten Regierungschefs der Weimarer Demokratie verhaftet, des damals bereits exilierten SPD-Ministerpräsidenten Philipp Scheidemann. Große Bekanntheit erlangte die Inhaftnahme der Angehörigen nach dem gescheiterten Mordanschlag auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944; bis Kriegsende hielt der NS-Staat nahe Verwandte der Widerständler in seiner Gewalt.

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