Familie und Job – die größten Lügen (7)

Familie und Beruf: Was heißt hier Vereinbarkeit? Her mit der Empörung!

Seit Jahrzehnten spricht die Politik von Vereinbarkeit. Die ernüchternde, persönliche Bilanz einer 31-Jährigen. Und ein paar Ideen zur Verbesserung.

Ein Paar geht am Strand spazieren, die Frau trägt ein Baby im Tragetuch um den Bauch.
Ein Paar geht am Strand spazieren, die Frau trägt ein Baby im Tragetuch um den Bauch.imago/Maskot

Schon das Wort macht mich müde. Vereinbarkeit. Das klingt doch altbacken, ganz ehrlich, wie eine erschöpfte Empörung in einem sinnlosen Moment, zwischen Gutenachtgeschichte, Waschmaschine, Laptop und Telefon, es klingt nach To-do-Listen, geteilten Kalendern, gestressten Sprachnachrichten, nach einer so zaghaften Empörung, dass sie in Wahrheit überhaupt gar keine ist, sondern ein schlechter Kompromiss. Vereinbarkeit von was? Geben Sie das Wort doch mal bei Google ein. Der erste Treffer ist es schon: „Familie und Beruf“, was sonst.

Ein komisches Wortpaar. Klebt in manch einer Debatte aneinander wie Pommes und Ketchup, ist aber in der Realität, nach allem, was ich so höre, eine schlechte Kombination. Und da neulich ausgerechnet eine Familienministerin zurückgetreten ist, weil sie mit diesen beiden Teilen ihres Lebens offenbar überhaupt nicht klarkam – wenigstens ist das ein Teil der Rücktrittsgeschichte – denken wir also mal wieder darüber nach, was in dieser Hinsicht alles schiefläuft.

Ich bin Jahrgang 1990, und ich weiß, was für ein Glück ich habe mit meinem Beruf, auch wenn ich mich wohl damit arrangieren muss, dass ich mich die kommenden 40 Jahre von Jahresvertrag zu Jahresvertrag hangeln werde. Dass der Berliner Wohnungsmarkt grausam bleiben wird. Dass die Rente erst mit 70 kommt. Wenn nicht der Klimawandel uns vorher erledigt. Oder ein irrer Diktator. Meine Freundinnen und Freunde in Berlin sehe ich alle paar Wochen, und die Leute in anderen Städten, wenn es gut läuft, alle paar Monate.

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dpa
Unsere Serie: Familie und Job – die größten Lügen
Beruf und Familie lassen sich wunderbar vereinbaren, denkt man sich, bevor man Kinder bekommt. Etwas später merkt man: Das stimmt gar nicht. Und die Alltagskämpfe beginnen.
Was also läuft immer noch schief, was muss besser werden? Das versuchen wir in unserer Serie über den Mythos der Vereinbarkeit zu ergründen. Es geht ums Kinderkriegen, Beziehungen, Alter, Krankheit und Vorurteile.

Und ja, auch in meinem Umfeld klopft es an, dieses Gespenst, das danach fragt, wie man das denn eigentlich machen soll, dieses Erwerbsarbeiten und das Leben, wer will Kinder, wer will keine? Und mit wem? Wann? Wo? Und warum nicht? Zu zweit, oder allein, kann man das doch gar nicht schaffen?

Vereinbarkeit. Mal beiseite mit den individuellen Wünschen: Kann Kinderkriegen noch unattraktiver klingen?

Vereinbarkeit von „Familie und Beruf“ – was heißt das überhaupt?

Aber nicht allein der Klang des Wortes ist unattraktiv. Wie gesagt: Wer „Vereinbarkeit“ bei Google eingibt, erhält als ersten Suchvorschlag „Familie und Beruf“. Das heißt: Der Algorithmus der Suchmaschine ist trainiert, das kommt daher, dass viele Leute nach Hinweisen darauf suchen, wie das alles klappen soll. Vermutlich, weil es eben nicht klappt. Weil sie überfordert sind.

Ich bin nicht mal sicher, was das eigentlich heißt, Vereinbarkeit. Meistens meint es, denke ich, das Zurechtkommen mit dem Kinderkriegen und der Erwerbsarbeit zwischen einem Mann und einer Frau. So weit, so normativ.

Besonders gute Antworten finden die Leute im Netz aber scheinbar nicht, sonst müssten sie doch nicht ständig suchen?

Die meisten Suchanfragen kommen aus den westdeutschen Bundesländern und Berlin. Ein historischer Ballast, nicht überraschend. Den Wessi-Muttis wurde es per Gesetz schwer gemacht, bis 1977 durften sie keiner Erwerbsarbeit nachgehen, die nicht mit der Familie und dem Haushalt – ja, genau, vereinbar war. In der DDR war’s der Erzählung nach einfacher mit der Verteilung der Lohnarbeit zwischen den Geschlechtern, die Kinder-Betreuung sowieso besser. Wissen wir.

Wir wissen auch, selbst 30 Jahre nach der Wende ist überhaupt nichts besser in der Bundesrepublik. Auch das kann ich nicht mehr hören, es wurde sich doch schon so oft empört: Männer, also Väter, verdienen mehr, nehmen kaum Elternzeit, und wenn, dann nur sehr kurz, machen Karriere, übernehmen wenig Hausarbeit, und googeln garantiert viel seltener dieses dumme Wort, um in einem hoffnungsvollen Moment der Erschöpfung nach einem Ratgeber zu suchen. Die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern macht’s möglich. Das ist Politik. Wir wissen das.

Es gibt so viel mehr Arbeit als Erwerbsarbeit

Wie kann es also sein, dass das Einzige, was dazu seit Jahrzehnten auf den politischen Agenden steht, ein Wortschwamm wie „Vereinbarkeit“ sein soll? Jedes Mal, wenn ich mich an diesem Text versuche, brauche ich Koffein. Checke meine E-Mails, lese Twitter. Schreib einfach auf, was dich umtreibt, hat eine Kollegin gesagt. Die Wahrheit ist: Mir fehlt der Optimismus.

Total wahnsinnig müsse sein, wer in der heutigen Zeit auf die Idee kommt, Kinder zu bekommen, schrieb die Journalistin Antonia Baum vor fast zehn Jahren in der FAZ. Wenn ich Freundinnen frage, die Kinder haben und einer Lohnarbeit nachgehen, wie das alles funktioniert, dann sagen sie: „Das geht dann schon.“

Ich will aber nicht ständig müde sein, weil ich immerzu über Vereinbarkeit nachdenken muss und wahnsinnig erst recht nicht. Wahnsinnig, und dann auch noch wahnsinnig erschöpft? Leben nach dem „Das geht dann schon“-Motto? Ist das alles, was wir haben?

Wir wissen auch, was das Problem ist. Die Vereinbarkeit tragen neben der Schwangerschaft vor allem die Gebärfähigen aus, und müssen dazu den größten Anteil an Erziehungsarbeit leisten, zudem wollen oder sollen oder müssen sie auch ihre Erwerbsarbeit behalten, darin gut sein, und den Haushalt schmeißen, oder sich darum kümmern, dass es jemand anderes tut. Das Putzen, das Familienleben koordinieren, nicht zu vergessen, die Arbeit an den eigenen Körpern, gesund sein, oder besser „fit“, also Sport, Mode, Self-Care, Erholung. Was das macht mit den Betroffenen, dazu gibt es ganze Bücher, sie haben dann Titel wie: „Das Unwohlsein der modernen Mutter“.

In einem gleichnamigen Essay schreibt die Autorin Mareice Kaiser: „Es ist aber nicht das Kind, das die Psyche belastet, sondern die Bedingungen, zu denen Mutterschaft in Deutschland möglich ist.“ Keine wird als erschöpfte Mutter geboren, sie wird dazu gemacht. Und zwar nicht vom Kind.

Aus den feministischen Forderungen nach Gleichberechtigung im Arbeitsleben hat der Kapitalismus gemacht, was er am besten kann. Hyper-verwertbare Maschinen, die nicht nur die Produktion der Güter, sondern zeitgleich die Reproduktion der Gesellschaft wuppen. Auch das wissen wir. Rollen Sie ruhig mit den Augen, es ist leider wahr: Die feministische Revolution ist nicht vollendet.

Besonders bei heterosexuellen Paaren ist die Sorgearbeit mies verteilt. Die Corona-Pandemie hat’s gezeigt, die Krisenbewältigung hat die traditionellen Rollen wieder an die Oberfläche katapultiert. Wer übernimmt die Erziehung, aber auch die Fürsorge, die andere Verwandte als das Neugeborene betrifft, das Aufpeppeln geknickter Freunde, wer kriegt sie ab, die Schmähblicke von Kolleginnen, die mehr Erwerbsarbeit leisten, und die schmähenden Blicke von Kolleginnen, die weniger Erwerbsarbeit leisten? Sie ahnen es.

Und da reden wir noch gar nicht von den anderen Kämpfen am Erwerbsarbeitsplatz, gegen die ungleiche Bezahlung, das Unterbrochenwerden, die Besserwisserei, die dummen Sprüche, das „Schätzchen“, den ekeligen Blick. Fast die Hälfte der Angestellten berichtet, schon Sexismus am Arbeitsplatz beobachtet oder erlebt zu haben. Und wenn es „nur“ die Energie ist, die fürs Aushalten draufgeht: Auch das ist Arbeit. Und sie kommt immer obendrauf. Aber nicht für alle.

Väter wandeln die Elternzeit gern in Urlaub um

Bei der Belastung, die da auf Personen wartet, die schwanger werden können, scheint es naheliegend, nicht schwanger zu werden. Daraus ergeben sich mindestens zwei weitere Optionen, erstens, keine Kinder haben, und weil das für manche vielleicht nicht infrage kommt, bleibt noch: Dass alle die Vaterrolle spielen.

Wenn ich zum Beispiel Vater wäre, könnte ich mich heutzutage sogar modern und feministisch geben, zum Beispiel zwei oder drei Monate Elternzeit nehmen. Das könnte ich dann im Büro erzählen und meinen Freunden in der Kneipe. Damit läge ich sogar im Trend.

Zwei bis vier Monate in etwa sind die Zeit, die Väter laut Statistik in Deutschland aus der Erwerbstätigkeit ausscheiden, um Vollzeit-Elternteil zu sein. Genau genommen machen das 70 Prozent der Väter so – also von den knapp zwei Prozent der Väter, die überhaupt Elternzeit nehmen: Im Jahr 2019 waren nur 1,6 Prozent der Väter mit einem unter sechsjährigen Kind in Elternzeit. Anders die Mütter, von denen ein Viertel im Schnitt bis zu zwölf Monate fehlten. Aber sind die Väter in dieser Zeit überhaupt Vollzeit-Elternteil? Mir als Vater käme es jedenfalls sehr gelegen, die zwei Monate in einen langen Urlaub umzuwandeln.

Ich kenne Paare, bei denen es genau so läuft. Die, die ausgetragen und geboren hat, bleibt erst einmal zu Hause, stillt, wäscht, wischt, kümmert sich für viele Monate um alles, ausgenommen um sich selbst. Wenn dann das Gröbste hinter ihr liegt, reicht der moderne Vater seinen Antrag ein, dann geht es los, zum Beispiel mit dem Bus an die Atlantikküste, surfen. Wie viele Hetero-Paare gehen während der väterlichen Elternzeit in Urlaub? Schade, dass es dazu keine Zahlen gibt.

Das Dumme an der Idee ist also offensichtlich, und außerdem löst es, wenn wir einfach alle eine Männerrolle überzustreifen, kein einziges Problem.

Was ist mir den Kindern der Nannys?

Das wird nicht gegen das Problem helfen, dass wenn wir „Arbeit“ sagen, meist nur die Erwerbsarbeit meinen. Ohne die Fürsorge, die Arbeit, die darin steckt, Kinder großzuziehen, sich um sich selbst und andere zu kümmern, damit wir diese Wahnsinnswelt aushalten, gäbe es gar keine Menschen, die die Erwerbsarbeit machen könnten. Das ist ein Denkfehler. Ohne Arbeit für den Nachwuchs keine Manager, keine Schreinerinnen, keine Friseure. Trotzdem gilt Sorgearbeit nicht als „produktiv“, zählt nicht als „Arbeit“, wird nicht entlohnt.

Oh doch, sagen Sie vielleicht, wer es sich leisten kann, kann doch Angestellte bezahlen, um die Pflege zu übernehmen, auch außerhalb der Kita-Öffnungszeiten. Es gibt doch Nannys, Haushaltshilfen. Aber wollen Sie das denn? Wenn man Kinder möchte, hat man denn dann nicht auch Lust auf diese kleinen Menschen, will sie wachsen, spielen, sprechen sehen? Will, dass aus den kleinen Menschen auch korrekte große Leute werden? Warum sonst würde man das sonst überhaupt tun?

Was ist außerdem mit den Kindern der Nannys? Wer kümmert sich um sie? Die Eltern schon mal nicht, denn die sind ja unterwegs, die Sprösslinge von anderen großzuziehen. Fürsorge, verwertet.

Wie ich diese Sache mit der Vereinbarkeit also richtig verstehe, meint sie, dass am Ende alle, oder möglichst viele, auf die eine oder andere Weise noch viel mehr Erwerbsarbeit leisten sollen. Wollen wir wirklich so leben?

Ich denke einfach mal laut: Wie wäre eine Obergrenze im Erwerbsleben? Maximal 25 Stunden die Woche dürfte jede und jeder am Erwerbsarbeitsplatz verbringen. Oder 100 Stunden im Monat, flexibel stempelbar? Egal, ob sie Kinder haben, oder nicht. Ein Gehalt, das allen für ein gutes Leben reicht, gleiche Bezahlung garantiert, versteht sich. Die verbleibenden 15 Wochenstunden Arbeitszeit sind für Haushalt, Sorge, Pflege reserviert. Und die Liste mit all den wichtigen Dingen, die möglich sind, weil „Vereinbarkeit“ keine eigene Aufgabe mehr ist.

Wenn wir da angekommen sind, denke ich vielleicht noch mal drüber nach. Ohne gleich vor Erschöpfung vom Stuhl zu kippen.