Eines muss man der Ampelkoalition auf alle Fälle lassen: Das dritte Entlastungspaket existiert. Und das ist doch eine gute Nachricht. Wochenlang hatten SPD, Grüne und FDP untereinander gezankt und voneinander gefordert, der Sommer war geprägt von koalitionären Grabenkämpfen. Dass sich die Beteiligten nun nach einer gemeinsamen Nacht im Kanzleramt überhaupt auf etwas einigen konnten, darf deshalb schon als kleiner Erfolg gelten. Und ansonsten?
Zweifellos sind 65 Milliarden Euro Gesamtvolumen eine beachtliche Summe, oder um es wie Bundeskanzler Olaf Scholz auszudrücken: Da wird viel Geld „bewegt“. Die Ampel plant Einmalzahlungen für Rentner und Studenten sowie einen Heizkostenzuschuss für Wohngeldberechtigte. Sie will einen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket, Regelsätze für Bedürftige sollen nach der Einführung des Bürgergeldes Anfang des kommenden Jahres steigen. Das sind nur einige der Vorhaben, die für viele Menschen im Land eine Hilfe sein dürften. Der Ampelkoalition ist es diesmal gelungen, ein breit angelegtes Papier vorzulegen. Allerdings hat das Ganze ein Manko: die Finanzierung.
Tatsächlich steuert der Bund mit 32 Milliarden Euro nämlich nur rund die Hälfte des Geldes bei. Ein Nachtragshaushalt ist nicht geplant, die Schuldenbremse soll im kommenden Jahr eingehalten werden. Finanzminister Christian Lindner und seine Liberalen wollen sich in dieser Sache offenbar nicht bewegen. Und das könnte zu Problemen führen.
Beispiel Strompreisbremse: Sie soll durch die Abschöpfung von Gewinnen bei Stromkonzernen finanziert werden. Ob die Europäische Union dabei wie erhofft mitspielt, ist allerdings unklar. Zwar will die Ampelkoalition notfalls einen nationalen Alleingang wagen. Bis es so weit ist, dürfte jedoch noch einige Zeit vergehen, Wind- und Atomkraftbetreiber könnten klagen. Ebenso ist offen, wie viele Arbeitgeber am Ende steuerfreie Einmalzahlungen ausschütten.
Diese Regierung braucht Streit in der Krise
Ein anderes Beispiel ist der Nachfolger für das 9-Euro-Ticket, das zwischen 49 und 69 Euro kosten soll. Abgesehen davon, dass die Bürger deutlich mehr für das neue Angebot zahlen müssten, ist auch hier die Finanzierung nicht abschließend geklärt. Die Hälfte der Kosten sollen nämlich die Bundesländer tragen. Es stehen womöglich weitere zähe Verhandlungen an.
Apropos Verhandlungen: Die neue Bundesregierung war mit dem Versprechen angetreten, effizienter zu arbeiten, Nachtsitzungen sollten Geschichte sein. Mit diesem Vorhaben ist die Ampelkoalition gescheitert. Ganze 22 Stunden saß man im Kanzleramt beisammen, die Verhandlungen sollen mitunter schwierig gewesen sein.
Das kann man belächeln oder kritisieren. Allerdings darf dabei nicht vergessen werden, dass es sich bei Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen weiterhin um unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Zielgruppen handelt. Darüber täuschen weder gemeinsame Selfies noch harmonische Pressekonferenzen hinweg. Dass in einer Lage wie dieser stundenlang miteinander gerungen wird, muss aber keine Schwäche sein. Im Gegenteil: Um dieser Krise gerecht zu werden, muss Streit sein, damit möglichst keine Menschen im Land vergessen werden.


