Manuela Schwesig hat am Abend des russischen Überfalls auf die Ukraine ein Foto des Schweriner Schlosses getwittert, das in den blau-gelben Farben des osteuropäischen Landes strahlte. „Solidarität mit der Ukraine. Ein wichtiges Zeichen des Landtages“, hatte die Ministerpräsidentin der SPD dazu geschrieben – und nichts als Empörung geerntet. Peinlich, verlogen, Heuchelei lauteten noch die milderen Kommentare. So geht es jetzt vielen in der SPD, die einen Ruf als Putin-Versteher und Russenfreunde haben. Sie sind düpiert. „Ich habe mich getäuscht“, bekennt Matthias Platzeck, der als Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums bis zuletzt um Verständnis und Vertrauen für die russische Seite geworben hat, ohne zu erkennen, dass in Wladimir Putins Denken und Handeln solche Werte keine Rolle spielen.
Ein immer noch großer Teil der heutigen SPD-Mitglieder ist unter dem Eindruck der Friedenspolitik von Willy Brandt in die Partei eingetreten. Seine Ideen einer systemübergreifenden Entspannungspolitik, einer gemeinsamen Sicherheit für alle Europäer in Ost und West, in die Russland selbstverständlich eingebunden ist, gehören zur DNA der deutschen Sozialdemokraten. Das mag man heute naiv und blauäugig nennen. Immerhin haben diese Grundprinzipien aber für viele Jahrzehnte ein überwiegend friedliches Zusammenleben der meisten Europäer gesichert.
Der Westen baute Pipelines, die Sowjetunion zahlte mit Gas
Das ist die Grundlage, auf der sich in der sozialdemokratischen Welt – aber nicht nur dort – ganz verschiedene Motivationen für enge Beziehungen zur Russland entwickelt haben. Dazu gehörten stets Geschäftsinteressen, die immer schon mit sibirischem Erdgas, dessen Förderung und Transport zu tun hatten. In den 1970er-Jahren, als Brandt und Helmut Schmidt Kanzler waren, schlossen westdeutsche Konzerne wie Mannesmann, Thyssen und Ruhrgas Milliardenverträge mit der Sowjetunion über den Bau von Pipelines, den Moskau mit Erdgaslieferungen bezahlte.
Schon damals gab es darüber Auseinandersetzungen mit den USA, die vor einer zu großen Abhängigkeit der Westdeutschen von russischer Energie warnten und für amerikanisches Flüssiggas warben. Die Geschäfte fanden übrigens ungestört von einschneidenden politischen Ereignissen wie dem sowjetischen Einmarsch in der Tschechoslowakei 1968 statt. Das Engagement von Manuela Schwesig für die Pipelines Nord Stream 1 und 2 im Interesse der heimischen Wirtschaft steht also in einer langen Tradition. Gerhard Schröder wird das für sich ähnlich sehen, mit dem großen Unterschied, dass er nun allein auf eigene Rechnung wirtschaftet.
Freundschaftliche Nähe zwischen Brandt und Breschnew
Daneben gab es aber auch immer eine emotionale Bindung deutscher Politiker an Russland, die bei Sozialdemokraten mit ihrem ausgeprägten Geschichtsbewusstsein möglicherweise noch größer war als in anderen politischen Lagern – und in der DDR noch einmal anders. Dafür sprechen die Bilder der überaus freundschaftlichen Nähe zwischen Willy Brandt und Leonid Breschnew, zwei Männer einer Generation, die den großen Krieg ihrer beiden Länder miterlebt hatten, und zwar nicht auf der Seite der Angreifer. Es gibt aber auch die Bilder einer entspannten Nähe von Michail Gorbatschow und Helmut Kohl in Pullover und Strickjacke 1990 bei einem Besuch von Gorbatschows Datscha im Kaukasus.
Matthias Platzeck, lange SPD-Ministerpräsident von Brandenburg, erzählt gern von seiner Jugend in Potsdam, als er mit seinen Eltern in der Nähe der Grenze an der Glienicker Brücke wohnte. Seine Familie kaufte in russischen Läden ein, und seine Russischlehrerin begeisterte ihn mit Büchern und Filmen aus dem großen Land im Osten.
Als er dann im Frühjahr 1989 ein alternatives Kulturfest organisieren wollte, kamen ihm die sowjetischen Soldaten zur Hilfe gegen die Widerstände der Behörden, denen das Vorhaben suspekt war. „Aber wir sind dann zum sowjetischen Stadtkommandanten gegangen, der hat sich das angehört und gesagt: Ich schicke euch Soldaten mit einer Gulaschkanone. Da waren die Offiziellen hier platt. Die haben die Welt nicht mehr verstanden. Im Stasi-Protokoll, das wir dann später lesen konnten, stand: Es war leider ein Erfolg. Statt fünfhundert sind dreitausend Leute gekommen und die Russen haben Tee gekocht.“ Das sei eine prägende Erfahrung für ihn gewesen. Ebenso wie es für viele junge Leute aus der DDR ein großes Abenteuer war, in den 1970er-Jahren an der sowjetischen „Drushba“-Trasse zu arbeiten, das ostdeutsche Gegenstück zu den Gasprojekten der BRD. Es gehört zur bitteren Ironie dieser Tage, dass der von der FDJ betreute Streckenabschnitt in der Ukraine lag.
