Kommentar

Der Preis der Abwahl in den Bezirken: Volle Bezüge für drei Jahre

Die neuen Mehrheiten in den Berliner Bezirken müssen zu neuen Bezirksämtern führen. Auch wenn es teuer wird. Ein Kommentar.

Wer sitzt künftig vorne: Blick in den Saal der Bezirksverordnetenversammlung im Rathaus Tempelhof.
Wer sitzt künftig vorne: Blick in den Saal der Bezirksverordnetenversammlung im Rathaus Tempelhof.

Die entstehende Koalition aus CDU und SPD hat sich ein Projekt vorgenommen, an dem, man kann es wohl so sagen, alle Koalitionen der vergangenen 30 Jahre gescheitert sind. Das Thema taucht seither wie ein lebender Toter immer wieder in Koalitionsverträgen auf. Gemeint ist die berühmte Verwaltungsreform, genauer: die Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen Land und Bezirken und eine neue Verfasstheit in den Bezirken.

Schon die bislang letzte Reform von 2001 war nur mit Kompromissen möglich. Damals ging es darum, aus 23 die heutigen zwölf Bezirke zu schneiden. Ziel war es, gemessen an den Einwohnerzahlen ungefähr gleich große Einheiten zu schaffen, um mehr Effizienz bei niedrigeren Kosten zu erreichen. An der seltsamen Zwitterstellung der Bezirke wurde im Wesentlichen nichts geändert.

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Von Anne-Kattrin Palmer, Christine Dankbar

16.03.2023

Das Problem zeigt sich nun nach der Wiederholungswahl, die auch in den Bezirken die Mehrheits- und Stärkeverhältnisse ordentlich durcheinandergewirbelt hat. Die SPD ist nirgendwo mehr stärkste Kraft, die CDU hat neun von zwölf Bezirksparlamenten erobert. Die Union  dominiert in den Außenbezirken, die Grünen in der Innenstadt. In normalen Parlamenten wäre die Lösung einfach: Neue parlamentarische Mehrheiten bedeuten neue Regierungen. Genau das funktioniert aber in den Berliner Bezirken nicht so einfach, das ist im Gesetz schlicht nicht vorgesehen.

Die Bezirke sind Teil der zweistufigen Berliner Verwaltung: Der Senat und das Abgeordnetenhaus regeln die Dinge, die das Land angehen, die Bezirke sind für Belange vor Ort verantwortlich, Schulbau und Grünflächen zum Beispiel. Bis auf ein paar Gebühren haben sie keine eigenen Einnahmen, sondern erhalten ihren Etat über den Landesaushalt. Spätestens hier wird klar, dass die BVVen, also die Bezirksverordnetenversammlungen, zwar demokratisch gewählte Einheiten sind, aber eben nicht Parlamente wie etwa das Abgeordnetenhaus.

Daher gibt es bislang keine Koalitionen in den Bezirken, sondern nur Zählgemeinschaften zur Wahl der Bürgermeisterin und des Bürgermeisters. Daher haben auch alle Fraktionen, die groß genug sind, einen Anspruch auf einen Bezirksratsposten. Daher werden die Bürgermeister und Stadträte zwar gewählt; da sie aber Teil der Verwaltung sind, sind sie politische Beamte auf Zeit und zwar für die gesamte Legislatur. Eine Wahlwiederholung gab es bisher nicht, daher gibt es für den Fall auch keine Regel.

Die versuchen CDU, SPD, Grüne und Linke nun mit einem Gesetz zu schaffen, das vergangenen Donnerstag ins Parlament eingebracht wurde und schon in dieser Woche am Donnerstag in einer Sondersitzung beschlossen werden soll. Es soll – einmalig – die Neuwahl von Bürgermeistern und Stadträten in einer laufenden Legislatur erlauben. Denn bislang wird man Bezirksamtsmitglieder nur los, wenn sie freiwillig zurücktreten, unter Verlust aller Pensionsansprüche, oder mit einer Zweidrittelmehrheit abgewählt werden. Beides eher unwahrscheinlich.

Also erlaubt das Gesetz nun einmalig die Neuwahl von Bürgermeistern und Stadträten nach den bisherigen Regeln. Da es aber um Beamte auf Zeit geht, die ihren Job verlieren und nicht um „normale Politiker“, die eben im demokratischen Wettstreit unterlegen sind, muss ein Lösung gefunden werden: Geld.

In dem Gesetz ist geregelt, dass die Bezirksamtsmitglieder, die ihren Job verlieren, bis zum Ablauf ihrer Amtszeit, also in drei Jahren, weiter ihre Bezüge erhalten und zwar in der Höhe, die ihnen „am Tage vor dem Ausscheiden aus dem Bezirksamt zustanden“. Geld fürs Spazierengehen? Im Zweifel: ja. Die Betroffenen stehen weiterhin im Beamtenverhältnis, das heißt, es gibt eine gewisse Fürsorgepflicht. In dem Gesetz steht aber auch, dass mögliche Einkünfte aus neuen Jobs in voller Höhe abgezogen werden. 

Das Problem hätte man nicht, wenn man 2001 das politische Bezirksamt eingeführt hätte. Dann könnten sich auf Bezirksebene Koalitionen bilden. Mit neuen Mehrheiten hätten die sich einfach geändert. Die an diesen Bezirksbündnissen beteiligten Parteien hätten dann aber auch alle Bezirksamtsposten unter sich ausgemacht, sich ein politisches Programm für den Bezirk gegeben.

Die Idee des politischen Bezirksamtes tauchte jüngst wieder in dem Eckpapier für eine Verwaltungsreform des abgewählten rot-grün-roten Bündnisses auf. Ob CDU und SPD den Gedanken aufnehmen, ist noch offen. Man kann nur davon abraten. 13 politische Einheiten (Senat und zwölf Bezirke) mit verschiedenen Koalitionen, Parteiinteressen und dann auch noch Verwaltungsaufgaben! Dagegen wären Bundesregierung und Bundesrat ein Hort der Einigkeit und Geschlossenheit. Dann lieber das Einmal-Wahl-Gesetz.