Es ist erstaunlich, wie sich in diesen Tagen die Debatten von den Problemen wegbewegen. Auch Tage, nachdem die Bundesregierung verkündet hat, wie sie die Bürger von den hohen Preisen zu entlasten gedenkt, wird weiter gestritten. Aber nicht über die Entlastungen. Und auch nicht über die Zusammenhänge mit der strukturellen Krise, die bald alles andere überlagern wird: mit der Frage nämlich, wie wir der Klimaerwärmung begegnen. Denn Verbindungen gibt es durchaus. Nur, darum geht es in den öffentlichen Gefechten nicht.
Das Klima fällt in den Debatten mal wieder hinten runter. Stattdessen dreht sich der Streit um die Atomkraft. Um die letzten drei Meiler, einer Technologie, aus der dieses Land vor Jahren ausgestiegen ist. Um die Frage, ob diese Meiler nun in diesem Winter noch mal für den Notfall bereitgehalten oder grundsätzlich weiterbetrieben werden sollen. Der Eifer, mit dem gestritten wird, ist vollkommen überzogen.
Geradezu surreal wirkt das, wenn das Atomland Frankreich zeitgleich 31 seiner 56 Meiler abschalten muss, wodurch das Land wegen seiner übergroßen Abhängigkeit vor einem Blackout im Winter steht. Veraltet, korrodiert und mit zu wenig Kühlwasser stehen die Anlagen da und leiten im Dürresommer 30 Grad heißes Wasser in die kaum noch Wasser führenden Flüsse ein, während der Staat von Deutschland Strom kauft. Denn davon haben wir ja, anders als von Gas, gerade mehr, als wir brauchen.
Es ist entlarvend, aus welcher Ecke das größte Geschrei in dieser Endphase der Atomkraft in Deutschland kommt. Die Union, die den Ausstieg aus der Atomkraft einst beschloss, zetert und wirft dem Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ideologische Besessenheit vor, während der seiner Basis erklären muss, warum für die Netzstabilität befristet noch ein letztes Hintertürchen für die Atomkraft offen bleiben muss. Bis schließlich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der Kragen platzt und er der Union Unfähigkeit vorwirft: überall ausgestiegen, aus der Atomkraft, aus der Kohlekraft, aber nirgendwo eingestiegen. Bei den Erneuerbaren jedenfalls nicht, stattdessen Abwehrkämpfe gegen jedes Windrad.
Leider ist auch das scheinheilig, denn die SPD saß ja viele Jahre mit in der Regierung. Und auch jetzt ist in Bezug auf Klimaschutz nicht alles gut. Das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung belegt dies wieder einmal eindrücklich. Nur leider geht das in den hitzigen Debatten vollkommen unter.
Es gibt zwei Kritikpunkte an diesem Paket: Sozialverbände halten die Entlastungen für Arme für nicht ausreichend und Klimaforscherinnen und Klimaforscher bemängeln, dass der Klimaschutz eine Runde aussetzen soll. Stattdessen: Signale in die falsche Richtung.
Fatale Strompreisbremse
Das bezieht sich vor allen Dingen auf die beschlossene Strompreisbremse. Sie setzt gerade keine Einsparsignale, sondern tut so, als könne beim Verbrauch alles bleiben, wie es ist, wenn nur die Preise runtergingen. Das Aussetzen der CO₂-Preisanhebung setzt dieselben Signale. Der Aufschlag, der Tanken und Heizen für den Klimaschutz besteuert, soll erst 2024 wieder steigen. Niedrige Kosten für fossile Energien regen aber überhaupt nicht zum Sparen an. Die Klimaforscherin Brigitte Knopf vom Mercator-Institut (MCC) sieht hier ein Glaubwürdigkeitsproblem für die Klimapolitik insgesamt. Die Wirtschaft und ihre Interessenvertreter erhielten so das Signal, dass der Preispfad bei entsprechendem Druck jederzeit korrigiert werden könne, sagte Knopf. Die psychologische Wirkung hält sie für fatal. Das Aussetzen des Anstiegs signalisiere, dass die Regierung dieses Klimaschutz-Instrument nicht besonders ernst nehme.
Knopf äußerte sich vor ein paar Tagen auf dem Nachrichtenkanal Twitter auch noch zu einem weiteren Bestandteil des Pakets: der Zufallsgewinnsteuer. Über die Abschöpfung von Zufallsgewinnen in Zeiten von Krieg und Krise soll die Strompreisbremse bezahlt werden und ein stabiler Preis für einen Basisverbrauch entstehen. Damit werden allerdings vor allem Energieunternehmen der Erneuerbaren bestraft.
Bleibt noch zu erwähnen, dass eine Anhebung der Fernpendlerpauschale geplant ist, womit wiederum der Klimaschutz konterkariert wird und das Wunder des 9-Euro-Tickets, der massenhafte Umstieg vom Auto auf den ÖPNV, sich mit den angepeilten Preisen wohl nicht wiederholen lassen wird. Wenn man im Hinterkopf hat, dass der Verkehrssektor beim Einhalten seiner Klimaziele chronisch schlecht abschneidet, ist das keine gute Perspektive.

