Es ist eine Art der Vorwärtsverteidigung. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) plant bei der Plenarsitzung am Donnerstag keine Regierungserklärung zur möglichen Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl. „Sie wird dann eine Regierungserklärung abgeben, wenn die Entscheidung des Landesverfassungsgerichtshofs steht, nicht zur aktuell vorliegenden vorläufigen Einschätzung“, teilte Senatssprecherin Lisa Frerichs am Dienstag mit. „Die Entscheidung warten wir mit dem gebotenen Respekt vor der Arbeit des Gerichts ab.“
Die FDP-Fraktion hatte Ende vergangener Woche eine Regierungserklärung von Giffey gefordert. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja hatte der SPD-Politikerin vorgeworfen, ihre Partei trage die alleinige Verantwortung für die zahlreichen Wahlpannen, gleichzeitig schweige sie als Regierende Bürgermeisterin und Landesvorsitzende dazu. Sie müsse darlegen, welche Konsequenzen sie ziehen wolle.
Nun gilt die Forderung nach einer Regierungserklärung – oder wahlweise einem Machtwort des Regierungschefs – im Politikbetrieb als beliebtes Mittel der Opposition. In diesem Fall soll es darum gehen, ob Giffey mitverantwortlich für die Pannenwahl ist oder ob sie personelle Konsequenzen zu ziehen gedenkt. Im Gespräch ist etwa ein Rücktritt von Bausenator Andreas Geisel (SPD), der voriges Jahr als Innensenator die Rechtsaufsicht über die am Ende skandalösen Wahlen hatte.
Dabei hat sich Giffey dieser Tage bereits geäußert. Am Donnerstag, einen Tag nach der Einschätzung des Gerichts zur Wahlwiederholung, war die Regierende auf einem Ausflug in Cottbus. Sie wollte den dortigen SPD-Oberbürgermeisterkandidaten für seine Stichwahl gegen einen AfD-Politiker unterstützen. Bei der Gelegenheit sagte Giffey auf die Frage nach einer Wahlwiederholung: „Ich kann das nicht ungeschehen machen, was dort passiert ist, aber ich kann dafür sorgen – jetzt, wo ich politische Verantwortung habe –, dass das nicht noch mal passiert und dass wir gut aufgestellt, gut organisiert in eine solche Nachwahl oder Wiederholungswahl gehen.“ Zunächst aber – erst recht, solange es keine endgültige Entscheidung des Gerichts gibt – gehe es darum, die Berliner gut durch den Krisenwinter mit explodierenden Energiekosten zu bringen, so Giffey.
Von ihrem rot-grün-roten Senat bekommt sie dafür offenbar Rückendeckung. Nein, die Frage nach einer möglichen Wahlwiederholung habe „keine konkrete Rolle gespielt“, sagte Kultursenator Klaus Lederer (Linke) am Dienstagnachmittag im Anschluss an eine Senatssitzung. Der Vize-Regierungschef vertrat die Regierende Bürgermeisterin auf der anschließenden Pressekonferenz. Giffey war zur Ministerpräsidentenkonferenz geeilt. Themen: Energiepreisbremse und Milliardenhilfen für die Bevölkerung.
Kultursenator Klaus Lederer: Senat will Gerichtsentscheidung abwarten
Eine mögliche Regierungserklärung Giffeys am Donnerstag vor dem Berliner Abgeordnetenhaus sei im Senat ebenfalls kein Thema gewesen, berichtete Lederer. Als Jurist – der er auch ist – sage er, dass man „aus Respekt vor dem Gericht das Urteil abwarten“ solle. Dennoch werde wohl Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Donnerstag darüber sprechen, was die Expertenkommission für bessere Wahlen für das nächste Mal vorgeschlagen habe, was davon bereits umgesetzt worden sei und was noch kommen müsse, so Lederer. Auch die rot-grün-rote Regierungskoalition erwarte dazu eine lebhafte Debatte im Parlament, so Lederer.
Die Verantwortung für das Wahldesaster trägt zuvorderst die @spdberlin. Andreas Geisel ist als seinerzeit zuständiger Senator nicht mehr zu halten.
— Christoph Meyer (@Meyer_FDP) September 28, 2022
Eine funktionierende Stadt gibt es nur mit der @fdp_berlin. pic.twitter.com/tGAc2fbA9U
Tatsächlich könnte es noch einige Zeit dauern, bis es zur Wiederholung der 2021er-Pannenwahl kommen könnte. Denkbar ist, dass das Gericht dies Ende des Jahres beschließt. Dann müsste binnen 90 Tagen gewählt werden. Das könnte im März 2023 sein. Bis dahin sind es noch fünf Monate.
Der Senat, ja, die Stadt, können es sich „nicht erlauben, dass wir fünf Monate lange gar nichts tun“, sagte Senator Lederer am Dienstag. „Wir sind es den Berlinerinnen und Berlinern schuldig, jeden Tag, den wir im Amt sind, unsere Arbeit gut zu machen.“ Vielmehr werde die Regierung „daran gemessen, ob wir Berlin gut durch die Krise kriegen“.
Danach machte Lederer noch ein wenig Werbung in eigener Sache. Die Stadt habe keine einfache Zeit vor sich. Aber angesichts des Krisenmanagements vorheriger Regierungen etwa bei der Banken- oder der Flüchtlingskrise erkenne er keine politische Konstruktion, die mit mehr Engagement, Ernsthaftigkeit und Hingabe an der Bewältigung der aktuell drohenden Krise arbeite als die bisherige.
Berlin kann 800 Millionen bis 1,5 Milliarden Euro an Krisenhilfe ausgeben
Um diese Krise zu bewältigen – durch mögliche Stützungen für unter den Energiepreisen leidende Privathaushalte, sozio-kulturelle Infrastruktur, aber auch Unternehmen – soll ein Nachtragshaushalt aufgestellt werden, bestätigte Lederer. Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) habe die ersten Schritte dafür vorgelegt. Am 8. November wolle der Senat den Zusatzhaushalt beschließen, dann gehe der Plan vors Abgeordnetenhaus, das ihn in Gesetzesform umwandeln solle. Wunschtermin: der 15. Dezember, zur letzten Parlamentssitzung des Jahres.
Der genaue Umfang des Nachtragshaushalts ist nach wie vor offen. Die Berliner Koalition hat sich unlängst auf einen Rahmen von 800 Millionen bis 1,5 Milliarden Euro geeinigt. Am Ende wird davon abhängen, was auf Bundesebene passiert. Klaus Lederer fasst zusammen: Immerhin sei die Energieumlage vom Tisch. Aber wie wirke sich der Energiepreisdeckel konkret für Privathaushalte, Einrichtungen und Unternehmen aus? Wie werde die Gas- und Strompreisbremse ausgestaltet? Gebe es Heizkostenzuschüsse und Stromrabatte? Gebe es eine Regelung mit einem preislich geschützten Grundkontingent an Energie – und alles darüber werde dann teuer? Und was wird aus der Schuldenbremse, die der Staat jetzt so dringend brauche? All dies hänge davon ab, was Berlin am Ende wirklich noch allein stemmen müsse, so Lederer.
Bereits erhältlich ist das am 1. Oktober gestartete 29-Euro-Ticket für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Bereits beschlossen ist der Schutz der Mieter landeseigener Wohnungen vor Kündigungen und Stromsperren.
29-Euro-Ticket und Kündigungsschutz für Mieter sind schon beschlossen
Eines sei jedenfalls klar, so Berlins Vizeregierungschef. Selbst wenn es am Ende eine Wahlwiederholung geben sollte, werde der Senat keine umfassende Haushaltsdebatte mehr führen. „Es wird kein Buch der Wünsche geben“, sagte Lederer. Soll heißen: Wahlkampfgeschenke werden – diesmal – ausfallen.
Die Opposition wird es gerne hören. Aber wird sie es auch glauben? Sibylle Meister, Haushaltspolitikerin der FDP-Fraktion, urteilt: Der Nachtragshaushalt dürfe kein „populistischer Freifahrtschein sein“, sondern müsse klare Perspektiven und Planungssicherheit aufzeigen. Das müsse der Berliner Senat stets vor Augen haben „und darf hier keine Wahlkampfgeschenke verteilen“.



