Politik in der Pandemie

Trotz niedrigster Inzidenz: Berlin bleibt bei härtesten Corona-Regeln in Schulen

Brandenburg schafft Testpflicht an Schulen und in Kitas ab – Berlin behält sie. Mächtige Interessenverbände setzen Bildungssenatorin Busse unter Druck.

Innensenatorin Iris Spranger (l.) und Sozialsenatorin Katja Kipping bestritten am Dienstag die Senatspressekonferenz.
Innensenatorin Iris Spranger (l.) und Sozialsenatorin Katja Kipping bestritten am Dienstag die Senatspressekonferenz.dpa

Corona ist weiter allgegenwärtig, aber es ist beherrschbar geworden. Berlin hat seit Wochen die niedrigste Inzidenz aller Bundesländer, Krankenhäuser und auch Intensivstationen der Stadt können das Patientenaufkommen problemlos bewältigen. Dennoch sorgt der Senat mit seiner Corona-Politik für große Verwirrung. Sowohl zu Quarantäneregeln als auch zum Testregime in Schulen gab es zuletzt unterschiedliche Aussagen von Mitgliedern der Berliner Landesregierung. Am Dienstag war turnusmäßige Sitzung des Gremiums. Am Ende wurde entschieden: fast nichts! Es gebe noch Abstimmungsbedarf, hieß es auf der anschließenden Pressekonferenz.

Noch am Montag sagte Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne), dass die Isolationsfrist für Infizierte verkürzt werde. Sie sollten sich nur noch fünf Tage isolieren müssen. Das soll aber nur gelten, wenn sie 48 Stunden symptomfrei sind. Bisher sind nach einer Corona-Infektion auf Basis verschiedener Kriterien sieben bis zehn Tage Isolierung vorgeschrieben.

Sie sehe darin einen weiteren Schritt zu einer Normalisierung im Umgang mit Corona, sagte die Senatorin im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses. Dazu gehöre auch, künftig verstärkt auf Stichproben zu setzen. „So wie man das auch bei der Influenza macht“, sagte Gote. Und dann sagte sie noch: Alle Bundesländer wollten dies beschließen.

Befeuert durch Gote sprach sich auch Kultursenator Klaus Lederer (Linke) für die Verkürzung der Isolationszeit aus – wenn auch deutlich vorsichtiger. „Es ist eine schwierige Abwägung, das muss man an der Stelle wirklich sagen. Aber zumindest mit Omikron scheinen die Folgen anders beherrschbar zu sein, als das bei vorherigen Varianten war“, sagte der Vizeregierungschef am Dienstag bei RBB-Inforadio. „Wir werden in der Kultur trotzdem weiter vorsichtig sein.“

Corona sei nicht vorbei, das gelte auch für die Kultureinrichtungen. „Dort wird nach wie vor sehr darauf geachtet, dass Menschen, die in die Veranstaltungen gehen, auch sicher sind“, sagte er. Auf der anderen Seite fragten ihn Künstler, wie es sein könne, dass ganze Veranstaltungen abgesagt würden, wenn einer im Team positiv getestet sei, aber nicht einmal Symptome habe. „Das ist ja auch moralisch und seelisch eine ziemliche Katastrophe“, so Lederer.

Diese Katastrophe, wie Lederer es nennt, werden die Betroffenen wohl nun noch eine Weile aushalten müssen. So wurde am Dienstag bekannt, dass sich noch nicht alle Bundesländer zu den Lockerungen durchgerungen haben. Das liegt daran, dass alle – wie in der gesamten Pandemie – völlig unterschiedliche Voraussetzungen haben. So diskutiert man im Lande des Inzidenz-Spitzenreiters Schleswig-Holstein (1347,1) sicher anders über die Pandemie und mögliche Lockerungen als bei Schlusslicht Berlin (519,1).

Wie auch immer. Jedenfalls sah sich die Berliner Landesregierung am Dienstag außerstande, die Infektionsschutzverordnung so zu verändern, wie es die Fachsenatorin vorgeschlagen hatte. Man hoffe immer noch auf „ein bundeseinheitliches Vorgehen“, sagte Senatssprecherin Lisa Frerichs, und wolle auf jeden Fall die Gesundheitsministerkonferenz am Donnerstag abwarten. Die Isolationsregeln könnten dann in der kommenden Woche oder erst danach verändert werden, sagte sie.

Auch bei der Frage nach der weiteren Testpflicht in Schulen spricht der Senat nicht mit einer Zunge. So stellte Gesundheitssenatorin Ulrike Gote im Fachausschuss am Montag ein baldiges Ende der Testpflicht in Aussicht. Sie gehe davon aus, dass die in dem Fall zuständige Bildungsverwaltung diesen Weg ähnlich wie andere Bundesländer gehe, sagte die Grünen-Politikerin. Aus fachlicher Sicht sei eine Abkehr vom anlasslosen Testen richtig.

„Nicht mehr zu testen, bedeutet keinesfalls, auf Schutzmaßnahmen zu verzichten“, sagte Gote. Hierbei sei aber mehr Eigenverantwortung gefragt. „Ich kann nur allen empfehlen, sich an die jetzt gut eingeübten Schutzmaßnahmen auch individuell und in Selbstverantwortung zu halten.“ Dazu zähle etwa das freiwillige Tragen einer Schutzmaske.

Zudem seien Eltern auch in Zukunft aufgefordert, ihre Kinder bei Verdacht auf eine Corona-Infektion testen zu lassen und nicht in die Schule zu schicken, so Gote. Ein solches Vorgehen in Eigenverantwortung sei „sinnvoll und geboten“.

Eltern- und Lehrerverbände verlangen von Busse Testpflicht

In der Senatsbildungsverwaltung ließ man diese Expertise locker abtropfen. Man halte an der Planung fest, dass Schüler und Beschäftigte an den Schulen in der am Montag begonnenen ersten Woche nach den Osterferien jeden Tag getestet würden, also fünfmal. Mindestens in der Woche darauf müssten sich alle noch dreimal testen. Wie es danach weitergehe, werde erst im Austausch mit Hygienebeirat, Elternvertretungen und Schulleiterverbänden beraten, sagte ein Sprecher von Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD).

Sie steht unter enormem Druck von Elternverbänden und der Lehrergewerkschaft GEW. Beide verlangen, dass Tests in Schulen verpflichtend bleiben. Dass es auch anders geht, bewies der Nachbar Brandenburg. Am Dienstagnachmittag beendet die Landesregierung dort die Testpflicht für Schüler und Kita-Kinder.

Die AfD sieht Berlin als „bundesweiten Geisterfahrer“

Kritiker wie AfD-Bildungsexperte Thorsten Weiß halten den Berliner Sonderweg für falsch. „In der Woche vor den Osterferien lag der Anteil an positiven Tests bei 0,22 Prozent der getesteten Schüler und bei 0,51 Prozent der getesteten Lehrer. Diese verschwindend geringe Positivrate zeigt deutlich, dass es keinerlei medizinische oder epidemiologische Notwendigkeit mehr für die Tests gibt“, schreibt Weiß in einer Pressemitteilung.

In fast allen anderen Ländern ist die Testpflicht bereits beendet. Wenn Thüringen wie angekündigt nach dem 7. Mai nicht mehr testet, werde Berlin „als bundesweiter Geisterfahrer dastehen“, so der AfD-Politiker. „Es geht hier nur noch darum, ein Prinzip gegen die Realität durchzusetzen. Die Vernunft bleibt endgültig auf der Strecke.“