Bus und Bahn

9-Euro-Aktivisten: Mit diesem Trick wollen sie das Ticket selbst fortsetzen

Sie wollen das 9-Euro-Ticket auf eigene Faust fortsetzen und sammeln für Schwarzfahrer. Legal ist das eigentlich nicht – außer, man nimmt das Gesetz wörtlich.

Mit der Bahn ins Kittchen? Ohne Fahrschein kann das normalerweise passieren.
Mit der Bahn ins Kittchen? Ohne Fahrschein kann das normalerweise passieren.imago/T. Seeliger

Gestern war der letzte Tag des 9-Euro-Tickets. Doch für die Aktivisten des 9-Euro-Fonds soll trotzdem nicht Schluss sein. Auf ihrer Website heißt es: „Das 9-Euro-Ticket beenden? Nee, nee nee – eher geht die FDP“. Auch via Twitter, wo der Fonds gestern nach eigener Angabe 1300 Follower gewonnen hat und nun knapp 17.000 Follower zählt, verübeln die Verfechter des Gratis-ÖPNV den Regierungsparteien das Ende des 9-Euro-Tickets.

Eine „kollektive Ticketversicherung“ für Schwarzfahrer

Die Idee: Wer mitmachen will, zahlt weiterhin neun Euro im Monat – aber nicht an Verkehrsunternehmen, sondern in den Fonds. Dieser biete dann deutschlandweit eine „kollektive Ticketversicherung“ für alle, die mitmachen.

Wogegen man sich damit versichert? Gegen erhöhtes Beförderungsentgelt, das fällig wird, wenn man bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne gültiges Ticket vom Verkehrsbetrieb kontrolliert wird. Bei der Berliner BVG beträgt das Bußgeld 60 Euro, das ist der gesetzlich zugelassene Höchstsatz.

Konkret bedeutet das also: Der Fonds, in den man monatlich einzahlt, nimmt einem die Schwarzfahrer-Kosten ab, und das auch mehrfach. So soll das 9-Euro-Ticket de facto verlängert werden. Der einzige Unterschied: Man ist ohne Ticket unterwegs – und somit illegal.

Anmelden kann man sich dafür über ein einfaches Formular auf der Website, zu dem man über einen „Spenden“-Button gelangt. Zahlungsaufforderungen für erhöhte Beförderungsentgelte solle man dann einfach an eine E-Mail-Adresse schicken, und man bekomme sie erstattet.

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Von Christian Schlüter

01.09.2022

Sticker gegen Strafbarkeit

Der 9-Euro-Fonds ruft auf seiner Website alle, die mitmachen wollen, zum sichtbaren Tragen und Drucken seiner Sticker auf. Darauf prangt magentafarben: „Ich fahre ohne Fahrschein.“ Auch verweist der Sticker auf die Website des Vorhabens und ziert sich mit „#9€ticketbleibt“.

Tatsächlich sind die Sticker aber nicht nur dazu da, um auf das Projekt aufmerksam zu machen oder Unterstützung damit kundzutun. Ihr Zweck ist vor allem der, den Tatbestand des Schwarzfahrens zu umgehen.

Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? – Matthäus 7,3.
Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? – Matthäus 7,3.#9euroticketbleibt

Schwarzfahren ist in Deutschland keine Ordnungswidrigkeit, sondern eine Straftat und definiert sich als: Erschleichen von Leistungen. Das bedeutet, wer erwischt wird und das Bußgeld nicht zahlen kann, kassiert eine Anzeige vom Verkehrsbetrieb und kann im äußersten Fall im Gefängnis landen. Dieser Vollzug konnte während der Corona-Pandemie zwar ausgesetzt werden, seit Mai ist die Ausnahmeregelung aber wieder abgeschafft. Circa jede vierte Person in sogenannter Ersatzfreiheitsstrafe ist wegen Schwarzfahren inhaftiert.

Wenn es nach Leo Maurer, Pressesprecherin des 9-Euro-Fonds, geht, gehört die Strafbarkeit des Schwarzfahrens abgeschafft. Für sie ist klar: „Es ist ein Skandal, dass das Unterwegssein ohne Fahrschein strafrechtlich geahndet werden kann. Wir fordern die Entkriminalisierung von Fahrten ohne Fahrschein.“ Ihrer Meinung nach sei ein zahlungspflichtiger ÖPNV mitunter Ursache des Klimawandels und sozialer Ungerechtigkeit, die sie bekämpfen wolle. „Wir lösen das Problem als Zivilgesellschaft, bevor die Ampel es tut. Dabei berufen wir uns auf das Solidaritätsprinzip!“, erklärt sie gegenüber der Berliner Zeitung.

Während sich die BVG zu dem Vorgang auf Anfrage nicht äußern wollte, erklärte ein Sprecher der Deutschen Bahn, die für die Berliner S-Bahn zuständig ist: „Es gelten die VBB-Tarifbestimmungen. Jeder Fahrgast ohne gültigen Fahrschein schadet den ehrlichen Fahrgästen, die einen gültigen Fahrschein kaufen.“ 

Offen getragene Aufkleber sollen zeigen: Wir erschleichen keine Leistungen

Zumindest dabei sollen die Aufkleber Abhilfe schaffen – die Hoffnung der Fonds-Gründer: Der Straftatbestand soll umgangen werden, indem man durch öffentliches und explizites Bekennen zum Schwarzfahren den Vorwurf des „Erschleichens“ von sich weisen kann. Sich eine kostenlose Bahnfahrt zu „erschleichen“ sei nämlich nach Leo Maurer auch kein Selbstzweck. „Es geht uns eigentlich darum, Mobilität zukunftsfähig zu machen.“

Laut Website des Fonds bestätige die bisherige Rechtsprechung nur, dass kleine Sticker dafür nicht ausreichen würden. Daher drucke man eben besonders große Sticker. Wem das immer noch zu unsicher sei, der könne beim Schwarzfahren auch mit einem T-Shirt oder Plakat in die Bahn steigen, auf dem es heißt: „Ich fahre ohne Fahrschein“.

Dennoch: Garantieren will der Fonds keinen Schutz vor rechtlichen Konsequenzen. Man sei eine zu kleine Struktur, als dass man beim „Suchen von Anwält*innen“ oder mit „emotionalem Support“ helfen könne.

Welche Organisationen unterstützen den 9-Euro-Fonds noch?

Unterstützung bekommt der Fonds nicht nur aus den eigenen Reihen, sondern auch von anderen Organisationen. Mit dabei ist die Organisation „Freiheitsfonds – Raus aus der JVA“. Öffnet man ihre Website, springt einem in fetter Schrift entgegen: „Kein Fahrschein? Knast!“ Scrollt man weiter runter, so wird versprochen: „Du kommst aus dem Gefängnis frei.“ Darunter wird auf ein Formular verwiesen, das inhaftierte Schwarzfahrer für Rechtsbeistand ausfüllen sollen.

Dieser Fonds setzt sich dafür ein, dass der Straftatbestand gestrichen, Schwarzfahren entkriminalisiert und der ÖPNV langfristig kostenlos wird. Nach eigenen Angaben habe der Freiheitsfonds, der sich über Spenden finanziert, seit Dezember letzten Jahres bereits Strafen in Höhe von knapp einer halben Million Euro bezahlt und 512 Personen „freigekauft“.

Auch das selbsternannte Bündnis für Umverteilung „Wer hat, der gibt“ unterstützt den 9-Euro-Fonds. Er postuliert: „Die Reichen müssen für die Krise zahlen.“ Auf dem YouTube-Kanal des Vereins ist ein zweiminütiges Video zu sehen, in dem Mitglieder des Vereins als Kellner verkleidet das Berliner Restaurant Borchardt aufsuchen. Die Ankündigung: „Wir wollen den Abend blockieren! Don’t let the rich eat – wer nur sein Geld arbeiten lässt, soll auch nicht essen.“ Denn die Reichen würden, anders als der Rest der Gesellschaft, ihre gesellschaftliche Zeche nicht bezahlen. Den Gästen des Restaurants werden dann von den verkleideten Aktivisten ihre Rechnungen aufgetischt. „Ein Gruß aus der Küche: Die Umweltzerstörung durch die Reichen“, sagt eine Frau, während sie die Servierglocke vor den verpixelten Gästen vom mitgebrachten Silberteller hebt.

Fahren alle 9-Euro-Fonds-Mitglieder ab sofort schwarz?

Übrigens müssen sich nicht alle, die den 9-Euro-Fonds unterstützen wollen, zum Schwarzfahren bereit erklären. Auf der Website heißt es, es gebe drei Möglichkeiten, um zur „solidarischen Ticketversicherung“ beizutragen. Die erste sei die, die sich an Schwarzfahrer richtet: Wer keinen gültigen Fahrschein habe, zahle neun Euro – oder freiwillig auch mehr – im Monat, und bekomme im Gegenzug sein Entgelt im Falle einer Kontrolle erstattet.

Die zweite Option richtet sich an Menschen, die zum Beispiel über ihren Arbeitgeber ein ÖPNV-Ticket bekommen, und die Aktion dennoch unterstützen wollen: Auch solche dürfen einzahlen, um die Schwarzfahrer zu unterstützen. Eine dritte Form der Unterstützung richtet sich an Menschen, die mitmachen wollen, ohne zahlendes Mitglied zu werden – sie sollten dann eben einfach nur gut sichtbare „Ich fahre ohne Ticket“-Aufkleber beim Bahnfahren tragen. Ob die Polizei nun Menschen mit großen Aufklebern und ohne Ticket einfach laufenlassen werde, war von der Behörde bis Redaktionsschluss nicht zu erfahren.