Berlin-Der zweite Autokorso der prorussischen Demonstranten ist für heute abgesagt worden. Das ist zumindest eine gute Nachricht für diesen Tag, an dem vor zwei Monaten Russland die Grenze seines Nachbarlandes mit schweren Waffen überquert hat, an dem ein Angriffskrieg begonnen hat, der bis zu diesem Zeitpunkt mindestens 2500 Zivilisten das Leben gekostet hat. Es gibt wenig gesicherte Fakten in diesem Krieg, aber diese Zahlen gelten als gesichert.
Noch aber erschließt sich nicht, warum eine Minderheit von Russen in Berlin es für eine adäquate Geste hält, mit einem Auto durch eine westeuropäische Stadt zu fahren und mit wehenden Fahnen Russlands seine Zustimmung auszudrücken. Ganz gleich, ob neben diesen Fahnen auch eine Friedenstaube prangt, es bleibt dabei: Für die Tausenden Geflüchteten aus der Ukraine muss sich ein solcher Autokorso anfühlen wie ein Mittelfinger ihrem Schicksal gegenüber. Außerdem kommt das Ritual des Autokorsos aus Südeuropa und bedeutet dort meist, dass gerade eine Hochzeit stattfindet oder ein Fußballspiel gewonnen wurde.
Der erste prorussische Autokorso in Berlin fiel auf den Tag, als die Gräueltaten von Butscha bekannt wurden – und schon damals protestierte der ukrainische Botschafter in Deutschland scharf in Richtung der deutschen Öffentlichkeit, wie solche Solidaritätsbekundungen zugelassen werden können. Mit Recht. Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) verwies ebenso mit Recht auf das Recht auf Versammlungsfreiheit in Deutschland. Solange keine verfassungswidrigen Symbole gezeigt werden, müsse die Demonstration erlaubt sein.
Die Polizei teilte nach dem letzten Autokorso mit, dass sie bei einem Auto das verfassungsfeindlich eingestufte Z-Symbol sehr wohl feststellte. Es ist davon auszugehen, dass es sehr wohl häufiger gezeigt worden wäre, wenn dieses eine Auto nicht sofort aus dem Verkehr gezogen wäre. Anti-Corona-Demonstrationen wurden verboten, weil davon auszugehen war, dass sich ihre Teilnehmer nicht an die Regeln halten. Davon konnte auch bei diesem Autokorso ausgegangen werden.
An diesem Wochenende nun haben die Veranstalter noch einmal darauf hingewiesen, dass ihr Korso für Frieden und Verständigung werbe, gegen Rassismus und Genozid gerichtet sei. Sie rufen sogar die Ukrainer frech dazu auf, sich in ihren Autokorso einzureihen. Der Veranstalter sagt wörtlich in Richtung der Ukrainer in einem Youtube-Video: „Wenn ihr für den Krieg seid, dann macht so weiter wie bisher.“
Damit hat er noch einmal genau die Täter-Opfer-Umkehr betrieben, die auch auf dem Ostermarsch in Kreuzberg vor einer Woche häufig zu hören war: Die angegriffene Ukraine sollte aufhören, sich zu wehren, dann wäre der Krieg schnell vorbei. Ein Plakat lautete dort: „Hände weg von Russland.“ Es bleibt eine unglaubwürdige Position, die sich sehr bequem von Deutschland aus fordern lässt, solange das eigene Land nicht betroffen ist.


