Das Aktionsbündnis Queere Nothilfe Ukraine hat knapp eine Million Euro für queere Menschen in Not gesammelt, hilft bei Evakuierung sowie der Flucht, bei Unterbringung und Versorgung. Trotz Spendenrekord ist dem Bündnis bewusst, dass auch in Zukunft weitere Hilfe und Unterstützung queerer Menschen in der Ukraine und auf der Flucht vor dem Krieg notwendig sein wird. Teil des Bündnisses ist die Schwulenberatung Berlin, für die Stephan Jäkel im Interview über die Queere Nothilfe Ukraine spricht.
Stephan Jäkel, die Schwulenberatung Berlin ist Teil des Bündnisses Queere Nothilfe Ukraine, welches kurz nach Kriegsbeginn vor einem Jahr ins Leben gerufen wurde. Wie ist die Situation der queeren Menschen aus der Ukraine heute?
Ein Teil der vulnerablen Gruppen, darunter auch die LGBT, haben nach dem 24. Februar versucht, die Ukraine zu verlassen, manche sind auch wieder zurückgegangen. Ein Teil ist aber auch von Beginn an geblieben, um in dem Land weiter für Demokratie und Gleichberechtigung zu kämpfen. Schnell war aber klar, dass durch die Mobilmachung in der Ukraine Männer und Trans*Frauen, die noch einen männlichen Geschlechtseintrag im Pass haben, nicht mehr außer Landes gelangen konnten.
Gerade in Bezug auf den sogenannten Verteilschlüssel wurden wir aber leider nicht ausreichend angehört.
Wie sieht die Unterstützung für die queeren Geflüchteten durch das Bündnis konkret aus?
Nach dem 24. Februar hat sich ein Bündnis aus bundesweit über 40 Initiativen und Organisationen gegründet. In den ersten Monaten gab es wöchentliche Treffen und es bildeten sich verschiedene Arbeitsgruppen heraus. Primär haben wir Spenden gesammelt und diese Spenden sind zu einem großen Teil direkt in die Ukraine gegangen, wo wir mit queeren Organisationen vor Ort zusammenarbeiten, die dort queere Menschen unterstützen.
Zudem wurden sogenannte Shelter aufgebaut, wo queere Menschen in der West-Ukraine, aber auch in Tschechien und Polen Zuflucht finden. Diese Shelter sind Unterkünfte, in denen Geflüchtete Unterschlupf finden für eine kurze oder längere Zeit und diese Unterkünfte werden ebenfalls mit den Spenden unterstützt: Finanziell, aber auch mit Sachspenden, also Lebensmitteln, Schlafsäcken, Matratzen etc. Ein Großteil der Spenden ging direkt in die Ukraine und die angrenzenden Länder. Es haben sich aber auch hier Initiative gegründet, die die Geflüchteten in Deutschland unterstützen.

Seit 2015 baut die Schwulenberatung Berlin spezifische Angebote für queere Geflüchtete auf, darunter eine niedrigschwellige Anlaufstätte für Geflüchtete, Asylverfahrensberatung, psychologische Betreuung und Möglichkeiten zur Unterkunft.
Wie sieht die Unterstützung aus, wenn es die queeren Geflüchteten nach Deutschland geschafft haben?
Zu Kriegsbeginn war die Aufnahmesituation hier überhaupt nicht geregelt. Wir haben versucht, Menschen mit Unterkunftsmöglichkeiten und Geflüchtete zusammenzubringen. Das wurde von vielen Organisationen und Initiativen aus eigenen Ressourcen finanziert, es gab zudem viel Unterstützung durch Ehren- und Hauptamtliche. Hinzu kam, dass die Situation für HIV-Positive und substanzabhängige Menschen oder die Hormontherapie für Trans*Personen geregelt werden musste, damit Therapien nicht unterbrochen werden mussten. Und wir haben versucht, auf die Flüchtlingsverteilung dahingehend Einfluss zu nehmen, dass queere Geflüchtete der Zugang zur Community möglich ist. Dass sie also auf Ballungszentren verteilt werden, wo es eine queere Community gibt. Gerade in Bezug auf den sogenannten Verteilschlüssel wurden wir aber leider nicht ausreichend angehört.
Große Schwierigkeiten haben auch sogenannte Drittstaaten-Angehörige, also Menschen, die in der Ukraine gearbeitet oder studiert haben, aber ursprünglich nicht aus der Ukraine kommen. Das sind beispielsweise syrische oder irakische Flüchtlinge, die in der Ukraine gelebt haben, oder Menschen aus anderen Staaten, die eine Aufenthalts- und Studienerlaubnis in der Ukraine hatten. Sie fallen nicht unter die Massenzustrom-Richtlinie und müssen nun plötzlich ihren Asylstatus in Deutschland rechtfertigen, obwohl sie ihre Heimatländer nicht als Geflüchtete verlassen haben.
Mussten sich queere Geflüchtete in Deutschland besonders für ihren Status rechtfertigen?
Bei den Menschen aus der Ukraine spielt die Orientierung insofern keine Rolle, als dass das über die Massenzustrom-Richtlinie geregelt ist. Oft wenden sich queere Geflüchtete mittlerweile sogar zuerst an die NGOs der Community und dann an den Staat, um Hilfe zu erhalten.
Helfen Sie auch geflüchteten Menschen, die sich erst in Deutschland trauen, sich zu outen, weil das in ihren Herkunftsländern nicht möglich war oder ist.
Natürlich. Menschen outen sich mitunter auch erst hier, wenn sie sich sicherer fühlen. Dann helfen die Organisationen auch bei allen Belangen, die damit zu tun haben. Es gibt auch immer wieder die Notwendigkeit zur Unterstützung: Stellen Sie sich vor, dass Bisexuelle beispielsweise große Probleme bekommen, wenn sie hier aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Schutz beantragen, in ihren Heimatländern aber auch heterosexuelle Beziehungen geführt haben und homosexuelle Kontakte nur im Geheimen ausleben konnten. Mitunter werden diese Menschen vonseiten der Behörden mit dem Vorwurf abgelehnt, ihre sexuelle Orientierung zum Teil leben zu können, was natürlich ein bizarrer Umkehrschluss ist. Es ist nun mal leider so, dass man in vielen Ländern der Erde eben nicht geoutet leben kann, ohne von der Gesellschaft bedroht zu werden. „Straight Acting“ ist in vielen Ländern eine Überlebensstrategie. Deshalb sind auch heterosexuelle Ehen zur Tarnung keine Seltenheit.
Das Bündnis hat innerhalb eines Jahres die Rekordsumme von einer halben Million Euro gesammelt. Nun sieht es aber so aus, dass der Krieg nicht so bald zu Ende sein wird. Was plant das Bündnis Queere Nothilfe Ukraine in der Zukunft?
Uns war von Beginn an klar, dass die Notwendigkeit zur Unterstützung keine kurzfristige Sache sein wird. Noch vor dem vierten März haben wir als Bündnis unser Jahrestreffen und da wollen wir schauen, wie wir weiterverfahren in dieser schrecklichen Situation. Wie unsere weitere Unterstützung aussehen kann und wie wir das organisieren, denn die Unterstützung queerer Personen und Strukturen in der Ukraine und angrenzenden Ländern und die Arbeit für die Geflüchteten ist natürlich für alle Beteiligten des Bündnisses eine wichtige, aber auch zusätzliche Arbeit zur regulären Beschäftigung in den Gruppen und Organisationen. Queere Geflüchtete brauchen weiterhin unseren Schutz.
Alle teilnehmenden Gruppen und Organisationen findet man hier: www.queere-nothilfe-ukraine.de/ueber-uns




