Der Souverän hat entschieden – und zwar deutlich: 442.000 Berlinerinnen und Berliner haben dafür gestimmt, dass Berlin per Gesetz bereits im Jahr 2030 klimaneutral wird. 608.000 hätten es sein müssen. Das wurde weit verfehlt. Immerhin stimmten mehr Teilnehmer dafür als dagegen, wenn auch nur knapp: Es wurden rund 423.000 Nein-Stimmen gezählt.
Das ändert nichts an der Kritik der Unterlegenen. Und die Stadtgesellschaft wäre gut beraten, nicht jede Meinungsäußerung als vernachlässigenswerten Frust schlechter Verlierer abzutun.
Berliner Volksentscheid: Abstimmungen am Wahltag haben größere Chancen
So hätten sich sicher mehr Menschen beteiligt, wenn sie an diesem Tag auch über Abgeordnetenhaus und Bezirksparlamente hätten abstimmen können. Das hat die Senatsinnenverwaltung abgewehrt. Nach der missglückten Wahl im September 2021, zu deren Scheitern auch die gleichzeitige Abstimmung zum Enteignungsvolksentscheid beigetragen hat, musste alles unterlassen werden, was deren Wiederholung hätte gefährden können. Dass der Druck, eine Landtagswahl in Windeseile vorbereiten zu müssen, der SPD-geführten Innenbehörde sicher auch entgegenkam, stimmt aber: Ein Nein zur Zusammenlegung der Abstimmungen auf den 12. Februar war so leichter durchsetzbar.
Vor allem die Grünen, aber auch die Linke, immer noch – man mag es kaum glauben! – Bündnispartner der SPD, sahen in den verschiedenen Terminen pure Böswilligkeit. Die SPD habe bewusst eine geringe Beteiligung herbeigeführt, um einen erfolgreichen Entscheid zu verhindern. Das Votum des Landeswahlleiters für getrennte Termine wurde als „bestellte Besorgnis“ abqualifiziert.
Berlins Linke und Grüne sind immer noch böse auf ihren Noch-Partner SPD
Der Ärger ist seither nicht verraucht. Als sich am frühen Sonntagabend das Ergebnis abzeichnete, twitterte der Linke-Abgeordnete Niklas Schenker: Wenn der Volksentscheid am Quorum scheitere, weil nicht am Wahltag abgestimmt wurde – „wird dann vor Innenverwaltung oder SPD-Zentrale demonstriert?“ Es blieb ruhig.
Drei der acht bisherigen Volksentscheide Berlins sind am Zustimmungsquorum gescheitert – an der Regel, dass mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten mit Ja stimmen muss. Gleichzeitig fällt die geringe Beteiligung diesmal auf. Insgesamt 860.000 rafften sich zu einer Haltung für oder wider beschleunigte Klimaneutralität auf. Das ist etwa die Hälfte derer, die zur Enteignung beziehungsweise zur Offenhaltung des Flughafens Tegel mobilisiert wurden. Dass selbst bei einer regionalen Entscheidung wie der zum Schutz des Tempelhofer Feldes vor Bebauung im Jahr 2014 mehr Menschen mitmachten, zeigt: So wichtig Klimaschutz ist, so abstrakt ist der Streit um Zielzahlen.

Abstoßende Endzeit-Rhetorik und Angela Merkel im Souffleusenkasten
Hinzu kommt, dass sich viele von der Endzeit-Rhetorik der Initiatoren à la Letzte Generation abgestoßen fühlen. So blieb es bei einem dürftigen Ergebnis nach einer wie so oft in Berlin heißen Auseinandersetzung. Immer geht es ums Ganze, als würde Angela Merkel im Souffleusenkasten sitzen und den Initiatoren auf der Bühne permanent „alternativlos“ zuflüstern.
Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Insgesamt vier Berliner Entscheide fielen bisher mit einer Wahl zusammen. Lediglich einer hat aus eigener Kraft das Quorum geschafft. Das war 2011, als es um die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe ging – es war der erste erfolgreiche Volksentscheid in Berlin überhaupt. Das lag daran, dass nur 11.000 Gegenstimmen zusammenkamen: Minusrekord.
In eine ganz andere Richtung denken derweil offenbar die Koalitionäre in spe, CDU und SPD. CDU-Chef Kai Wegner schlägt Volksbefragungen zu den Streitthemen A100 und Tempelhofer Feld vor. Von der SPD-Spitze um Franziska Giffey ist bekannt, dass sie nach Abschluss der Bauarbeiten am 16. Bauabschnitt der Stadtautobahn am Treptower Park – das soll Ende 2024 erreicht sein – eine „qualifizierte Bürgerbefragung“ über einen Start des 17. Abschnitts nach Friedrichshain und Lichtenberg durchführen will. Und auch eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes ist ein untoter Dauerbrenner bei so machem Sozialdemokraten.


