Tulpen und Tomaten

Frühling in Ihrem Garten: Gut Dung will Weile haben

Im Gartenkalender steht der April für den Neuanfang. Eine perfekte Zeit zum Rasendüngen! Unsere Kolumnistin ist leider trotzdem nicht dazu gekommen.

Im April ist die perfekte Zeit, um die Düngerkugeln auszustreuen.
Im April ist die perfekte Zeit, um die Düngerkugeln auszustreuen.dpa

Heute Morgen war ich auf dem Weg in den Garten, ich muss dringend den Rasen düngen. Bislang fand ich dafür keine Zeit. Mein Sohn stand in der Küche, vor ihm ein Buch, einige kleine weiße Tütchen und ein Topf mit Wasser. „Was wird das?“, wollte ich wissen. „Ich züchte Kristalle“, antwortete er. „Aha. Das Kind beschäftigt sich“, dachte ich, zog die Gummistiefel an und schob die Glastür des Wintergartens beiseite. Sie quietschte leise, und ich spazierte die sieben Stufen hinunter in den Garten.

Dieser erste Augenblick gehört nur mir allein. Ich lasse den Blick schweifen, von links nach rechts, niemals andersherum, schaue, ob noch alles so ist, wie es gestern war – und mache mich an die Arbeit. Im April verliert die Hainbuchenhecke ihr altes Gewand. Der Wind löst das welke Laub vom Gehölz, wirbelt es einige Meter durch die Luft und lässt es zum Finale auf den Rasen fallen. Zeit für den Neuanfang.

An den Buchen recken hunderte Blattknospen stolz ihre grünen Triebe ins Licht, und in nur wenigen Wochen wird die Hecke explodieren und sich in eine blickdichte Wand verwandelt haben. Ich ging ins Gartenhaus und griff nach dem Rechen. Vor der Düngung muss das Laub vom Rasen. Ich harkte.

„Mamaaa, kommst du mal?“, rief das Kind. „Jetzt nicht!“, rief ich zurück. Es dauerte nicht lange, schon war die erste Schubkarre voll bis zum Rand, und ich fuhr damit beim Komposthaufen vor. Einige der Holzstreben, die den Kompost in Form halten, hatten sich über den Winter gelöst. Ich ging ins Gartenhaus, griff nach Hammer und Nägeln. Ich nagelte. Unser Komposthaufen ist in zwei Kompartimente aufgeteilt. Nach meiner Kenntnis ist das die klassische Methode. Was aktuell an Schnittgut anfällt, landet auf der linken Seite. Die rechte Seite ruht seit sechs Monaten und wartet nun darauf, gesiebt zu werden.

„Eine Siebtrommel, ich sag es immer wieder, ist ganz großes Kino“

In den vergangenen Wochen ist der Haufen auf der linken Seite rasant gewachsen. Allein der Verjüngungsschnitt meiner beiden Ahornkugelbäume hat eine Menge Abfall produziert. Als ich mit der nächsten Ladung Hainbuchenlaub vorfuhr, hatte ich Mühe, sie auf den Haufen zu bugsieren. Zu hoch war er. Ich nahm die Schippe und drosch mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft aus Arm und Oberkörper auf den Haufen. Es nützte nichts, die Kiste war voll.  „Die braucht jetzt bis zum Herbst eine Pause,“ dachte ich, „ich muss die andere freimachen.“

Ich seufzte, drückte das Kreuz durch und marschierte zu dem Unterstand, den mein Mann einst für unsere beiden elektronischen Gartengeräte zimmerte. Ich zerrte die Siebtrommel nach vorne. Geduldig steht sie das ganze Jahr über neben dem Häcksler und wartet auf ihren großen Auftritt. An guten Gartentagen, also an Tagen, an denen ich ganz viel Zeit habe, kommen  beide Geräte zum Einsatz. Erst wird das Grobe gehäckselt und dann im Anschluss das Feine gesiebt.

Heute aber wollte ich bloß den Rasen düngen. In der Gartenhütte machte ich mich auf die Suche nach dem Verlängerungskabel, konnte es nirgends finden und lief die sieben Stufen zum Haus hinauf. Ich zog die Gummistiefel aus und schaute, ob das Kabel eventuell in der Küchenkammer war. Manchmal legen Menschen in meinem Haushalt die Dinge dort ab, wo sie nicht hingehören. Mein Sohn saß neben dem Herd auf der Arbeitsfläche, vor ihm der Topf und die kleinen weißen Tütchen. Er daddelte auf seinem Handy.

Nicht nur die Blumenbeete, auch ein schöner Rasen will gepflegt sein.
Nicht nur die Blumenbeete, auch ein schöner Rasen will gepflegt sein.Imago

„Was machst du?“, fragte ich. „Kannst du mir helfen mit den Kristallen?“, fragte er zurück. „Jetzt nicht“, sagte ich. Und dann: „Hier ist es!“ Ich hatte das Kabel gefunden. Zurück im Garten schmiss ich die Trommel an und begann, den Humus aus dem rechten Kompartiment durch die rotierende Röhre zu schaufeln. Hinten raus kommt das Grobe, unten raus das Feine. Eine Siebtrommel, ich sag es immer wieder, ist ganz großes Kino. Mein Modell kostete 280 Euro und rangiert definitiv unter den Top 3 der besten jemals getätigten Investments! Ich schippte.

Die Arbeit mit einer Siebtrommel löst irgendwas Meditatives in mir aus, warum weiß ich nicht. Ich ramme die Schippe in den halb durchgerotteten Kompost, drehe mich um etwa 100 Grad und hebe die schwere Ladung in die auf Hüfthöhe vor mir rotierende Trommel. Ich platziere die Schippe mittig und lasse die Ladung fallen. Bestenfalls ohne am Metallrand der Trommel hängen zu bleiben. Dann drehe ich mich die 100 Grad zurück und ramme erneut die Schippe in den Kompost. Die Arbeit ist schwer. Aber sie lohnt. Nach wenigen Minuten ist die erste Schubkarre voll mit Komposterde. Es riecht nach Leben.

„Ein Pflanzloch gräbt sich hier nicht von allein“

Die erste Fuhre verteilte ich unter den Rosen. Ich kniete mich unter die Büsche, nahm mit beiden Händen den feinkrümeligen Humus aus der Karre und schob die herrlich duftende Nahrung als Frühjahrdünger unter die „Schneewittchen“ und die „Heidetraum“. Eine zweite und dritte Ladung folgten. Während ich die Rosen düngte und der Versuchung widerstand, im Gartenhaus die Schere zu holen, um mit dem dringend nötigen Rückschnitt zu beginnen, fiel mein Blick auf den Topf mit der Glanzmispel.

Schon seit vergangenem Herbst steht sie hinter der Rosenhecke. Sofort fühle ich mich schuldig. Die Arme! Ich habe sie im November für einigermaßen viel Geld Jörg Schneider, dem Chef der Baumschule Schneider aus Kladow, abgekauft. „Eine Glanzmispel ist toll, liebe Frau Platz“, hatte er gesagt, „die ist immergrün, treibt aber wunderschön rotlaubig aus.“ Da mag Herr Schneider recht haben, dachte ich, aber wenn man, so wie ich, die Mispel den Winter über im Container stehen lässt, kann man froh sein, wenn sie überhaupt jemals wieder austreibt. Egal in welcher Farbe. Das Teil musste dringend in die Erde!

Ich verteilte den restlichen Kompost an die Rosen, hob die Mispel in die Schubkarre und balancierte damit in den Vorgarten. Wenn es irgendwo ein Plätzchen gab für das edle Gewächs, dann vorn. Nach einigen Standortverwerfungen hatte ich einen Platz gefunden und setzte den Spaten an. Unser Vorgarten ist – manche vermuten, es habe mit Schotter aus der Nachkriegszeit zu tun – extrem verdichtet. Ein Pflanzloch gräbt sich hier nicht von allein. Ich rammte den Spaten in den Boden. Nochmal. Und nochmal. Und nochmal. Dann brauchte ich eine Pause. Erschöpft setzte ich mich an den kleinen Mosaiktisch im Vorgarten und streckte die Beine aus. Einatmen. Ausatmen. Das Fenster vom Wohnzimmer öffnete sich und mein Sohn streckte seinen Kopf heraus.

Wenn's denn endlich wächst und wuchert, darf regelmäßig gemäht werden.
Wenn's denn endlich wächst und wuchert, darf regelmäßig gemäht werden.imago

„Mamaaaa, kannst du mal kommen?“, fragte er. „Was ist denn?“, fragte ich. „Ich brauche deine Hilfe bei den Kristallen.“ „Frag deine Schwester.“ „Die sagt, sie hat keine Zeit.“ „Ich auch nicht!“, sagte ich. Als das Pflanzloch hinreichend tief genug gegraben war, lief mir der Schweiß den Rücken hinunter und die Sonne, die bis zum Mittag unseren Vorgarten in Wärme taucht, war längst in Richtung Süd-Westen weitergezogen.

Ich siebte die nächste Runde, pflanzte die Mispel und in diesem Augenblick war mir herzlich egal, ob der Standort stimmte, ich ausgiebig genug gewässert hatte oder dem edlen Gehölz sonst noch irgendwas zum Glück fehlte. Ich musste fertig werden! Ein letztes Mal schmiss ich die Trommel an, dann war die rechte Seite des Kompost-Kompartments leer. Ich entfernte die Querstreben, die beide Abteile miteinander verbindet, und wuchtete mit der Grabegabel den groben Kompost von links nach rechts. Tief im Westen warf die Sonne lange Schatten.

„Hätte ich Zeit, würde ich den Rasen düngen“

Ich harkte das restliche Hainbuchenlaub zusammen und entsorgte es in der leer gewordenen Kiste. Im unteren Rücken zwickte es empfindlich, als ich aus dem Schrank in der Gartenhütte einen großen, blau-grünen Sack hervorzog. „Frühjahrs Rasendünger – organisch“, stand darauf. Endlich! Ich zerrte den Sack nach draußen, schnitt einen Schlitz hinein und hob den Sack, um einen Teil des Düngers in einen eigens bereitgestellten Eimer umzufüllen. Da hörte ich ihn.

„MAMAAAAA!“, brüllte mein Sohn. Er brüllte sehr laut. Ich ließ den Sack fallen, die Düngerkrümel kullerten auf den Rasen, und ich eilte ins Haus. Die Füße meines Kindes standen in einer beeindruckend großen Wasserpfütze, der Topf lag auf dem Boden, von den Küchenschränken tropfe es. „Ist doch bloß Wasser“, sagte ich. „Da ist aber Kristallzeug drin“, sagte er.

Ich wischte mit der Hand durch die Pfütze und verstand, was er meinte. Alaun ist ein Mineral aus der Familie der Salze. Für die heimische Kristallherstellung löst man es in heißem Wasser auf. Angefeuchtet auf dem Fußboden und an Küchenschränken allerdings lässt es sich nur schwer entfernen. Wie ein feinkörniger Schmierfilm setzt es sich an Oberflächen fest, egal wie ausgiebig man wischt. Ich könnte auch sagen: Alaun in der Küche ist eine ziemliche Schweinerei!

Als wir die Schränke, die Arbeitsplatte, den Herd, den Kühlschrank, den Besteckkasten und den Fußboden wieder einigermaßen nutzbar hatten, war es dunkel. Ein letztes Mal ging ich die sieben Stufen hinunter und tastete auf dem Rasen nach den herausgekullerten Düngerkugeln. Ich sammelte sie ein, so gut es ging, und wuchtete den 40-Liter-Sack zurück ins Gartenhaus. Morgen habe ich leider keine Zeit. Wenn ich sie hätte, würde ich den Rasen düngen.


Sabine Platz arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Fernsehjournalistin beim ZDF. Dort produziert sie unter anderem für die Rubrik „Platz im Garten“ im „Morgenmagazin“ regelmäßig Berichte rund um das Thema Natur, Garten, Ökologie und Nachhaltigkeit. Im Oktober 2021 erschien ihr Buch „Im Garten: Zwischen Knolle und Kompost liegt das ganze Leben“.