Der Ballermann existiert seit mehr als vier Jahrzehnten, doch in den vergangenen zehn Jahren sei die Lage, wie es oft heißt, immer weiter eskaliert. Ein Lokalaugenschein zeigt exzessives Feiern, auch Betrunkene in großer Zahl vom Vormittag bis spät in die Nacht. Aber: Die Szenen unterscheiden sich nur in ihrer quantitativen Dimension von auch in Deutschland üblichen Zeltfesten. Die medienwirksam vorgebrachten Extrembeispiele entsprechen zwar der Realität, sind aber nicht der Normalfall – was hier nicht beschönigend klingen soll, muss eingangs trotzdem erwähnt werden, um die wirkliche Situation abbilden zu können.
Gewaltexzesse sucht man auf Mallorca vergebens
Dieser Tage merkt man in El Arenal beziehungsweise S’Arenal, wie der berühmte Badeort auf Mallorquinisch genannt wird, dass die Fußballsaison gerade ihr Ende gefunden hat: Tausende Feierwütige drängen sich in den Trikots ihrer Mannschaft durch die sogenannte Schinkenstraße auf Höhe des Balneario 6 und in den dortigen Lokalen. Man prostet sich zu, klatscht ab, diskutiert oftmals kurz über die Saison und besondere Erinnerungen. Jene, die Trikots von unterklassigen Vereinen tragen, werden besonders interessiert nach der Leistungsklasse und der Performance gefragt.
Gespielt böse Blicke gibt es, ganz dem Narrativ entsprechend, meist nur für Shirts des FC Bayern München. Die Stimmung untereinander ist freundschaftlich, tätliche Auseinandersetzungen gibt es bei jedem halbwegs großen Volks- und Zeltfest in der Bundesrepublik in größerer Zahl als hier.
Kultur-Mallorquinern bricht das Herz
Doch es gibt auch Schattenseiten, die insbesondere von den Einheimischen kritisiert werden und die sich von Jahr zu Jahr deutlicher zeigen. Wer von den Mallorquinern hier die eigene Kultur transportieren möchte, wird bitter enttäuscht werden.
Im Durchschnitt sind Currywurst und Wiener Schnitzel hoch im Kurs, die bekannte Paella deutlich weniger. Zudem schwört man mehr auf deutsches Bier und Jägermeister, und obwohl nicht selten zumindest die vermeintlich mallorquinische Sangria konsumiert wird, bricht den Kultur-Mallorquinern das Herz, wenn diese in Liter-Bottichen und in Wettkämpfen auf Zeit getrunken wird.
Ein weiteres Problem ist der Müll, der sich über Nacht nicht nur in den Straßen anhäuft, sondern insbesondere die Strandpromenade über viele Hundert Meter verdreckt – obwohl Mülleimer in großer Zahl vorhanden sind. Die personellen Bierkönig-Aushängeschilder Mia Julia und DJ Caramello zeigten sich in den vergangenen Tagen schockiert von den Müllbergen, man sei sprachlos ob dieser Respektlosigkeit.
Darüber hinaus sind Straßenpoller, Laternen, Barrikaden, Bushaltestellen und Telefonzellen von oben bis unten mit Stickern von deutschen Fußballvereinen von der Kreis- bis in die Bundesliga beklebt – ein Umstand, der den Einheimischen nicht nur ob der Beschmutzung ein Dorn im Auge ist.
Mit kugelsicherer Weste gegen Partygäste am Ballermann
Aber auch in vielen Hotels hat man genug von den ganz speziellen Ballermann-Touristen. Viele reagierten bereits mit entsprechenden Maßnahmen, nicht selten nimmt dies beinahe schon bigotte Formen an. In einem Viersternehotel wenige Hundert Meter entfernt vom Ballermann ist man besonders auf die Einhaltung der Regeln bedacht: Es dürfen keine Getränke von draußen mit ins Hotel genommen werden, 24 Stunden lang sitzt in der Lobby ein Sicherheitsmann mit kugelsicherer Weste, am Pool hat überhaupt absolute Ruhe zu herrschen, worauf eine junge Bademeisterin immerzu penibel achtet.
Eine Partyrunde aus Leverkusen hält sich insgeheim unwillig, aber eigentlich vorbildlich an die Bestimmungen. Als einer von ihnen die Musik aufdreht, wird die ganze Runde drohend ermahnt. Als ein anderer seinen Kollegen jedoch ins Wasser schubst, eskaliert die Lage. Der Lausbubenstreich wird bestraft, der Übeltäter wird des Pools verwiesen – ganz zum Unverständnis der restlichen Gäste, die unter sich das fehlende Augenmaß kritisierten und ein bisschen Sinn für Humor einfordern. Minuten später sorgt ein junger Deutscher aus derselben Runde noch einmal für Unruhe, weil er mit nacktem Oberkörper vom Poolbereich ins Hotel will. Das sei verboten und unmöglich, heißt es auch noch, als er antwortet, dass er so heruntergekommen sei und sein Shirt sich im Hotelzimmer befinde.
Die Probleme sieht man aber auch anderswo: Said aus Bangladesch lebt seit rund vier Jahrzehnten auf Mallorca, betreibt hier ein großes Souvenirgeschäft direkt an der Strandstraße in El Arenal. Er änderte seine Meinung über die deutschen Partyurlauber erst in diesem Jahr, gibt ihnen aber nur bedingt die Schuld dafür. Früher kamen sie immer in großer Zahl zu ihm, um Handtücher, Strandbekleidung oder lustige Accessoires zu kaufen, heute bleiben sie meist aus – auf alle vier Mitarbeiter, die sonst immer hier arbeiteten, musste er laut eigenen Angaben in dieser Saison verzichten, weil der Umsatz nicht mehr stimmte.
Die Zeiten sind schwierig geworden, Said kämpft um jeden einzelnen Kunden. „Ich verstehe das aber, denn auch diese Touristen spüren den Krieg in der Ukraine und haben immer weniger Geld zur Verfügung. Dass sie das, was sie haben, lieber in den Bierkönig und in den Megapark tragen, ist doch logisch“, zeigt er durchaus Verständnis. „Nun leiden wir eben darunter, dass man diese Art von Touristen angezogen hat. Sie selbst können da ja nichts dafür, sie wollen nur ihre Party erleben.“
„Für sie zählt nur billiger Alkohol“
Weniger verständnisvoll zeigt sich ein Wirt, der ganz in der Nähe ein Restaurant betreibt, jedoch nicht namentlich genannt werden möchte: „Die Deutschen sind keine guten Touristen. Sie wollen kein gutes Essen, keine guten Waren, ja nicht einmal schöne Strände. Für sie zählt nur billiger Alkohol“, erklärt der Mann um die Mittagszeit, nachdem er wenige Minuten zuvor zwei junge Deutsche aufwecken musste, weil sie am Tisch eingeschlafen waren und die beiden Begleiterinnen sich schon Sorgen machten. „Sie respektieren uns hier nicht, und ich kann verstehen, dass auch Mitarbeiter von mir bereits dazu übergehen, so zu tun, als würden sie kein Deutsch verstehen, obwohl sie es könnten.“
Was der Gastronom hier beschreibt, ist ein Phänomen, das man in El Arenal nicht selten beobachten kann: Viele Mallorquiner, die der deutschen Sprache in rudimentärer oder sogar ausgeprägterer Form mächtig sind, verleugnen dies gegenüber den Deutschen. „Sie glauben, sie sind hier zu Hause. Doch sie müssen verstehen, dass das hier Mallorca ist, dass diese Insel nicht deutsch, sondern entweder katalonisch oder von mir aus auch spanisch ist“, erklärt eine junge Kellnerin wenige Hundert Meter von der berühmten „Schinkenstraße“ entfernt.
Mallorca als 17. Bundesland Deutschlands
Für viele Deutsche wiederum grenzt es beinahe an Respektlosigkeit, wenn Spanier in El Arenal Spanisch oder den mallorquinischen Dialekt sprechen. Da kommt es gelegen, dass ein nicht kleiner Anteil an Kellnern in den entsprechenden Gegenden sogar aus Deutschland stammt. Vor drei Jahrzehnten titelte die Bild: „Der verrückteste Vorschlag aus Bonn: Mallorca soll deutsch werden.“ Der Nachsatz „als 17. Bundesland“ wurde rasch zum geflügelten Wort, das sich auf der Insel tief ins Gedächtnis gebrannt hat – und von deutscher Seite wird viel getan, um dieses Narrativ nicht vergessen zu lassen. So gibt es seit etwas mehr als einem Jahr auch einen Podcast des genannten Mediums, der sich vorwiegend mit dem Partyleben auf der Insel beschäftigt und den Titel „Das 17. Bundesland – der Mallorca-Podcast“ trägt.
Mallorca oder zumindest die einschlägigen Gegenden dort als deutsche Bastionen, als einen Teil der eigenen Heimat zu verstehen – das wird auch musikalisch unterstützt. „Wir sind die Kinder von Malle“ heißt ein fünf Jahre alter Ballermann-Hit von Bianca Hill, Isi Glück und Mike Candys. Jürgen Drews trat weithin bekannt nicht nur als „Prinz von El Arenal“, sondern gleich als „König von Mallorca“ auf. Dass all das den Mallorquinern nicht schmeckt, muss nicht erst betont werden. Das wird bereits an einer der Bushaltestellen sichtbar, an denen man in El Arenal vom Flughafen kommend aussteigt – unübersehbar ist man mit dem Spruch „Deutsche raus“ konfrontiert.
Härterer Kurs trägt (noch) keine Früchte
Die mallorquinische Regierung will dieser ganz speziellen Art des Tourismus ein Ende setzen, der Insel wieder ein anderes Image verleihen und als ersten Schritt zumindest das Alkoholtrinken auf den Straßen verbieten. Schon seit einigen Monaten gibt es (wieder) vermehrt Vorstöße in Richtung eines Alkoholverbots im Freien von verschiedenen Seiten, in den vergangenen Tagen wurde das Thema immer intensiver diskutiert.
Von einer radikalen Einschränkung des Alkoholkonsums auf offener Straße merkt man an der Strandpromenade rund um den Megapark oder in der berühmt-berüchtigten „Schinkenstraße“ nichts. Es wird getrunken, hier und da gönnt man sich sogar noch einen Eimer Hochprozentigen, der hier eigentlich gar nicht mehr verkauft werden dürfte. Zwischen Verkäufern von lustigen Partyhüten und Megafonen, die gerne an der Leine durch die Partyzonen Gassi geführt werden, werden einem immer wieder auch Cannabis und Kokain angeboten. Die annoncierten immensen Polizeikontrollen können dies offenkundig auch nicht verhindern.


