Brutal Berlin

Tiere in der Wohnung: Ich glaub, ich hab einen Vogel

Ein lauer Sommerabend, die Balkontür ist offen, leichter Wind weht in die Wohnung. Und ein Spatz fliegt herein. Was niedlich klingt, wird zu einem veritablen Problem.

Als der Spatz sich auf der Gardinenstange ausruht, fange ich an, alles, wo er sich setzen könnte, abzubauen.
Als der Spatz sich auf der Gardinenstange ausruht, fange ich an, alles, wo er sich setzen könnte, abzubauen.Grafik: Pajović/Berliner Zeitung am Wochenende. Gemälde: James Sowerby, A house sparrow/Yale Center for British Art; Aus Philipp Hainhofers GroSSeS Stammbuch (1596–1633)/Herzog August Bibliothek; Henry Bernard Chalon, A Pug dog (1802)

Er legt sein Köpfchen schief zur Seite, schaut mich mit seinen Kulleraugen an und wirkt fast so, als lächele er. Und dann flattert er endlich los – in die richtige Richtung! Er fliegt zu den weit geöffneten Fenstern, zur Balkontür, die den Weg in die Freiheit verspricht. Ich atme schon aus, merke, wie der Stress abfällt, und möchte jubeln. Doch dann ändert er seinen Kurs, reißt nach oben aus – und setzt sich auf die Gardinenstange. Ich seufze. Er guckt mich an. Ich habe das Gefühl, dass er schelmisch grinst.

Der Haussperling macht es sich seit einer Dreiviertelstunde in meiner Wohnung gemütlich, mittlerweile ist es fast 22 Uhr. Ich lag schon im Bett, als ich noch einmal ins Wohnzimmer gehen musste, weil ich vergessen hatte, die Balkontür zu schließen. Ich wollte ja nicht, dass sich ein Vogel in mein Zuhause verirrt. Aber ich kam wenige Sekunden zu spät. Als ich den Raum betrat, sah ich gerade noch, wie das kleine Tier durch die Balkontür huschte und sich auf eine hohe Anrichte setzte. Ich seufzte das erste Mal an diesem Abend.

Fenster auf, Licht aus!

Um einen Vogel wieder aus der Wohnung zu bekommen, empfiehlt Marc Engler, Stationsleiter der Wildvogelstation des Nabu Berlin, möglichst alle Fenster und Gardinen so weit wie möglich zu öffnen. Das biete dem Tier genug Fläche zum Rausfliegen. Auch ziehe es die Tiere normalerweise in Richtung einer Tageslichtquelle. Deshalb sollten Lampen oder andere künstliche Lichtquellen ausgeschaltet werden. Bis der Vogel aber den Ausweg erkenne, brauche es Zeit und Geduld – und Ruhe. „Daher gilt: Raum verlassen und wenig Störung produzieren“, sagt Engler.

Tageslicht konnte mir nicht mehr helfen, draußen war es schon dunkel. Also öffnete ich die Fenster, schaltete das Licht aus und musste mich wohl oder übel in Geduld üben. Ich verließ den Raum und wartete. Und schaute im Internet nach weiteren Möglichkeiten, um den Vogel wieder loszuwerden. Ich könnte noch Hindernisse entfernen, las ich.

Ein Haussperling, auch Spatz genannt, sitzt auf einem Halm. Da gehört er auch hin!
Ein Haussperling, auch Spatz genannt, sitzt auf einem Halm. Da gehört er auch hin!Kira Hofmann/dpa

Als der Spatz sich dann auf der Gardinenstange ausruht, fange ich also an, alles, worauf er sich setzen könnte, ab- und umzubauen, während der Vogel mich aufmerksam beäugt. Als Erstes möchte ich schnell die andere Gardinenstange abnehmen. Es nervt mich, dass der Sperling lieber dort sitzt und nicht die paar Zentimeter weiter unten die Ausflucht in die Freiheit nimmt. Ich hole eine Leiter. Bei den hohen Wänden komme ich sonst nicht annähernd in die Nähe der Ruheplätze des Besuchers. Ich klappe die Leiter auf, nehme die eine Stange ab und danach die andere, während der Spatz noch drauf sitzt. Er trifft keine Anstalten, seinen Balanceakt auf der schwebenden Stange zu beenden, als ich die Gardinenstange in Richtung der offenen Balkontür manövriere. Als vor ihm nur noch der Balkon und die Bäume davor zu sehen sind, fliegt er los, endlich!

Ein Moment der Hoffnung, bis ich merke, dass mich der Sperling ausgetrickst hat und auf die andere Seite des Raums geflogen ist und jetzt auf einem hohen Akustikpaneel sitzt. Und mich von dort anstarrt. Auch jetzt ist es mir egal, dass er da gerade seinen neuen Lieblingsplatz gefunden hat. Vorsichtig hebe ich den oberen Teil des Paneels ab und stelle es auf den Fußboden. Mein Gast ist darauf geblieben und fliegt auf eine andere Anrichte. Er hat dazugelernt, denn da komme ich nicht so ohne weiteres heran. Ich bin verzweifelt, mittlerweile sieht mein Wohnzimmer so aus, als ob ich mitten im Umzugschaos stecke. Ich überlege, ob ich die Feuerwehr rufen sollte, um den Vogel loszuwerden. Ich entscheide mich dann aber aufgrund der Uhrzeit dagegen.

Notruf bei der Feuerwehr wegen eines Vogels?

Dominik Pretz von der Berliner Feuerwehr bestätigt mir, dass „auf alle Fälle uns auch Leute anrufen, wenn ein Wildvogel in die Wohnung geflogen ist“. Dann frage die Feuerwehr erst mal nach, ob das Tier verletzt sei. „Falls ja, dann handelt es sich für uns um einen Notfall, weil das Tier Hilfe braucht“, sagt Pretz, „das ist dann eine Tiernotlage.“ In einem solchen Fall entsende die Feuerwehr ein Kleineinsatzfahrzeug mit zwei Einsatzkräften. Das sei aber relativ selten der Fall. „Am Tag haben wir etwa zehn bis 15 Einsätze, wo das Stichwort ‚Tier in Notlage‘ dahintersteckt, dabei handelt es sich aber um die Gesamtbreite von Tieren, nicht nur um Vögel.“

Mein temporäres Haustier befindet sich definitiv nicht in einer Tiernotlage, es wirkt äußerst fidel. Ich habe allerdings die Sorge, dass es bald zu gestresst sein könnte und möchte gerne vermeiden, dass der kleine Vogel einen Herzinfarkt erleidet. „Zu hoher Stress macht sich bei Wildvögeln durch sehr starke und schnelle Atmung, gegebenenfalls mit offenem Schnabel sowie Ermüdung bemerkbar“, sagt Marc Engler vom Nabu.

Wenn der Vogel dann wegen Erschöpfung nicht mehr fliegen könne, „dann kann man den Moment nutzen, ihn behutsam sichern und in einem dunklen Karton, Behälter oder einer Box unterbringen“. Weil es darin so reizarm sei, könne sich der Vogel beruhigen und dann schonend an einem geschützten Ort mit viel Vegetation für Versteck- und Rückzugsmöglichkeiten freigelassen werden. Der Verein Notkleintiere e. V. sagt auch, dass man den Vogel mit einem Handtuch oder einem kleinen Kescher, Netz oder einem weichen Sieb sichern könne.

In meiner Wohnung gab es zwar keine Brezelkrümel für den Sperling, gemütlich fand er es anscheinend dennoch.
In meiner Wohnung gab es zwar keine Brezelkrümel für den Sperling, gemütlich fand er es anscheinend dennoch.Volker Hohlfeld/imago images

Das alles hilft mir aber nichts, denn ich komme ja immer noch nicht an den Sperling heran, und seinen aktuellen Sitzplatz kann ich auch nicht weiter abbauen. Ich kann also weiterhin nichts anderes tun, als abzuwarten. Ich verlasse nochmal das Wohnzimmer und überlege, mit welchen Materialien aus dem Raum sich der Spatz wohl bald sein Nest bauen könnte. Er scheint sich schließlich ziemlich wohlzufühlen.

Der Haussperling, Vogel des Jahres 2002, ist ein geselliges Tier und lebt schon lange in direkter Nachbarschaft zum Menschen. Er fühlt sich in menschlichen Siedlungen wohl, ganz gleich ob Dorf oder Großstadt. Aber sein Spitzname Dreckspatz verschafft ihm ein schlechtes Image. Der kleine Vogel badet gerne – vorwiegend in Sand oder Straßenstaub. Aber nicht einfach nur, um schmutzig zu sein. Er kann sich so vor Parasiten schützen.

Nach einiger Zeit wage ich noch mal den Versuch, in den Raum zu schauen. Der Vogel blickt mich an. Ich möchte ihn wirklich ungern jagen, aber ich sehe mich gezwungen, eine der Gardinenstangen zu nehmen, um ihm damit den Weg zu weisen. Er ist schließlich auch gar nicht so weit von der geöffneten Balkontür entfernt, so schwierig kann das doch nicht sein! Ich wedele etwas hilflos, aber sachte mit der Stange hinter ihm herum und rede ihm gut zu. Und dann, endlich, ich sehe es kaum, flattert er ganz schnell hinaus in die Freiheit.

Ich bin noch kurz verdutzt, schließe dann Tür und Fenster und mache mich daran, die Hinterlassenschaften des Haussperlings zu entfernen.