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Triumph des Stumpfsinns: Wie es mir der Bildungssenat unmöglich macht, als Lehrer in Berlin zu arbeiten

Unser Autor bringt alles mit, um als Quereinsteiger an einem Berliner Gymnasium zu unterrichten. Doch trotz eines Personalmangels kommt er nicht zum Zug.

Schüler während des Unterrichts
Schüler während des UnterrichtsMarijan Murat/dpa

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Vor fast zehn Jahren habe ich einen Gastkommentar mit dem Titel „Das europäische Dilemma: Ein Bundesstaat, den viele nicht wollen, wäre die eigentliche Voraussetzung für einen funktionierenden Euro“ in der altehrwürdigen österreichischen Qualitätszeitung Die Presse veröffentlicht. So wie damals stimmt der Schluss auch heute, dass das europäische Projekt am Nationalismus scheitert.

Diesen Nationalismus gibt es auch im deutschen Bildungssystem auf Berliner Ebene, wo österreichische Quereinsteiger aus dem EU-Ausland und auch jene aus Deutschland selbst von Schulen geradezu aktiv gesucht werden. Die Schulen haben sie bitter nötig, der Bildungssenat, seine Beamten und vorstehenden Politiker regieren aber durch Kürzungen, Hürden und Schikane an diesem Bedarf für Lehrkräfte, insbesondere auch Quereinsteiger, komplett vorbei.

Am Bildungsnotstand möchte ich Ihnen das aufzeigen. Ausgerechnet jetzt wird wieder bei der Bildung gekürzt, vor allem hier in Berlin. Deutsche, aber auch EU-Quereinsteiger, die wie ich mit Doktorat in Politikwissenschaft und einem Magister in Translationswissenschaft (Englisch/Spanisch) in fachnahen Gebieten gerne von Gymnasien und anderen Schulen eingestellt werden würden, werden vom politisch gesteuerten oder gänzlich bürokratisierten Bildungssenat entgegen jeder Räson abgewiesen. Die Katze beißt sich in den Schwanz. Wer versteht so etwas denn noch? Haben wir nicht im Berliner Bildungssystem Personalmangel?

Die Hürden für den Quereinstieg sind mitunter erheblich.
Die Hürden für den Quereinstieg sind mitunter erheblich.Marijan Murat/dpa

Europarecht wird mit Füßen getreten

Stattdessen werde ich von immer derselben Beamtin vom Berliner Bildungssenat beim Quereinsteigerprogramm für das Unterrichten in Englisch seit Jahren abgewiesen, weil ich als Übersetzer im Studium keine Literaturwissenschaft gemacht hätte. Andere – so kam es mir zu Ohren – werden nicht aufgenommen, weil sie zwar Literaturwissenschaft nachweisen können, jedoch nicht Sprachwissenschaft.

Und so wird man als EU-Europäer und Deutscher im Berliner Bildungssystem diskriminiert, weil angeblich keine Vergleichbarkeit zwischen Englisch auf Lehramt und Englisch Übersetzen vorliegt. Natürlich ist es vergleichbar, insbesondere wenn es explizit um den Quereinstieg geht. Ein nationaler Zynismus, der seinesgleichen sucht, obwohl es einschlägige EU-Vertragsartikel und eine Anerkennungsrichtlinie gibt, die Diskriminierung bei der Anerkennung von Abschlüssen allerart verbieten.

Außerdem habe ich in Österreich im Jahr 2023 eine neue vom Wissenschaftsminister eingeführte dreistufige Quereinsteiger-Zertifizierungsverfahrensprüfung bestanden, welche es mir erlaubt auf Gymnasiumsebene Englisch, Spanisch und Geschichte/Politische Bildung zu unterrichten – ganz zu schweigen davon, dass ich sogar universitäre Lehrerfahrung mitbringe. Aber auch das reicht für den Berliner Bildungssenat nicht aus – immer mit der Begründung, dass keine Vergleichbarkeit bestünde. Mit dieser Ausrede der mangelnden Vergleichbarkeit werden pauschal alle meine Anliegen beim Berliner Bildungssenat abgewiesen und so strukturell und intendiert Europarecht mit Füßen getreten.

Was ist passiert mit unserem gemeinsamen Europa? Warum können Schulen nicht Quereinsteiger einstellen, wenn sie das dringend brauchen? Das gilt aber auch für Deutsche, die als Quereinsteiger ins Bildungssystem möchten. An Bürokratenwillkür und Nationalismus scheitert es auch hier, komplett am Bedarf der Schulen vorbei.

Jetzt gibt es für mich aber doch einen kleinen Hintereingang, dessen Tür aber auch wieder zuzuschlagen droht. Ich habe mich auf der BEO-Lehrervertretungsliste eintragen lassen, wo man zumindest theoretisch die Möglichkeit hätte, als Vertretung temporär eingestellt zu werden. Das habe ich getan. Neulich hat sich auch ein Oberstufenzentrum in Berlin mit Fokus auf Fachkräfteausbildung, aber auch der Möglichkeit, das Abitur zu erlangen, bei mir gemeldet, mich eingeladen und mir eine Vertretungsstelle in vollem Umfang von 26 Unterrichtsstunden angeboten. Der Grund: dringender Bedarf!

Lehrer fehlen, doch können die Stellen selbst bei Verfügbarkeit von Personal nicht immer besetzt werden. Schuld daran sind nicht zuletzt die Kürzungen im Bildungsetat.
Lehrer fehlen, doch können die Stellen selbst bei Verfügbarkeit von Personal nicht immer besetzt werden. Schuld daran sind nicht zuletzt die Kürzungen im Bildungsetat.Julian Stratenschulte/dpa

Wasser auf die Mühlen der Rechten

Wir hatten uns schon geeinigt, als ich einige Tage danach einen Anruf von der Schule bekam, dass sie mir jetzt möglicherweise nicht den vollen Stundenumfang aufgrund von Kürzungen des Bildungssenats geben könne – obwohl dort für den Lehrgang der Integrierten Berufsausbildungsvorbereitung (IBA) unbedingt Personal gebraucht wird.

Dort nicht genügend Lehrkräfte einzustellen, bedeutet in Deutschland nicht genügend Fachkräfte ausbilden zu können. Das ist doch schlicht und einfach ein totaler politischer und bürokratischer Wahnsinn. Die Stumpfsinnigkeit feiert Triumphe. Menschen, die qualifiziert sind und arbeiten wollen, werden abgewiesen.

Wenn mir jetzt übrigens die Schule wegen des tollen Bildungssenats nicht mehr als 15 Stunden anbieten kann, dann habe ich die Bundesagentur für Arbeit am Hals, die mir bislang nur eine Callcenter-Stelle für 13 EUR brutto die Stunde vermittelt hat und bislang auf keine einzige meiner Nachrichten und Anliegen geantwortet hat. Das würde bedeuten, dass ich Vermittlungstermine der Bundesagentur priorisieren müsste und auch dem verminderten Unterricht fernbleiben müsste. Der nächste Wahnsinn. Da mir die Schule wohlgesonnen ist, darf ich aber das zumindest hoffen, dass ich mehr als 15 Stunden zugewiesen bekomme.

Mir fehlen wirklich mittlerweile die Worte. Müssen wir in Europa wirklich wieder die Faschisten an der Macht haben, damit wir verstehen, was für uns gut und was für uns schlecht ist? Das ist alles Wasser auf die Mühlen der Rechten. Zum Glück bin ich anständig genug, so einer Ideologie nicht zum Opfer zu fallen.

Manfred Kohler ist Politikwissenschaftler, hat an diversen Universitäten wie der University of Kent doziert und publiziert zu Europa, Nationalismus und internationaler Politik.

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