Mit dem Aberglauben ist es so eine Sache. Manche lehnen ihn kategorisch ab und machen sich über abergläubische Menschen lustig. Sie wollen damit nichts zu tun haben, ertappen sich aber manchmal insgeheim dabei, dass ihnen bei der Zahl 13 mulmig wird.
Sie vermeiden es, unter Leitern hindurchzugehen oder mögen keine schwarzen Katzen, die vor einem die Straße überqueren. Warum, das wissen sie selber nicht so genau, es scheint tief in ihrem Inneren verankert zu sein.
Und mit im Unterbewusstsein lodernden Geistern im Nacken kann nun mal nicht, wie der Schriftsteller Maximilian Harden es bereits 1903 in der Zeitschrift Die Zukunft gefordert hatte, „des Aberglaubens altes Bett“ weggeräumt werden.
Es modert bei vielen Menschen mental vor sich hin und will partout nicht verschwinden. Schlimmstenfalls kann es auch Folgeschäden verursachen, Betrüger hervorbringen oder sogar Mord und Totschlag provozieren.
Das Hausgespenst der Hohenzollern
Bereits im 16. Jahrhundert wurde in Berlin kräftig dem Aberglauben gefrönt, dem Glauben an Wirkung und Wahrnehmung naturgesetzlich unerklärter Kräfte, die nicht durch die Religionslehre begründet waren. Es war auch die Zeit, in der Anna Sydow, die glücklose Mätresse des Kurfürsten Joachim II. im Jagdschloss Grunewald residierte.
Ihre populärste Rolle spielte sie jedoch erst nach ihrem Tod: als Hausgeist der Hohenzollern, als Todesengel, der jedem das vorzeitige Ableben brachte, dem sie erschien. Dezent schwebte sie ganz in Weiß an den Todgeweihten vorbei, geräuschlos, mitleidlos, ein ruheloser Geist auf der Suche nach Erlösung.
Ihr Ende war grausam, sie starb 1575, und angeblich hatte man sie lebendig im Spandauer Juliturm eingemauert, weil man sie als „Günstling“ für die wirtschaftliche Misere am Hof mitverantwortlich gemacht hatte.
Auch Friedrich I. kam in den zweifelhaften Geistergenuss: Am 25. Februar 1713 hatte er die Weiße Frau angeblich auf seinem Krankenlager in Berlin erblickt und daraufhin vor Schreck sofort für immer die Augen geschlossen. Dass sie ihren Ursprung im altgermanischen Heidentum hatte und in der Regel nichts Gutes im Schilde führte, war ihm wahrscheinlich bekannt gewesen.
Unheilvolle Ankündigungen
Immer, wenn ein Unglücklicher oder eine Unglückliche sie erblickte, kündigte das unter Umständen den eigenen oder den Tod einer nahestehenden Person an. Und wenn das sogar der König glaubte, musste das doch stimmen, da war sich das gemeine Volk sicher.
Dieser fast schon traditionell zu nennende Aberglaube der Berliner bildete nicht zuletzt auch den Nährboden für mehrere Okkultismuswellen im Laufe der Geschichte, die auch mit dem Thema Kriminalität verbunden waren.
So kam es 1889 in Resau, einem kleinen, zu Bliesendorf gehörigen Wohnplatz – heute ein Ortsteil von Werder an der Havel –, zu äußerst seltsamen Vorkommnissen. Dort lebten nur wenige Menschen, die nicht im Albtraum daran dachten, mal das Epizentrum des deutschen Aberglaubens zu werden.
Schon bald blickte nämlich die ganze Welt nach Werder und fragte sich, warum gerade dort ein Poltergeist zugange sein sollte, im Übrigen ein Begriff, der – laut Gebrüder Grimm in ihrem „Deutschen Wörterbuch“ – bereits seit dem 16. Jahrhundert als „lärmendes, polterndes, spukendes Nachtgespenst“ belegt war. Und nun randalierte ein ganz irdischer Dienstknecht namens Karl Wolter, der bei der Familie des Bauern Böttcher lebte.
Der aufsässige junge Mann war bei den Lehrern seiner Schule nicht gerade beliebt, er log zudem, dass sich die Balken bogen – über den Fall würde Albert Hellwig (1880–1950), seines Zeichens Jurist und Kriminologe, unter anderem 1929 auch in seinem Standardwerk „Okkultismus und Verbrechen“ berichten. Sportlich war Karl aber auch und besonders gut konnte er werfen.
Aberglaube als Nährboden für Okkultismuswellen
Und auf einmal regnete es im Hause Böttcher Kartoffeln, manchmal aber auch die ein oder andere Bratpfanne. Ein merkwürdiger Geist, so glaubten die Menschen fest, sorgte für Angst und Schrecken.
Seltsam war allerdings, dass ausgerechnet in diesen Momenten des Terrors immer auch Karl Wolter genau an der Stelle stand, von wo die Wurfgeschosse herkamen. Er geriet somit ganz schnell in den dringenden Verdacht, der mysteriöse Kartoffelwerfer zu sein, vielleicht aus jugendlichem Leichtsinn oder um Aufmerksamkeit zu erregen.
Über die Reaktionen der verdatterten Geisterzielscheiben soll er sich tatsächlich vor Lachen ausgeschüttet haben. Vermutlich aber auch über den wackeren Pfarrer Müller, der anrückte, um geistigen Beistand zu leisten. Und dann bekam auch er eine Kartoffel ab, die Geister schienen doch etwas herzlos zu sein.

Der Spuk von Resau
Ein weiterer Herr Müller verbürgte sich in der Folge vehement für die Echtheit der Phänomene, es war der in Berlin stadtbekannte „Geister-Müller“, der Spiritist Dr. Egbert Müller. Er hatte bereits mehrere Schriften zugunsten solcher umstrittenen Phänomene verfasst und schwor auch in diesem klaren Fall von Betrug Stein und Bein, dass Wolter ein echtes Medium sei. Selbst vor Gericht ließ er sich nicht von dieser Überzeugung abbringen.
Längst hatte die Nachricht vom „Spuk von Resau“ die Reichshauptstadt erreicht, allerdings nicht wie von Zauberhand. Ganz irdische Mediziner wie Albert von Schrenck-Notzing, seines Zeichens Pionier der Parapsychologie, sorgten dafür, dass sich die Nachricht vom „Spukhaus“ wie ein Lauffeuer in die hinterletzte Ecke verbreitete.
Die zu dieser Zeit sehr aktive spiritistische Szene hielt ebenfalls hartnäckig zu ihm. Sogar der renommierte Kriminalpsychologe Erich Wulffen ließ es sich nicht nehmen, den Fall genauer unter die Lupe zu nehmen. Zu einem endgültigen und abschließenden Urteil kam er jedoch nicht.
Am Ende wurde Wolter vom Amtsgericht Werder zu einer moderaten Strafe – 14 Tage Gefängnis und vier Wochen Haft – verurteilt. Und in Resau kehrte Ruhe ein.
Später würde Wolter seinen Geburtsort Werder in Richtung Hamburg verlassen, um, wie sein Vater, Schiffer zu werden. 1894 berichtete Die Badische Presse über „das dunkle Gewerbe der klugen und weißen Frauen und Männer“ in Berlin, das den Aberglauben der Menge ausbeute und in Berlin in Flor stehe, „wie wohl sonst nirgendwo im deutschen Reich“.
Es waren an der Schwelle zum neuen Jahrtausend vor allem Frauen wie Anna Rothe, Valeska Töpfer oder Anna Abend, die zweifelhafte Erfolge mit ihren spiritistischen Sitzungen und angeblichen Jenseitskontakten feierten, um so nicht nur ihre Portemonnaies aufzufüllen, sondern auch ihren ärmlichen Verhältnissen oder gewalttätigen Ehemännern zu entkommen – bis zu ihrer finalen Enttarnung als Betrügerinnen durch die Berliner Kriminalpolizei.
Mord aus Aberglauben
Schlagzeilen machte 1900 ein äußerst tragischer und kaltblütiger Mord aus Aberglauben, der am Teufelssee in der Nähe von Potsdam verübt wurde, als der angebliche Zauberer und Wahrsager Eugen Jänicke eine Berliner Schneiderin dazu brachte, Gift einzunehmen, um ihr dann anhand einer feierlichen Zeremonie Reichtümer herbeizuzaubern.
„Wenn Du erwachst, umringen Dich Engel und ein goldener Berg wird Dir zu Füßen liegen!“, war das Letzte, was die arme Frau noch hörte, nachdem sie den vergifteten Zaubertrank eingenommen hatte. Dann fiel sie tot um.
Das war tiefstes Mittelalter mit Ingredienzien wie Mönchskutte, Zaubermesser und Zauberbuch, die der als eine Art Nostradamus getarnte Mörder für seine Tat benutzt hatte.
Kurz nach der Tat hatte er nichts Besseres zu tun, als die Frau einfach am Boden liegen zu lassen und nach Berlin zu eilen, um ihre Wohnung auszurauben. „Ein Opfer krassen Aberglaubens“, prangerte unter anderem die Zeitung Vorwärts den tragischen Kriminalfall an, und auch die Welt der Wissenschaft war mal wieder in Aufruhr.
Der Täter sollte später dem Wahnsinn verfallen und kläglich an Gehirnerweichung zugrunde gehen, noch heute zeugt die historische Patientenakte aus der früheren „Irrenanstalt“ von Herzberge – heute das Evangelische Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge – von dem Schicksal des Mörders.
Die wissenschaftliche Nachprüfung von abergläubigen Anschauungen, die unter anderem im Spannungsfeld des modernen Okkultismus eine wesentliche Rolle spielten, hatte laut Hellwig erst sehr spät, nämlich um 1880, begonnen.
Es war eine Suche nach zuverlässigen empirischen Verfahrensweisen, um so rätselhafte Erscheinungen aller Art zu erforschen. Der Umgang des Menschen der Moderne mit Okkultismus, übersinnlichen Erfahrungen, Magie und Zauberei, Mystizismus und anderen nicht gerade heiteren Themen musste dringend neu aufgestellt werden, um mittelalterliche Praktiken zu verbannen, die vor allem in der ländlichen Bevölkerung noch sehr präsent waren und zudem von kirchlichen Würdenträgern misstrauisch beäugt wurden, die ihre Schäfchen ungern an den Satan verlieren wollten.
Doch dass sich die Dämonen dieser abergläubischen Vorstellungen so einfach in Luft auflösen würden wie ein, nun ja, Gespenst, das war doch ziemlich unwahrscheinlich.
Vor allem in den 1920er-Jahren wurde in Berlin seitens der Berliner Presse mehrmals vehement vor der „Herrschaft des Aberglaubens“ oder dem „Okkultisten-Unfug“ gewarnt, so auch 1922 von der Schriftstellerin Doris Wittner in einem Artikel im Berliner Tageblatt, wobei sich die Begriffe „Aberglauben“ und „Okkultismus“ laut Hellwig nicht voneinander abgrenzen ließen.







