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Endlich Urlaubszeit, endlich auf dieser herrlichen Insel: Hiddensee. Gutes Wetter, gute Laune, guter Service, viel Zeit. Die am Service verdienen, müssen sich an die Zeit und die Wünsche der Besucher anpassen und das verdirbt ihnen mitunter die Laune. Jedenfalls wünschen sie sich Regen, Stürme, haben das Gefühl, man frisst ihnen die Haare vom Kopf. So deutlich gehört, wenn man hinhört. Viele Gedanken der Inselbewohner und der Dienstleister werden nicht sicht- oder hörbar. Vielleicht auch gut so. Ihr Job ist es, freundlich zu sein, den Aufenthalt für die Inselbesucher angenehm zu machen. Geduld aufzubringen, Wünsche zu erfüllen. Mitunter liest man Aufschriften und Hinweise: Privat! Schauen Sie nicht in die Fenster! Behindern Sie nicht mit ihren Fahrrädern diensteifrige Kellner!
Verdienen muss man genug, oft so viel, dass man außerhalb der Saison davon leben kann. Es ist Hochsaison. Es verlangt Durchhaltevermögen, Anstrengung. Im Eisladen, am Fischbrötchenstand, in den Gaststätten. Schweigend und geduldig zu warten, bis die individuellen Wünsche formuliert sind. Korrigierend oder stornierend, verändernd oder scheinbar endgültig entschieden, was man so möchte. Natürlich, der Tourist ist König oder Königin. Meistens sind es Prinzessinnen, die ihre Extras verlangen. Und das frisst Zeit. Die die einen haben, die anderen nicht, denn Schlangen bilden sich hinter den Unentschiedenen. Verzögerungen kosten Energie.

Es ist schön auf der Insel Hiddensee, 19 Quadratkilometer groß, mit einer Länge von 16,8 Kilometern. Man kommt an mit der Fähre und fährt ab mit der Fähre, die sind erstaunlich pünktlich, zuverlässig und gleiten sanft über das Wasser. Man stellt sich ordentlich an und wartet geduldig auf Abfahrt und Ankunft. Mit den Anschlüssen an Bus und Bahn ist es schwieriger, wenn man wieder wegwill. Oder man kommt mit dem Segelboot, mit einer Jacht.
Die Fahrräder muss man hier nicht abschließen
Die Besiedlung auf der Insel ist zum Teil sehr dünn, kleine Häuslein blau-weiß bemalt, einfach auf die Wiese gestellt wie in Neuendorf. Größer und attraktiver sind sie in Kloster, mit dem großen luxuriösem Haus von Gerhart Hauptmann, oder ostseegemäß reetgedeckt, mit einem Boulevard und einem Theaterchen und einem Zeltkino, in Vitte. Zurzeit ist alles belegt, alle Zimmer und Ferienwohnungen vermietet. Zwischen den Orten radeln ununterbrochen Menschen auf den geliehenen Rädern, die man zwischen sechzig oder, es ist immer gut zu vergleichen, für vierzig Euro für eine Woche bekommt. Hin und her geht es, auf den gut gepflasterten Wegen, bis sie im Sand enden. Abschließen braucht man die Räder nicht. Sie haben die Nummern der Verleiher. Mit dem Diebesgut käme man auch nicht so schnell weg von der Insel.

Das Interesse der Radelnden oder auch der in den Gaststätten sitzenden Gästen an den anderen Gästen ist auffällig groß. Man hat Zeit, sich umzusehen, sich zu betrachten, nach Bekannten Ausschau zu halten. Die Neuangekommenen Weißgesichter oder die Schonbraungebrannten zu fixieren mit viel längeren Blicken, als es in der Großstadt üblich ist. Sich anzulächeln. Warum wird so viel gelächelt, obwohl man sich nicht kennt?
Gibt es noch Künstler, die hierherfahren? Oder welche, die hier ihre Häuser haben? Ach, die Leute haben wir vorhin schon am Strand gesehen, die sind schon so schön braun … aber der Nachwuchs ist laut. Ein Kind weint so empört mit richtigen Tränen, weil die Mutter das Eis halbieren will, ahnend, dass es schmilzt und tropft. Nein, da gehen wir jetzt woanders hin! Da hat man keine Ruhe. Wir sind hier, um Ruhe zu haben. Wo ist eigentlich der Hundestrand?
Am weiten Sandstrand sind überall Nackte neben bekleideten Menschen. Die weißhaarigen Alten sind mehrheitlich unbekleidet und scheinen überhaupt in der Überzahl. Kinder dagegen und die wenigen Jugendlichen haben etwas an. Im Wasser, am Strand.

Wandert man am Dornbusch, rund um den Leuchtturm, begrüßt man sich mit Moin und Hallo. Kinder verkaufen ihre buntbemalten Steine am Wegesrand und kleine Marmeladengläschen für drei Euro kann man überall auf den Wegen erwerben. Sanddorn, diese orangeroten, unglaublich sauren Beeren werden eingekocht, zusammen mit den Brombeeren, die an den Rändern der Wege und auf den Wiesen wachsen. So ein Marmeladengläschen oder zwei reichen für den Aufenthalt.
Was macht man nur mit den Resten? Sauber ist die Insel! Nirgendwo liegen Plastikflaschen, Plastiktüten, nicht einmal viele Zigarettenstummel landen auf dem Boden. Nur die Pferdeäpfel von den Kutschengäulen mit den Scheuklappen, die hier auch eine Touristenattraktion sind, verleihen der Insel so einen angenehmen ländlichen Geruch.

Man wird süchtig nach der Stille
An den drei Häfen riecht es nach frischem Fisch, der sofort Appetit macht auf diese mit Zwiebeln belegten frischen rosigen Matjesheringe, die tatsächlich von hier aus der Ostsee sind. Nur auf die Papierservietten muss man achtgeben, die der Wind einem aus den Händen weht. Man braucht zwei Tage, um sich an die Windorgeln zu gewöhnen, an die leisen Elektromotoren, es dürfen nur das Polizeiauto, das Postauto und Müllwagen hier fahren.
Nach und nach wird man geradezu süchtig nach der Stille, nach dem sanften Grün der Wiesen mit den lilafarbenen, gelben und blauen kleinen Blümchen, nach den Schafen und Pferden in der weiten Landschaft und dem unersättlichen Blick auf das Meer, das unberechenbar an den Strand rollt und mitunter überrollt. Aber nicht zu übersehen sind auch die Schließungen des Traditions-Bäckers Kasten in Kloster und die unberechenbaren Öffnungs- oder Schließzeiten des Fischschuppens. Oder Ruhetage ausgerechnet am Sonntag, gerade wenn die Touristen ein Stück Kuchen essen wollen. Nur der kleine Buchladen in Vitte hat jeden Tag geöffnet, denn gelesen wird viel. Nackte sind oft nur mit einem Buch bekleidet am Strand. Und Handys vertragen keinen Sand.

Die Preise für Eis, Fischbrötchen, Kuchen und warmes Essen haben inzwischen Berliner Niveau. Dafür ist die Qualität außergewöhnlich gut. Gehen Sie nur mal ins „Godewind“ in Vitte, Sie bekommen garantiert einen Platz, denn der Wirt im bunten Hemd behandelt Sie wie einen alten Bekannten, stellt das Essen warm, wenn die Küche schon geschlossen hat, empfiehlt den sehr teuren guten Wein aus Süddeutschland, hier können Sie auch mit Karte bezahlen.
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Ostseeaquarelle der noch hier ansässigen Künstler, gestrickte Schals und Strümpfe, Sanddorngeist kann man überall erwerben. Und sogar Gregor Gysi und Gerhard Schöne und Toni Krahl können Ihnen hier begegnen. Ist das hier noch der Osten? Eine Reise lohnt sich, nehmen Sie sich Zeit, buchen Sie rechtzeitig und stellen Sie sich darauf ein, dass es abends so still ist, dass man das Meer rauschen hört, auch wenn man es nicht sieht.

