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Deutsche Frauen: Hohe Erwerbsquote, aber selten in Chefpositionen – ein Paradox?

In Deutschland gibt es einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes zufolge noch immer zu wenig Frauen in Führungspositionen. Warum die aktuellen Zahlen und die Interpretation jener in die Irre führen.

Dass Frauen seltener in Führungspositionen arbeiten, hat vielerlei Gründe.
Dass Frauen seltener in Führungspositionen arbeiten, hat vielerlei Gründe.Thought Catalog/unsplash

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In einer Pressemitteilung vom 3. November weist das Statistische Bundesamt darauf hin, dass in Deutschland weniger Frauen in Führungspositionen sind (29,1 Prozent) als im EU-Durchschnitt (35,2 Prozent). „Seit dem Jahr 2014 hat sich der Anteil der weiblichen Führungskräfte in Deutschland praktisch nicht verändert (plus 0,1 Prozentpunkte von 29,0 Prozent im Jahr 2014 auf 29,1 Prozent im Jahr 2024)“, heißt es in dem Statement.

Grafik: BLZ. Quelle: Eurostat

Diese Meldung wurde von vielen Medien aufgegriffen und es wurde über die möglichen Gründe für die geringe Frauenquote in Führungspositionen in Deutschland spekuliert. Dabei wurde häufig ein Argument aus der Pressemitteilung zitiert, ohne es zu hinterfragen, unter anderem in der Tagesschau: „Der geringe Anteil an Frauen in Leitungspositionen in Deutschland fällt besonders auf, da hier fast ebenso viele Frauen erwerbstätig sind wie Männer. Ihr Anteil an allen Erwerbstätigen lag 2024 bei 46,9 Prozent und damit leicht über dem EU-Durchschnitt (46,4 Prozent)“.

Erwerbsquote sagt wenig aus

Was ist falsch oder zumindest stark irreführend an dieser Aussage? Erwerbstätigkeit ist ein mehrdeutiger Begriff. Man kann Erwerbstätigkeit dichotom definieren, das heißt, fragen, ob eine Person im Erhebungsjahr einer bezahlten Tätigkeit nachgegangen ist: ja oder nein. Und so ist es mit der genannten weiblichen Erwerbsquote von 46,9 Prozent des Statistischen Bundesamtes. „Der Frauenanteil an den Erwerbstätigen insgesamt zeigt, wie häufig Frauen im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung einer bezahlten Tätigkeit nachgehen. Der Indikator enthält allerdings keine Angaben zur Art und zum Umfang der ausgeübten Tätigkeit.“

Ohne Angaben zur Art und zum Umfang der ausgeübten Tätigkeit sagt die Erwerbsquote (von Frauen) allerdings nur sehr wenig bis gar nicht aus. Denn dann werden zu den „erwerbstätigen“ Frauen auch solche gezählt, die Halbzeit, Teilzeit oder auch in sogenannten Minijobs arbeiten.

Viele Frauen arbeiten in Deutschland nach wie vor in Teilzeit.
Viele Frauen arbeiten in Deutschland nach wie vor in Teilzeit.Vitaly Gariev/unsplash

Nicht nur die Art der Tätigkeit spielt eine wichtige Rolle, ob jemand Chancen hat, in eine Führungsposition zu kommen, sondern auch der Umfang der ausgeübten Tätigkeit. Es dürfte jedem einleuchten, dass es nur schwer möglich ist, auf einem Minijob oder einer Teilzeitstelle eine Führungsposition zu erreichen. Auch wenn es Bestrebungen gibt, Führungspositionen auch in Teilzeit zu ermöglichen, dürfte die Regel sein, dass man Vollzeit arbeiten muss, um in eine Führungsposition zu kommen.

Die Quote von Frauen, die Vollzeit arbeiten, ist in Deutschland seit vielen Jahren sehr viel geringer als im EU-Durchschnitt und hat sich in den letzten 20 Jahren nicht verändert. Seit 2004 hat sich in Deutschland der Anteil der Frauen mit Vollzeitbeschäftigung praktisch nicht verändert (von 33,8 auf 34,2 Prozent in 2024). Die Mehrzahl der Frauen in Deutschland arbeitet – nach wie vor – in Teilzeit.

Fast die Hälfte der Frauen arbeitet in Teilzeit

Wie der Informationsdienst des Instituts der Deutschen Wirtschaft mitteilte, ist die Quote der in Teilzeit tätigen Frauen in Deutschland besonders hoch: 2024 arbeiteten in Deutschland 48 Prozent der Frauen in Teilzeit, aber nur zwölf Prozent der Männer. „Im Schnitt kamen die Teilzeitkräfte in Deutschland zuletzt auf ein Wochenpensum von 21,8 Stunden, Vollzeitkräfte arbeiteten hierzulande im Durchschnitt 40,2 Wochenstunden.“ Nur in Österreich und in den Niederlanden ist die Teilzeitquote bei Frauen noch höher als in Deutschland.

Die Frage sollte also nicht lauten, warum in Deutschland so wenige Frauen in Führungspositionen sind, sondern: Warum arbeiten in Deutschland nach wie vor so viele Frauen in Teilzeit – und warum ist der Anteil von Frauen in Teilzeit deutlich höher als in den meisten anderen EU-Ländern?

Frauen in Deutschland arbeiten nicht nur deutlich häufiger in Teilzeit als Männer, sie haben auch deutlich häufiger einen sogenannten „Minijob“ als einzige Erwerbstätigkeit. Im Jahresdurchschnitt (2023) ging etwa jede siebte Frau, aber nur jeder elfte Mann ausschließlich einer geringfügig entlohnten und/oder kurzfristigen Tätigkeit nach.

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Frauen bekommen knapp 40 Prozent weniger Rente

Die hohen Quoten von Frauen in Teilzeitarbeit und Minijobs sind übrigens nicht nur die Ursache für die geringeren und stagnierenden Quoten von Frauen in Führungspositionen. Sie sind neben den häufigeren und längeren Erwerbsunterbrechungen, vor allem wegen Care-Aufgaben, auch eine der wichtigsten Ursachen für die weit auseinanderklaffenden Altersrenten von Männern und Frauen in Deutschland, die sogenannte Gender-Pensions-Lücke.

Nach einer Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom April 2024 lag im Jahr 2023 die durchschnittliche Rente bei Frauen in Deutschland 39,4 Prozent unter der von Männern. Bezieht man die Hinterbliebenenrente hinzu, ist die Differenz etwas kleiner, aber auch dann ist der Unterschied immer noch beträchtlich: Im Jahr 2023 bezogen Frauen im Alter über 65 Jahren Alterseinkünfte von im Durchschnitt 18.700 Euro brutto im Jahr, Männer über 25.600 Euro. In Deutschland gelten 20,8 Prozent der Frauen über 65 als armutsgefährdet gegenüber 15,9 Prozent der Männer.

Im Alter sind Frauen nach wie vor deutlich häufiger von Armut betroffen als Männer.
Im Alter sind Frauen nach wie vor deutlich häufiger von Armut betroffen als Männer.Getty Images/unsplash

Es gibt viele Gründe, warum so viele Frauen in Deutschland nach wie vor Teilzeit oder in Minijobs arbeiten, etwa die weitgehende Unantastbarkeit der männlichen Erwerbstätigenrolle, die gesellschaftliche und private Delegation der Care-Arbeit an Frauen, das Ehegattensplitting sowie die derzeitigen Regelungen beim Elterngeld und den Erziehungszeiten. Daneben wirken auch subtilere psychologische Barrieren, die Frauen von einer beruflichen Karriere abhalten: Das ist die vor allem in Westdeutschland nach wie vor verbreitete Mutter-Kind-Ideologie, die die Berufstätigkeit von Müttern insbesondere kleinerer Kinder verunglimpft.

Häufig ist es auch eine zu bescheidene Selbsteinschätzung von Frauen, die einer Bewerbung für Führungspositionen im Weg stehen kann. Und nicht zuletzt fehlt Frauen, die nicht nur berufstätig sein wollen, sondern eine berufliche Karriere anstreben, oft die Unterstützung aus dem sozialen Umfeld – und zwar nicht nur von Männern, sondern auch von anderen Frauen.

Monika Sieverding ist Professorin für Genderforschung und Gesundheitspsychologie am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg (seit Oktober 2023 im Ruhestand). Sie hat in jahrelanger Forschung psychologische Barrieren in der beruflichen Entwicklung von Frauen erforscht.

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