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Pünktlich zu Beginn der Sommerferien hat der Bezirk Spandau eine Machbarkeitsstudie vorgelegt, mit der er beabsichtigt, das Areal Breitehorn an der Havel in Spandau in ein Überschwemmungsgebiet umzuwandeln. Noch im Oktober 2022 hatte Baustadtrat Thorsten Schatz (CDU) das Ernst-Liesegang-Ufer zu einem „der schönsten und beliebtesten Spandauer Wanderwege an der Havel“ gekürt – jetzt soll genau dieser Uferweg beseitigt werden. Das gleiche Schicksal soll rund 95 Prozent der Wochenendlauben sowie die beliebte Badestelle am Breitehorn ereilen.
Warum das alles, fragen sich die betroffenen Gartenfreunde in ihrer Online-Petition, die derzeit eine außerordentlich große Unterstützung erfährt (Stand 12. August 2025: 4270 Unterschriften). Es finden sich Begründungen des Bezirksamts, die unter die Stichworte „Renaturierung“, „Überschwemmungsgebiet“ und „Zwang durch Vereinbarungen im Kaufvertrag über das Breitehorn“ fallen.
Die maßgebliche Frage ist: Reichen diese Argumente aus, um mehrere Generationen von Menschen aus ihrem bisherigen Refugium zu verdrängen? Ist es politisch und rechtlich verantwortbar, die Bevölkerung Berlins um einen der zauberhaftesten Flanierwege am unmittelbaren Havelufer zu berauben?

Umstrukturierung muss dem „öffentlichen Zweck“ dienen
Freilich obliegt es zunächst den politischen Entscheidungsträgern der Bezirksverordnetenversammlung Spandau, diese Fragen zu beantworten. Sie sind dabei aber nicht gänzlich frei, sondern ihrem Gewissen sowie Recht und Gesetz unterworfen. Die politischen Dimensionen mögen die Verantwortlichen mit Blick auf den in der Bevölkerung aufkeimenden Verdruss gegen unliebsame Entscheidungen zu Lasten der Mitte der Gesellschaft beantworten.
Im Hinblick auf die Anforderungen von Recht und Gesetz kommt die Autorin dieses Beitrags ins Spiel, die selbst Betroffene der geplanten Abrissarbeiten ist und die juristischen Fallstricke im Detail untersucht hat. Bereits in den Jahren 2009 und 2015 war das Kammergericht, Berlins höchstes Zivilgericht, aufgerufen, sich mit ähnlich gelagerten bauplanerischen Entscheidungen des Bezirksamts Spandau auseinanderzusetzen. Es ist kein Geheimnis, dass sich die Behörde gleich zweimal eine „blutige Nase“ in der Posse rund um das Areal des Landschaftsschutzgebiets von Tiefwerder (Klein-Venedig) in Spandau holte.
Mit seinen zwei Entscheidungen (Urteil vom 16. Juli 2009, Aktenzeichen 20 U 152/07 und vom 18. Juni 2015, Aktenzeichen 20 U 184/14) legte das Kammergericht die Messlatte für die Vertreibung von Berliner Gartenfreunden aus ihren Naturparadiesen recht hoch: Erst wenn die Behörde für ihre Maßnahmen einen ganz konkreten „öffentlichen Zweck“ nachweisen kann, darf sie diese in die Tat umsetzen. Dafür ist es erforderlich, dass die Behörde „unter Beachtung des Willkürverbotes (…) so konkrete Maßnahmen vornimmt oder vornehmen wird, dass davon gesprochen werden kann, dass gerade die Parzelle der Beklagten oder das Gelände mit dieser Parzelle für öffentliche Zwecke zu diesem Zeitpunkt benötigt wird. (…) ein Brachliegen des Geländes soll vermieden werden.“ Es scheint, die Geschichte von Klein-Venedig wiederholt sich nun am Breitehorn. Denn die vorgelegte Machbarkeitsstudie vermag die Anforderungen des Kammergerichts nicht im Ansatz zu erfüllen.

„Renaturierung“ als inhaltsleeres Schlagwort
Die Studie trägt zwar den Titel „Renaturierung“ – tatsächlich finden sich aber keine konkreten Ausführungen zu einer wirklich geplanten Renaturierung. Es wird nicht dargelegt, welche konkreten Tier- und Insektenarten geschützt werden müssen, die durch die jetzige Nutzung bedroht wären. Dass die Tier- und Pflanzenwelt durch die fortlaufende Pflege der ansässigen Laubenbesitzer geschützt und gefördert wird (Stichwort: Bienenhotels, Nistplätze für Vögel unter Vordächern der Lauben etc.), findet ebenfalls keine Erwähnung.
Vor allem ist der Studie nicht zu entnehmen, dass das Gelände Breitehorn tatsächlich in einen naturnahen Zustand zurückgeführt werden soll. Im Gegenteil wird auf Seite 12 ausgeführt, dass „eine möglichst pflegearme, eigendynamische und natürliche Entwicklung der Flächen mit minimaler Steuerung“ eingeleitet werden soll. Was dies genau bedeutet und welche Kosten auf den Bezirk auf Dauer zukommen würden, wird nicht dargestellt.
Dem juristischen Laien dürfte sich bereits auf den ersten Blick erschließen, dass Planungen für Renaturierungsmaßnahmen sämtliche (Umwelt-)Risiken genauestens zu untersuchen und abzuwägen haben. Es stellen sich zahlreiche Fragen, deren Befassung die Studie leider gänzlich vermissen lässt: Welche konkreten Renaturierungsmaßnahmen sind beabsichtigt und welche Kosten fallen für diese an? Wie aufwendig wird die Beseitigung des Uferwegs sein und welche Kosten (Finanzen/Personal) werden hierfür entstehen? Wurden sämtliche Risiken vorab umfassend durch Sachverständige eruiert? Wie genau wird sichergestellt, dass etwaigen Risiken wirksam auch auf Dauer begegnet wird? Weiter: Wo und wie sollen die Stege angebracht werden, die vom Breitehornweg zur Havel führen und welche Kosten fallen an? Und wie sind die Erfolgsaussichten der Renaturierungsmaßnahme mit Blick auf die gescheiterte Renaturierung auf dem benachbarten Areal des ehemaligen Campingplatzes zu bewerten?
Errichtung eines tatsächlich nicht erforderlichen Überschwemmungsgebiets
Die Studie gibt an, das Breitehorn als Überschwemmungsgebiet zu benötigen. Nach der Rechtsprechung des Kammergerichts müsste die Umwandlung des Geländes in ein Gebiet ohne Laubenbebauung tatsächlich auch erforderlich sein. Das ist vorliegend nicht der Fall, denn die früheren Hochwassererwartungen sind aufgrund der Klimaveränderungen veraltet. Die Havel führt zunehmend weniger Wasser. Sie ist im Bereich Breitehorn rund einen Kilometer breit und weist im weiteren Verlauf größere Verteilungsmöglichkeiten auf. In der Folge sind Überschwemmungen auf der Basis der bisherigen Berechnungen äußerst unwahrscheinlich.
Überdies gibt es aktuelle Überlegungen, den dezimierten Groß Glienicker See mit Wasser aus der Havel aufzufüllen. Unbeeindruckt von diesen Fakten legt die Studie den Abriss des Uferwegs und der Lauben gleichwohl fest. Zudem geht die Studie weder auf die Frage ein, in welchen Bereichen der Havel künftig mit Hochwasser zu rechnen ist, noch darauf, inwieweit das Breitehorn als Entlastungsfläche für andere hochwassergefährdete Gebiete erforderlich wäre.

(Kauf-)Vertrag zu Lasten Dritter
Die aktuellen Diskussionen um das Breitehorn haben den Baustadtrat Thorsten Schatz zu folgenden Erklärungen in der Presse bewogen: „(…) Ich bin in der misslichen Situation, die damals getroffene Entscheidung umsetzen zu müssen, ohne selbst Einfluss auf die Grundausrichtung zu haben. (…) Das Land wollte damals Geld sparen.“ Die dabei vereinbarten Auflagen seien „unumstößlich“.
Tatsächlich enthält der betroffene Kaufvertrag (Präambel sowie § 2 Absatz 1 des Kaufvertrags vom 15. Dezember 2021) aber eine gänzlich unbestimmte Klausel, nach der der „Erwerb zur Neuordnung des Gebiets unter Berücksichtigung naturschutzfachlicher Belange, der Erholungsnutzung für die Allgemeinheit, des Grundwasserschutzes und der Überschwemmungsgebietsverordnung durch Reduzierung schädlicher Nutzungseinflüsse (Bebauungen, Kfz-Verkehr)“ erfolgen soll. Offenkundig zwingt diese Klausel den Bezirk gerade nicht zu der vorgesehenen Beseitigung des Uferweges. Auch zwingt diese Klausel den Bezirk nicht zum beabsichtigten Abriss von rund 95 Prozent der Lauben. Vielmehr steht dem Bezirk ein umfassender Ermessensspielraum zur Erfüllung der Klausel zu, der lediglich durch das Erfordernis der Notwendigkeit der intendierten Maßnahmen eingeschränkt wird.
Auf jeden Fall nicht verfangen kann das Argument, der Kaufvertrag zwinge den Bezirk zu den Maßnahmen der Studie. Wenn der Bezirk den nach der Rechtsprechung des Kammergerichts geforderten „öffentlichen Zweck“ vorliegend nicht substanziiert darlegen kann, so kann er diesen Mangel nicht dadurch beseitigen, dass er sich in dem Kaufvertrag (vermeintlich) zur vollständigen Renaturierung und zum vollständigen Abriss der Lauben verpflichtet und nun behauptet, keine Wahl gehabt zu haben. Juristisch betrachtet wäre dies als unzulässiger „Vertrag zu Lasten Dritter“ zu bewerten. Ein Vertrag zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt.

Last, but not least: Das Kammergericht hat in seiner Entscheidung vom 16. Juli 2009 ausdrücklich festgestellt, dass ein „Brachliegen des Geländes vermieden werden soll“. Damit ist der Bezirk gefordert, zunächst ein dauerhaft gesichertes Finanzierungskonzept zur Umsetzung der geplanten Maßnahmen aufzustellen und die benötigten Kosten auch im Haushaltsplan abzubilden. Die vorgestellte Studie verhält sich zu all diesen Aspekten nicht. Vielmehr ist im Gegenteil festzustellen, dass Baustadtrat Schatz jüngst in der Presse eingestehen musste: „(…) Aktuell hat der Bezirk weder Geld noch Personal, um diesen Plan umzusetzen. Beides haben wir dafür weder bekommen noch in Aussicht.“

