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Richter-Befangenheit im Verfahren gegen X: Wie ein Berliner Justizskandal Vertrauen zerstört

Dass ein offensichtlich befangener Richter bei einem Gerichtsfall vor dem Landgericht Berlin die Pflicht zur Selbstanzeige negiert, ist fatal.

Die einstweilige Verfügung gegen X wurde aufgehoben.
Die einstweilige Verfügung gegen X wurde aufgehoben.Olaf Fuhrmann/imago

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Am 13. Mai 2025 hat das Landgericht Berlin II die einstweilige Verfügung gegen X (ehemals Twitter) – wenig überraschend – aufgehoben. Ein junger Proberichter hatte im Februar 2025 einem Antrag einer sogenannten NGO gegen X auf Herausgabe von Daten zunächst ohne Anhörung stattgegeben, bevor er wegen Besorgnis der Befangenheit von dem Verfahren ausgeschlossen wurde. Er hatte zuvor bei einer der unterstützenden NGOs (der Gesellschaft für Freiheitsrechte, GFF) seine Referendarstation absolviert und seitdem auf LinkedIn mehrere Posts der GFF „geliked“.

Die Zivilkammer, die nun über den Antrag zu entscheiden hatte, kam zu dem Ergebnis, dass die Eilbedürftigkeit nicht vorgelegen habe. Zwischenzeitlich hatten die Antragsteller das Verfahren wegen Zeitablaufs für erledigt erklärt. Auf der Website der GFF heißt es: „GFF und DRI mussten das Verfahren für erledigt erklären“, dabei ist die GFF zu keinem Zeitpunkt Partei des Verfahrens gewesen. Antragstellerin war allein die DRI (Democracy Reporting International).

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, ob Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt werden. Der Vorsitzende Richter hatte in der Verhandlung der Rechtsauffassung von X widersprochen, wonach ein Unternehmen immer nur am Ort der (Europa-)Niederlassung verklagt werden könne. Vielmehr bestehe die grundsätzliche Möglichkeit, Unternehmen wie X in dem Land, in dem die NGO, die für ihre Mitarbeiter Daten für Forschungszwecke einfordert, ihren Sitz hat, zu verklagen. Bleibt es dabei, dürften in Zukunft vermehrt Klagen nach Art. 40 Abs. 12 des DSA eingereicht werden. Eine entscheidende Rechtsfrage also.

Ein Standort des Landgericht Berlin II in der Nähe des Alexanderplatzes
Ein Standort des Landgericht Berlin II in der Nähe des AlexanderplatzesDirk Sattler/imago

Klarer Fall von Ungeeignetheit

Der Proberichter, der die Einstweilige Verfügung erlassen hatte, arbeitet nach wie vor für die Justiz, wenn auch nicht mehr in der 41. Zivilkammer. Dabei dürfte hier meines Erachtens ein klarer Fall von Ungeeignetheit vorliegen. Er hätte sich wegen Befangenheit ablehnen müssen. Denn der Vorwurf, der ihm zu machen war, liegt ja gerade nicht darin, dass er einer Seite nahestand, sondern dass er dies nicht offengelegt hat.

War dem Richter die Pflicht zur Selbstanzeige nach § 48 ZPO bekannt, ist von einer fehlenden charakterlichen Eignung auszugehen, andernfalls von einer fehlenden fachlichen Eignung. Dass er dann den Fall – offenbar ohne, dass die Voraussetzungen vorgelegen haben – für die ihm nahestehenden Partei entschieden hat, schadet dem Ansehen der Justiz. Die Öffentlichkeit muss auf die Unabhängigkeit und Unbefangenheit der erkennenden Richter vertrauen können. Andernfalls nimmt die Integrität des Rechtssystems Schaden.

Clivia von Dewitz ist Richterin und hat zu NS-Gedankengut und Strafrecht (§§ 86, 86a und § 130 StGB) promoviert und 2024 zu Restorative Justice habilitiert

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